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# taz.de -- Chaostage in Frankreich: … und die Linke? Streitet mal wieder!
> Präsident Macron bekommt die Regierungskrise in Frankreich nicht in den
> Griff. Das wäre eine Chance für linke Kräfte. Doch die sind nur im Zoff
> vereint.
Bild: „Nein!?“ –„Doch!!“ –„Ohh!!!“: Lecornu ist das (un)freiwil…
Paris taz | Marine Tondelier staunte. „Wie habt ihr uns gefunden?“, fragte
die Parteichefin der französischen Grünen (Les Écologistes) die
Fernsehreporterin, die am Montagabend als Einzige vor dem Hotel Ibis im 11.
Stadtbezirk von Paris gewartet hatte.
Die eigentliche Frage aber ist: Warum fand das Treffen der Grünen mit
anderen linken Parteien des Landes in aller Heimlichkeit im Untergeschoss
dieses Hotels statt? Die Antwort: Man hätte der Öffentlichkeit gerne das
Bild einer herzlichen und kämpferischen Einheit gezeigt. Doch die Realität
ist eine andere.
Die Linke in Frankreich ist so zerstritten, dass Olivier Faure, der
Parteichef der Parti Socialiste (PS) nicht mehr mit Jean-Luc Mélenchons La
France insoumise (LFI) reden will – und umgekehrt. Im Anschluss an das
Ibis-Geheimtreffen, an dem neben den Grünen auch LFI und kleinere linke
Organisationen teilnahmen, wurde dennoch ein Appell zur Einheit
veröffentlicht. Marine Tondelier bemühte sich weiterhin als Vermittlerin,
mehrere Treffen mit wechselnder Zusammensetzung folgten, ohne wirkliche
Resultate. Zwangsläufig verdichtete sich da der Verdacht, dass die einen
oder anderen anderswo mit Emmanuel Macrons Unterhändler Sébastien Lecornu
um einen Kompromiss feilschten.
## Niemand hat Lust Premier zu werden
Ebenjener Lecornu war am Montag nach nur vier Wochen im Amt als
Premierminister schon wieder zurückgetreten und [1][am Freitagabend erneut
dazu ernannt worden]. Offenbar hat niemand sonst Lust, diesen undankbaren
Job zu übernehmen. Die Konservativen wollen nicht mehr als
Minderheitspartner [2][mit den Macronisten fraternisieren]. Die Linke ziert
sich erst recht und fordert mindestens den Stopp der umstrittenen
Rentenreform und den Posten des Regierungschefs.
Die extreme Rechte will die ganze Macht oder gar nichts. Keine politische
Kraft hat allein eine Mehrheit oder die Aussicht, eine regierungsfähige
Koalition zu bilden.
Dabei war die Linke noch vor Kurzem, zur vorgezogenen Wahl der
Nationalversammlung 2024, als „Neue Volksfront“ (NFP) geeinigt. Die Allianz
hatte einen Wahlsieg errungen und wurde zum stärksten von drei politischen
Blöcken in dieser Parlamentskammer. Ließe sich das nicht einfach
wiederbeleben? Noch am Montag schlugen die Sozialisten die Einladung zur
Diskussion mit LFI und anderen ehemaligen Bündnispartnern aus.
„Es wird keine neue NFP geben. Wir werden nicht unter denselben Bedingungen
mitmachen“, teilten sie mit. Die Sozialisten hatten es nie akzeptiert, dass
die in ihren Augen politisch „extreme“ LFI als stärkste Gruppe eine
Hegemonie beanspruchte und ständig den Ton angab. Ohnehin lagen die sehr
gemäßigten Reformisten des PS mit dem wie ein Volkstribun auftretenden
Jean-Luc Mélenchon noch nie auf einer Linie.
## Die Wut ist geblieben, beide Seiten sind nachtragend
Doch es sind nicht nur Animositäten, die es der französischen Linken so
schwer machen. Der Hauptgrund ist der 7. Oktober 2023. Dass die LFI-Führung
die von der Hamas verübten Massaker nicht sofort als Terrorismus
verurteilte, haben ihr die Sozialisten nie verziehen. Umgekehrt unternahmen
die Sozialisten nichts, als einzelne LFI-Politiker*innen wegen ihrer
ungeteilten und oft aggressiv klingenden Solidarität mit Palästina wegen
„Antisemitismus“ angegriffen wurden.
Die Wut ist geblieben, und beide Seiten sind nachtragend. Das geht so weit,
dass Marine Tondelier mit den beiden zerstrittenen Parteiführungen
getrennte Treffen organisieren muss. Die Parteichefin der Grünen hofft
weiter, dass sie PS und LFI wieder zu gemeinsamen Diskussionen bringen
kann. Sie weiß, dass das nicht einfach ist: „Was gesagt und getan wurde in
den vergangenen Monaten, hat Spuren hinterlassen.“ Einige Linke hätten am
meisten Zeit damit verbracht, Schlechtes über die anderen Linken zu
verbreiten.
In der Zwischenzeit hat sich eine neue Front gebildet. Als Ausweg aus der
gegenwärtigen Regierungskrise verlangt LFI den Rücktritt von [3][Präsident
Macron und lehnt jede Beteiligung an einer macronistischen Regierung oder
selbst deren indirekte Unterstützung ab]. Jean-Luc Mélenchon drohte sogar:
Falls es in einer nächsten Regierung Minister der PS oder der Grünen geben
sollte, werde seine Partei sie mit einem Misstrauensantrag bekämpfen.
PS-Chef Faure musste deswegen nach einer Unterredung mit Sébastien Lecornu,
der Sozialisten und Grüne für einen politischen „Kompromiss“ gewinnen
wollte, öffentlich erklären, eine Beteiligung an einer Regierung Macron
komme auch für ihn nicht infrage, sondern einzig und allein die Nominierung
eines linken Premierministers.
## Forderung nach Tabula rasa
Aus der Sicht aller linken Fraktionen wäre es längst an ihnen, mit dem
gemeinsamen NFP-Programm die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Als
stärkster Block der Nationalversammlung hätte man – gemäß der
parlamentarischen Tradition – einen legitimen Anspruch auf den Posten des
Premier. Präsident Macron, der keinesfalls eine Linkswende unter seiner
Führung wünschte, gab das Amt im Anschluss an die Wahl 2024 stattdessen dem
Konservativen Michel Barnier. Dass Macron nicht die von der NFP
vorgeschlagene parteiunabhängige Linke Lucie Castets nominiert hatte, ist
bis heute ein gemeinsamer Grund zur Empörung. Priorität hat für LFI aber
nicht mehr die Regierungsbildung, sondern Macrons Rücktritt.
Tabula rasa also als Ausgangspunkt eines politischen Bruchs mit der
bisherigen Fünften Republik und der Gründung einer Sechsten Republik mit
einer anderen Verfassung – eine politische Revolution. Der LFI-Antrag, die
vom Gesetz vorgesehene Prozedur zur Absetzung des Staatschefs einzuleiten,
wurde jedoch vom Büro der Nationalversammlung als unzulässig
zurückgewiesen. Das hindert Mélenchons Partei nicht, an der Forderung
vorzeitiger Präsidentschaftswahlen festzuhalten.
Laut Umfragen wären die Sieger bei der Wahl der Abgeordneten und auch des
Präsidenten der rechtspopulistische Rassemblement National von Marine Le
Pen und nicht die Linksparteien – erst recht, wenn diese getrennt und
zerstritten anträten. Doch eine Nominierung einheitlicher Kandidaturen im
Fall von Neuwahlen der Nationalversammlung wäre ein weiterer Anlass für
Streitereien. Gegenwärtig könnten es sich LFI-Leute in vielen der 577
Wahlkreisen nicht vorstellen, zugunsten einer Sozialistin auf eine eigene
Kandidatur zu verzichten, und umgekehrt.
Die Wähler der Linken fordern endlich Einheit. Der LFI-Abgeordnete Alexis
Corbière ist nicht der Einzige, der sich als Sprecher dieser Wählerschaft
empört: „Die Spaltung ist das größte Geschenk, das wir Macron und dem
Rassemblement National machen können. Alle Dummköpfe innerhalb der NFP, die
jetzt die Spaltung noch vertiefen, verpassen das Rendezvous mit der
Geschichte.“ Es zählten jetzt die Wähler und nicht, was die Parteispitzen
sagen. „Sie wollen die Einheit, weil sie wissen, dass wir nur so stark sein
werden.“
11 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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