| # taz.de -- Autorin über Literaturbetrieb: „Aus der Armut heraus zu schreibe… | |
| > Die Autorin Bettina Wilpert kann vom Schreiben allein nicht mehr leben. | |
| > Mit einem Verlagskollegen spricht sie über Selbstvermarktung und die | |
| > „Name-Economy“. | |
| Bild: Die „Name-Economy“ hat einige Gewinner und viele Verlierer | |
| taz: Bettina Wilpert, Anfang September hast du auf Instagram einen langen | |
| Post über deine Arbeitssituation verfasst. Am Ende stand die Erkenntnis, | |
| dass du vom Schreiben allein nicht mehr leben kannst und willst. Auch als | |
| Verlagskollege habe ich mich gefragt: Bist du davon ausgegangen, lange Zeit | |
| vom Schreiben leben zu können? | |
| Bettina Wilpert: Nein, eigentlich gar nicht. Ich habe 2018 meinen | |
| Debütroman veröffentlicht und zu dem Zeitpunkt Deutsch als Fremdsprache | |
| unterrichtet. Und habe dann, weil mich die Selbstständigkeit schon | |
| gestresst hatte, parallel angefangen, Lehramt im Zweitstudium zu studieren. | |
| Erst als ich den Aspekte-Literaturpreis gewonnen habe, habe ich mich | |
| entschieden, vom Schreiben allein zu leben, und habe mein Studium | |
| abgebrochen. Ich wollte gucken, wie lange das funktioniert. Dabei war | |
| Deutsch als Fremdsprache immer mein Plan B. Jetzt hat es sieben Jahre gut | |
| funktioniert, meine Ressourcen sind aufgebraucht und ich bin froh, dass ich | |
| relativ schnell wieder eine Stelle gefunden habe. | |
| taz: Auch aus anderen Medienbereichen ist zu hören, dass es ökonomisch | |
| schwieriger wird, von der Arbeit zu leben. Welche Auswirkungen hat das für | |
| die Öffentlichkeit und auf die künstlerischen und journalistischen Arbeiten | |
| der Leute? | |
| Wilpert: Ich glaube nicht, dass es sich direkt auf die Arbeiten auswirkt. | |
| Ich hoffe, dass die Leute trotz allem machen, worauf sie selber Lust haben. | |
| Natürlich denke ich auch immer schon die Leser:innen mit und konzipiere | |
| meinen Roman auch in Dramaturgie und Spannungsbogen entsprechend. In meinem | |
| Beitrag habe ich Bezug genommen auf die Auswirkungen der sogenannten | |
| Name-Economy. Das meint Superstars, die primär nicht als Autor:innen | |
| bekannt geworden sind, jetzt aber auch Bücher veröffentlichen. Das verkauft | |
| sich gut. Im Literaturbetrieb ist diese Entwicklung immer stärker zu | |
| beobachten: Die Verkäufe konzentrieren sich auf wenige große Namen. Die | |
| Shortlist des Deutschen Buchpreises wird wahrgenommen. Selbst wenn du auf | |
| der Longlist bist, ist das gut, aber auch schon deutlich schlechter als auf | |
| der Shortlist. Die Konzentration auf wenige Namen macht es für Autor:innen, | |
| die nicht primär Genre- oder Unterhaltungsliteratur schreiben, schwieriger, | |
| von Buchverkäufen zu leben. In der Lyrik sind zum Beispiel alle auf | |
| Förderungen und Stipendien angewiesen. Wenn diese jetzt noch deutlich | |
| gekürzt werden, dann wird es eng für viele. Diese Kürzungen muss man | |
| gleichzeitig auch im Kontext der gegenwärtigen autoritären Wende sehen. Man | |
| könnte die Dinge auch lösen über eine Vermögensteuer, nicht über Kürzungen | |
| im Kultur- und Sozialbereich. | |
| taz: In deinem Post hast du unter anderem auch auf den Newsletter von | |
| Johannes Franzen verwiesen, der vom Wandel hin zu schreibenden Popstars | |
| sprach. Was hat sich spezifisch im Literaturbereich verändert? | |
| Wilpert: Es geht dabei um eine Aufmerksamkeitsökonomie, von der wir alle | |
| Teil sind. Die Verlage planen ihr Budget entsprechend nur für einen | |
| Toptitel, nicht auf mehrere. Wenn du nicht dieser Toptitel bist, bist du | |
| weiter hinten im Programm und bekommst kaum Werbebudget. Die Medien | |
| schließen sich diesem Hype an und setzen auf die paar großen Namen, weil es | |
| Klickzahlen gibt, bei gleichzeitig immer weniger Rezensionen. Andere | |
| Stimmen gehen dazwischen leicht unter. | |
| taz: Über 200 Bücher erscheinen in Deutschland täglich. Ist der Fokus auf | |
| wenige Titel eine Reaktion darauf, dass immer mehr Leute überhaupt | |
| publizieren? | |
| Wilpert: Früher gab es im deutschsprachigen Raum zwei Studiengänge, wo man | |
| literarisches Schreiben studieren konnte. Heute gibt es mindestens fünf. | |
| Dadurch wird natürlich auch die Konkurrenz größer. Social Media spielt bei | |
| dem Fokus aber auch eine große Rolle. Im Posting habe ich es als | |
| „Unternehmerisches Selbst“ bezeichnet. Die Autor:innen stehen immer auch | |
| als Persönlichkeit, die sich vermarkten muss in der Öffentlichkeit. Das | |
| Werk steht niemals nur allein. Am Beispiel von Caroline Wahl kann man das | |
| gut mitverfolgen. Die Diskussion beruht vorrangig auf ihr als Person, gar | |
| nicht auf ihrem Werk. Durch Social Media wird der Effekt verstärkt, dass | |
| das künstlerische Individuum ins Zentrum gestellt wird. | |
| taz: Was bedeutet es für die Produktion von Literatur, wenn die | |
| sozioökonomische Situation der Autor:innen immer wichtiger wird? | |
| Wilpert: Ob sich das wirklich geändert hat, wäre zu prüfen. In der | |
| Literaturgeschichte wurden Autor:innen häufig von Mäzen:innen | |
| finanziert. Paul Auster zum Beispiel konnte erst in Ruhe schreiben, nachdem | |
| sein Vater gestorben war und er geerbt hatte. Die Arbeiter:innenkinder, die | |
| gegenwärtig viel schreiben, haben ökonomisch betrachtet ihren Aufschwung | |
| bereits geschafft. Eigentlich schreibt niemand konkret aus der Armut | |
| heraus. Das ist fast unmöglich. | |
| taz: Vielen Autor:innen geht es dennoch finanziell schlecht. Es gibt den | |
| Verband der Schriftsteller (VS), gewerkschaftliche Arbeit wird aber nicht | |
| unbedingt von vielen Autor:innen gemacht. Wieso gibt es so wenig | |
| Engagement, wenn es um tatsächliche Arbeitskämpfe von Autor:innen geht? | |
| Ist das Abhängigkeitsverhältnis zu den Verlagen zu groß? | |
| Wilpert: Man ist sehr stark ökonomisch abhängig. Wenn man nicht genug | |
| verkauft, lassen einen große Verlage fallen. Dazu kommt noch die | |
| Vereinzelung der Arbeit. Autor:innen-Sein ist nicht vergleichbar mit einer | |
| Arbeit in der Fabrik, wo man sich jeden Tag sieht und dann eben auch einen | |
| Betriebsrat gründet. Als Schriftstellerin muss man sich kontinuierlich | |
| vernetzen. Das geschieht nicht nebenher, wie in anderen Berufen. Dazu | |
| kommt, im Kulturbetrieb gibt es besonders viele flache Hierarchien. Das ist | |
| eine Stärke und gleichzeitig eine Schwäche. Überall wird man geduzt und | |
| überall wird so getan, als wären alle egalitär, aber natürlich bestehen | |
| Abhängigkeitsverhältnisse. | |
| taz: Ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei gleichzeitig kaum sozialer | |
| Absicherung und wenig Verbindlichkeit: Ist der Kulturbereich eine Art | |
| Testfeld für andere Formen von Arbeit? | |
| Wilpert: Im Kulturbereich verschwimmt sehr stark die Grenze zwischen Arbeit | |
| und Freizeit. Du gehst zur Lesung einer Freundin, es ist immer aber auch | |
| ein Moment professioneller Vernetzung. Das neoliberale unternehmerische | |
| Selbst zeigt sich hier besonders stark. [1][Man muss sich stets selbst als | |
| Person verkaufen] – was man in anderen Berufen deutlich weniger muss. | |
| taz: Du hast deine Kritik auf Social Media verfasst. Stärkt das am Ende | |
| deine eigene Position im Markt? | |
| Wilpert: Klar. Einerseits finde ich den Austausch bei Social Media schön. | |
| Gerade bei diesem Post haben sich viele Leute gemeldet, auch aus anderen | |
| Kulturfeldern. Andererseits freue ich mich, wenn der Post viel gelikt und | |
| geshart wird und ich viele Follower:innen bekomme. Weil ich verstanden | |
| habe, wie das System funktioniert und ich weiß, für mein nächstes Buch wäre | |
| es schön, eine möglichst große Zahl Follower:innen zu haben. Anders ist | |
| es inzwischen einfach schwierig, Bücher zu verkaufen. Selbst [2][gute | |
| Rezensionen in Tageszeitungen] wirken sich längst nicht mehr so stark wie | |
| früher auf Verkaufszahlen aus. Elena Ferrante oder Thomas Pynchon, oder in | |
| Deutschland Walter Moers, die können es sich leisten, auf Social Media oder | |
| jegliche Art von Öffentlichkeit zu verzichten. Den Luxus haben viele nicht. | |
| Deshalb bin ich mir bewusst, wenn ich weiter vom Schreiben leben will – und | |
| das will ich –, muss ich mich darstellen. | |
| taz: Der Kapitalismus hat sich bisher noch fast jede Form der Kritik | |
| angeeignet und am Ende ökonomisch nutz- und verwertbar gemacht. Ende | |
| Oktober sind wir beide gemeinsam auf einer Bühne und lesen aus unseren | |
| Büchern (25. 10. im cineding in Leipzig.) Dieses Interview ist indirekt | |
| Werbung dafür. Gibt es überhaupt noch Orte oder Möglichkeiten der radikalen | |
| Kritik, die nicht gleichzeitig Selbstvermarktung ist? | |
| Wilpert: Klar bin ich mir dessen bewusst, dass so ein Post mir Reichweite | |
| bringt. Auch, wenn viele interessante Dinge dort stattfinden, ist man immer | |
| in der Logik von Social Media und damit auch im Kapitalismus. Dort ist es | |
| vermutlich nicht möglich, eine radikale Kritik zu formulieren, aber ich | |
| will mit so einer Kritik ja auch an die Öffentlichkeit gehen, und das hat | |
| entsprechende Folgen. Ich finde das nicht schlimm, weil ich ohnehin als | |
| öffentliche Person gesehen werde. Ich finde es nichts Negatives, wenn man | |
| von der Kritik anschließend auch profitiert, denn es gibt schließlich im | |
| Moment kein Außerhalb des Kapitalismus. Am Ende sind wir damit trotzdem | |
| wieder beim Anfang: Ich suche mir einen anderen Job, um mich ökonomisch | |
| unabhängiger zu machen. Dann kann ich in Ruhe schreiben und bin nicht so | |
| einem ökonomischen Druck ausgeliefert. | |
| 9 Oct 2025 | |
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| Clemens Böckmann | |
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