| # taz.de -- Regierung in Frankreich: Lecornu-Regierung geht wohl nicht in Rente | |
| > Der französische Premierminister setzt die Rentenreform bis 2027 aus. | |
| > Damit kann er seine Abwahl am Donnerstag wohl abwenden. | |
| Bild: Faustischer Pakt für Macronisten: Premierminister Sebastien Lecornu vers… | |
| Paris taz | In seiner Antrittsrede vor den Abgeordneten am Dienstag hat der | |
| französische Premierminister Sébastien Lecornu einen bemerkenswerten | |
| Rückzieher gemacht. Er kündigte an, die umstrittene Rentenreform bis nach | |
| der Präsidentschaftswahl 2027 auszusetzen. Diese Wahl solle den Rahmen | |
| bieten, die Debatte über die finanzielle Sicherung der Altersvorsorge neu | |
| zu eröffnen. | |
| Mit diesem teilweisen Zugeständnis an die Forderung der politischen Linken, | |
| die Reform ganz aufzugeben, hofft Lecornu die 60 Abgeordneten des Parti | |
| Socialiste (PS) aus der Neuen Volksfront auf seine Seite zu ziehen. Sie | |
| sollen am Donnerstag nicht für den linken Misstrauensantrag gegen die | |
| Regierung stimmen. Lecornu weiß, dass seine Regierung andernfalls stürzen | |
| würde. Die Aussicht, nach nur vier Tagen im Amt abgesetzt zu werden, | |
| rechtfertigt seinen Rückzug in dieser heiklen Frage. | |
| Nicht alle in seinem Lager – weder die Macronisten noch die Konservativen – | |
| begrüßen diese „Kapitulation“. Doch am Vortag hatte auch der Ökonom und | |
| Nobelpreisträger Philippe Aghion Lecornu geraten, die Reform vorerst zu | |
| stoppen. Die geschätzten Kosten von 500 Millionen Euro für 2026 und 1,3 | |
| Milliarden Euro für 2027 seien geringer als die Folgen anhaltender Unruhen, | |
| die Frankreichs Bonität auf den Finanzmärkten gefährden könnten. | |
| Falls Lecornu sein Versprechen hält, soll also weder das Rentenalter weiter | |
| in Richtung 64 Jahre angehoben noch die Zahl der für eine Vollrente | |
| erforderlichen Beitragsquartale (heute 170) verlängert werden. Die von | |
| Macron 2022 gestarteten Reformpläne [1][lösten heftige Proteste aus], die | |
| Rente hat in Frankreich einen starken symbolischen Charakter. Die | |
| Gewerkschaften organisierten wiederholt Aktionstage. Im März 2023 | |
| demonstrierten laut offiziellen Zahlen über eine Million Menschen gegen die | |
| Reform. Dabei kam es mehrfach zu Gewalt. | |
| ## Ex-Präsident Holland lobt Lecornu | |
| Doch Lecornus Versprechen richtete sich vor allem direkt an die 60 | |
| PS-Abgeordneten. Ihr Fraktionschef Boris Vallaud erklärte daraufhin, seine | |
| Fraktion werde sich bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag nicht der | |
| restlichen Linken anschließen. La France insoumise (LFI), die Grünen (Les | |
| Ecologistes) und die Kommunisten (PCF) wollen die Regierung dennoch stürzen | |
| – selbst wenn Präsident Emmanuel Macron damit vorgezogene Wahlen drohen, | |
| die der extremen Rechten den Sieg bringen könnten. | |
| Der frühere sozialistische Präsident François Hollande, heute Abgeordneter, | |
| lobte Lecornus Entgegenkommen und das „Verantwortungsbewusstsein“ des Parti | |
| Socialiste. Für die Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN) und | |
| die linke LFI sei dies eine Niederlage, da beide „dasselbe Ziel, das | |
| Chaos“, verfolgten. Für die Sozialisten hingegen bedeute Lecornus Angebot | |
| einen „Sieg“. | |
| Noch am Tag vor Lecornus Rede hatte PS-Chef Olivier Faure einen „Deal“ mit | |
| Lecornu dementiert. Inzwischen wurde bekannt, dass die beiden bis zu | |
| dreimal täglich telefonierten, um die nötigen Zugeständnisse auszuhandeln. | |
| Faure räumte allerdings ein, es sei eine riskante „Wette“, auf Lecornus | |
| Zusicherung zu vertrauen. | |
| Nach der politischen Krise und den chaotischen Debatten könnte Frankreich | |
| nun wieder Stabilität gewinnen. Lecornu will Zeit schaffen, um den am | |
| Dienstag vorgestellten Entwurf für den Staatshaushalt 2026 im Parlament zu | |
| diskutieren und vielleicht zu verabschieden. Der Streit über die | |
| Sparmaßnahmen angesichts der angeschlagenen Staatsfinanzen blockiert die | |
| Politik seit der vorgezogenen Parlamentswahl im Sommer 2024, bei der die | |
| Mitte-rechts-Regierung ihre Mehrheit in der Nationalversammlung verlor. | |
| Seitdem regiert eine Minderheitsregierung, und zwei Premierminister sind | |
| bereits gestürzt worden. [2][Lecornu selbst trat erst Anfang Oktober | |
| zurück, bevor ihn Präsident Macron erneut zum Premier ernannte.] | |
| [3][Dieser Entwurf ähnelt den Sparplänen seines Vorgängers François Bayrou, | |
| der Einsparungen von 43 Milliarden Euro vorgesehen hatte.] Lecornu plant | |
| nun 25 Milliarden Euro weniger Ausgaben und 14 Milliarden Euro zusätzliche | |
| Einnahmen durch Steuern und Abgaben, um die Staatsfinanzen zu sanieren. Die | |
| Reichsten im Land sollen dabei nur geringfügig stärker belastet werden – | |
| weit weniger als mit der von links geforderten Reichtumssteuer des Ökonomen | |
| Gabriel Zucman, die jährlich 15 bis 20 Milliarden Euro einbringen würde. | |
| (mit afp) | |
| 15 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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