# taz.de -- Abschiebungen nach Afghanistan: Absichtlich vergessen? | |
> Noch immer warten gefährdete Afghan*innen in Pakistan darauf, dass | |
> Deutschland sie aufnimmt. Doch die Verfahren verzögern sich weiter. | |
Bild: Islamabad, Pakistan, 15. August: eine Frau aus Afghanistan, die in einem … | |
Die Taliban haben in Afghanistan vielerorts das Internet abgeschaltet. In | |
Kabul geht es noch, aber ich habe Angst, dass das auch hier geschieht. Dass | |
wir dann völlig abgeschnitten sind und die Welt uns vergisst.“ Das schrieb | |
vor Kurzem Amira Salma*, eine promovierte afghanische Akademikerin. Nach | |
einem aufwendigen Prüfverfahren hatte sie eine Zusage für das | |
Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan bekommen, mit dem gefährdete | |
Afghan*innen nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 | |
geschützt werden sollten. | |
Da Deutschland in Kabul keine Botschaft hat, läuft das Verfahren über die | |
Botschaft in Islamabad, Pakistan. Nachdem Amira Salma die Aufnahmezusage | |
bekommen hatte, konnte sie im März 2024 mit ihren vier Kindern nach | |
Pakistan ausreisen. Ohne ihren Mann, denn der wurde kurz nach der | |
Machtübernahme von den Taliban verhaftet und ist seitdem verschollen. | |
Es ist eine komplizierte, monatelange Prozedur, im Fall von Salma dauert | |
sie schon über ein Jahr. Die Botschaft forderte DNA-Tests von ihr, um zu | |
belegen, dass die vier Kinder ihre eigenen Kinder sind. Die Tests musste | |
sie selbst bezahlen, obwohl sie völlig mittellos war. Dann verlangte die | |
Botschaft einen Nachweis, dass sie das Sorgerecht für die Kinder hat. | |
Schwierig, wenn der Ehemann in den Kerkern der Taliban verschwunden ist und | |
nichts dazu sagen kann. Das Bundesaufnahmeprogramm lief sehr schleppend, | |
Anfang 2025 begann Pakistan, massiv Afghan*innen abzuschieben. Die | |
Bundesregierung versicherte stets, die Menschen im deutschen | |
Aufnahmeprogramm seien vor den Abschiebungen sicher, aber das stimmte | |
nicht. Im Sommer stürmte die pakistanische Polizei viele der Gästehäuser, | |
in denen die Afghan*innen untergebracht sind. Zahlreiche Familien wurden | |
festgenommen und in ein Abschiebelager gebracht. | |
Einige wurden wieder freigelassen, insgesamt aber 248 Personen nach | |
Afghanistan abgeschoben. Darunter auch Amira Salma. Sie kontaktierte aus | |
dem Abschiebelager die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit | |
(GIZ), die sich im Auftrag der Bundesregierung um die Afghan*innen | |
kümmern soll – und bekam keine Antwort. Am 15. August wurde sie | |
abgeschoben, am Jahrestag der Machtübernahme der Taliban. | |
Am vergangenen Wochenende haben zwei Beamte aus dem Bundesinnenministerium | |
Medienberichten zufolge [1][Gespräche mit Vertretern des Taliban-Regimes] | |
über weitere Abschiebungen geführt. Abschiebungen sind die Priorität der | |
Bundesregierung, nicht die humanitäre Aufnahme gefährdeter Afghan*innen. | |
Amira Salma fürchtet, dass Deutschland sie vergessen hat. [2][Oder | |
vergessen will]. Die Pässe der Familie liegen bei der Botschaft in | |
Islamabad. Bei der Abschiebung wurde ihr Ausreisestempel mangels Pass auf | |
die Hand gedrückt. Bis heute hat sich die Botschaft nicht bei ihr gemeldet. | |
Sie weiß nicht, wie es weitergeht. Mit den anderen Abgeschobenen ist sie in | |
einem Hotel untergebracht, das die deutschen Behörden „Safe House“ nennen. | |
Aber „safe“ ist es nicht. Die Taliban wissen Bescheid und stehen vor dem | |
Hotel. Vertreter des gefürchteten „Tugendministeriums“ haben Abgeschobenen | |
bereits befragt. | |
## Im Wartezustand | |
Amira Salma sitzt den ganzen Tag mit ihren Kindern in einem Zimmer, sie | |
dürfen das Hotel nicht verlassen. „Meine Kinder sind völlig verstört und | |
depressiv, sie haben alle Hoffnung verloren“, sagt sie. Die Kinder haben | |
jahrelang keine Schule besuchen können, während der langen Wartezeit in | |
Islamabad hat die GIZ nicht für Unterricht gesorgt. [3][In Afghanistan | |
dürften die Mädchen ohnehin keine Schule besuchen]. | |
Die Abgeschobenen haben Appelle an die Innenminister Alexander Dobrindt, | |
Außenminister Johann Wadephul und die deutsche Botschafterin in Islamabad | |
gerichtet. Antworten? Keine. Wenngleich die Bundesregierung nicht untätig | |
ist, es ist schlimmer: Statt die gefährdeten Afghan*innen in Sicherheit | |
zu bringen, widerruft sie reihenweise die humanitären Aufnahmezusagen. | |
Im [4][Koalitionsvertrag haben Union und SPD beschlossen, freiwillige | |
Aufnahmeprogramme zu beenden]. Seit dem Amtsantritt der Regierung wird | |
gebremst und widerrufen, wie es geht. Mehrere Afghan*innen klagten | |
erfolgreich auf die Erteilung von Visa, und einige wurden daraufhin | |
tatsächlich nach Deutschland geflogen, zuletzt am vergangenen Dienstag. | |
Anderen hat das Innenministerium trotz erfolgreicher Klage die | |
Aufnahmezusagen widerrufen, indem es behauptet, die Betroffenen seien in | |
Afghanistan nicht gefährdet. Klar, ein Land, in das man abschieben möchte, | |
darf so gefährlich nicht sein. Das erinnert fatal an die Regierung Merkel, | |
die ab 2016 behauptete, Afghanistan sei sicher – um dorthin abzuschieben. | |
Gleichzeitig gingen im ganzen Land fast täglich Bomben hoch. 2017 gab es | |
einen verheerenden Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul. Daraufhin | |
wurde das Personal dort reduziert und die konsularischen Dienste in die | |
pakistanische Hauptstadt Islamabad verlegt – aus Sicherheitsgründen. Aber | |
die Abschiebungen pausierten nur kurz, dann erklärte die Bundesregierung | |
Afghanistan wieder für „sicher“, nur nicht für das eigene Personal. | |
Nun droht ein ähnliches Spiel, obwohl die Taliban in Afghanistan die Macht | |
und eine Gewaltherrschaft etabliert haben, Menschenrechte missachtet und | |
Frauen komplett aus dem öffentlichen Leben ausschließt. Auch gegen mehrere | |
nach Kabul abgeschobene Familien wurden Widerrufsverfahren eingeleitet. | |
Eine siebenköpfige Familie musste vor einigen Tagen das „Safe House“ | |
verlassen. Es gibt keinen Kontakt mehr zu ihr. Amira Salma hat große Angst, | |
dass ihr und ihren Kindern dasselbe Schicksal droht. | |
*Der Name der Protagonistin wurde aus Sicherheitsgründen geändert | |
7 Oct 2025 | |
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## AUTOREN | |
Martin Sökefeld | |
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