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# taz.de -- Petition gegen Haushaltskürzung: Es geht um Leben und Tod
> Rund 400 Menschen begehen in Berlin jährlich Suizid. Dennoch will der
> Senat bei der Vorsorge kürzen. Dagegen wehrt sich der Wohlfahrtsverband
> Caritas.
Bild: Seit 2017 gibt es in Berlin das Netzwerk Suizidprävention, dem rund 80 O…
Berlin taz | Inmitten einer Menschenmenge wartet er, bis die Ampel auf Grün
springt. Er trägt Kopfhörer, schaut ernst, sieht eigentlich ganz normal
aus. Was man von außen nicht sieht: Der Hauptcharakter des [1][Kurzfilms
„Echter Mann“] leidet an Depressionen. Darüber zu sprechen, fällt ihm
schwer. Als ein Freund ihn auf der Arbeit fragt, was denn los sei, rastet
er aus. Später wird er seiner Therapeutin sagen: „Emotional sein bedeutet
die Kontrolle zu verlieren. Das kann ich mir nicht leisten.“
Mit dem Kurzfilm von Regisseur Vinsley möchte die Caritas Berlin, der
katholische Wohlfahrtsverband im hiesigen Erzbistum, auf Suizide aufmerksam
machen. Denn [2][der gerade im Abgeordnetenhaus diskutierte
Haushaltsentwurf des schwarz-roten Senats für 2026 und 2027] will in der
Vorsorge kürzen. Dagegen wendet sich die Caritas mit der [3][Petition
#KürzenKostetLeben], die sie jüngst im Kino Hackesche Höfe vorgestellt hat.
Dazu gab es den Film „Echter Mann“ und anschließend ein Gespräch über den
Zustand der Berliner Suizidprävention.
Seit 2017 gibt es in Berlin das Netzwerk Suizidprävention, dem mittlerweile
rund 80 Organisationen angehören. Dazu zählt beispielsweise die von der
Senatsverwaltung für Wissenschaft, Pflege und Gesundheit geförderte
[4][Berliner Fachstelle Suizidpräventio][5][n], die sich
Öffentlichkeitsarbeit, Enttabuisierung und Aufklärung zur Aufgabe gemacht
hat.
Benjamin Ochel leitet den dazugehörigen Krisendienst der Berliner Caritas,
der rund um die Uhr und kostenlos erreichbar ist. Dort bietet er als
Sozialpädagoge gemeinsam mit Kolleg:innen eine niedrigschwellige
Beratung und Unterstützung für alle Menschen in Berlin an. „Das reicht vom
Spektrum von ‚Ich kriege die Prüfungsarbeit nicht fertig‘ bis ‚Ich habe
ganz akute Suizidgedanken‘“, sagt er.
## 90.000 melden sich beim Krisendienst
Etwa 90.000 Menschen melden sich dort pro Jahr, rund acht Prozent von ihnen
sind suizidal. „Viele Telefonate beginnen mit den Worten: Ich weiß nicht,
ob ich hier richtig bin“, sagt Ochel. Er entgegnet dann: „Natürlich sind
Sie hier richtig.“
10.304 Menschen sind 2023 in Deutschland durch Selbstmord gestorben. Das
sind fast doppelt so viele wie durch Verkehrsunfälle, Mord und illegale
Drogen zusammen. In Berlin ist die Suizidrate mit 14,2 pro 100.000
Einwohnenden höher als der Bundesdurchschnitt. Männer und ältere Menschen
sind besonders oft betroffen.
Allerdings sind die Statistiken zum Thema Suizidalität sehr ungenau. Etwa
werden nur Fälle erfasst, bei denen es sich ganz eindeutig um Selbstmord
handelt. Benjamin Ochel spricht von einem „Hellfeld“. Zu Suizidversuchen
und den Gründen dafür gibt es hingegen keine Statistiken und so auch kaum
Wissen. Es wird davon ausgegangen, dass es zehnmal mehr Versuche als
tatsächlich vollzogene Suizide gibt. Frauen begehen häufiger
Suizidversuche. Sie sterben aber dabei seltener als Männer: Bundesweit
waren [6][2023 rund 73 Prozent der Suizidtoten männlich], in Berlin waren
es 62 Prozent
Das habe komplexe Gründe. „Männer nehmen verhältnismäßig selten an
Beratungsangeboten teil. Das heißt aber nicht, dass sie weniger Probleme
oder weniger Unterstützungsbedarf haben“, sagt Ochel. Es gehe dabei um
Männlichkeitsbilder, Tabus und Scham. „Männer in suizidalen Krisen wollen
oft schnell wieder funktionieren“, sagt die Psychologin Laura Hofman von
der Medical School Berlin bei der Vorstellung der Caritas-Petition.
## Kampagne richtet sich an Männer
Deshalb richtet sich die Berliner Fachstelle Suizidprävention in ihrer
Kampagne auch explizit an Männer. Etwa ist auf der Website [7][ein Mann mit
grauer Halbglatze und Falten zu sehen], dessen Mund mit einem roten Kreuz
bedeckt ist. Daneben steht: „Schweigen kostet Leben.“
Sozialpädagoge Ochel ist überzeugt davon, dass jeder Mensch eine
Alternative für sich finden kann, wenn er:sie gute und passende
Unterstützung erhält. „Wenn über Suizid gesprochen wird, muss immer
gleichzeitig über die Hilfsmöglichkeiten gesprochen werden“, sagt er.
Besonders gefährlich sei es hingegen, wenn Selbstmorde romantisiert würden,
wie etwa in der Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“, die zu
zahlreichen Nachahmungen führte.
Im Haushaltsentwurf des Senats soll die Finanzierung der Fachstelle – so
Ochel – nun nicht mehr als eigener Punkt aufgeführt werden, sondern in
einen Integrierten Gesundheitsplan (IGP) überwechseln. Und diesem neuen
Topf werde insgesamt weniger Geld zur Verfügung gestellt als im Vorjahr.
Bei welchen Projekten konkret gekürzt wird, ist derzeit unklar. „Wir machen
uns große Sorgen, wie es weitergeht“, sagt Ochel.
Dabei hatte das Land Berlin erst kürzlich eine Suizidpräventionsstrategie
beauftragt. Es soll die erste in ganz Deutschland und Berlin damit
Vorreiter sein. Für die Strategie werden bestehende Maßnahmen gestärkt und
neue entwickelt, die wiederum langfristig umgesetzt werden sollen. Das Ziel
ist, die Suizide in Berlin bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Die
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen dienen dabei als Orientierung.
Durch eine Kürzung wären, so sieht es die Caritas, alle Fortschritte und
Pläne hinfällig. Zugespitzt könnte man sagen, es würde an Menschenleben
gekürzt.
## CDU-Abgeordnete verteidigt den Haushaltsentwurf
Der Termin im Kino in den Hackeschen Höfen richtete sich daher ausdrücklich
an die Politik. Allerdings waren die Senatorin Ina Czyborra (SPD) und Norma
Kusserow, Landesbeauftragte für psychische Gesundheit, trotz frühzeitiger
Einladung nicht anwesend. Stattdessen nahm Claudia Wein (CDU) teil, die
stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im
Abgeordnetenhaus.
Die CDU-Abgeordnete sprach weniger konkret über Suizide, sondern darüber,
dass Einsamkeit ein riesengroßes Problem sei. „Das ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte Wein. Den Haushaltsentwurf
rechtfertigte sie damit, dass es eben unterschiedliche Meinungen gebe. „Ich
bin hergekommen, weil es um Menschenleben geht“, sagte sie, „es geht aber
auch an vielen anderen Stellen um Menschenleben.“
In der abschließenden Fragerunde meldete sich im Publikum ein Mann, der
nach seinen Worten sechs Menschen durch Suizid verloren hat. „Ganz ehrlich,
bei Menschenleben sollte man nicht sparen“, sagte er aufgebracht, „es ist
so traurig, dass die Caritas diese Petition überhaupt ins Leben rufen
muss.“
Haben Sie dunkle Gedanken? Dann sollten Sie sich unverzüglich ärztliche und
psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden Sie sich an die [8][Berliner
Fachstelle für Suizidprävention] oder rufen Sie in akuten Fällen den Notruf
an unter 112. Eine Liste mit weiteren Angeboten finden Sie unter
[9][taz.de/suizidgedanken].
15 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=n7qoGk99vac
[2] https://www.parlament-berlin.de/adosservice/19/IIIPlen/vorgang/d19-2627.pdf
[3] https://www.change.org/p/k%C3%BCrzenkostetleben-psychosoziale-hilfen-und-su…
[4] https://www.suizidpraevention-berlin.de/
[5] https://www.suizidpraevention-berlin.de/
[6] https://www.suizidpraevention-berlin.de/suizid-statistiken-weitere-informat…
[7] https://www.suizidpraevention-berlin.de/
[8] https://www.suizidpraevention-berlin.de/
[9] /Hilfsangebote-bei-suizidalen-Gedanken/!6009869
## AUTOREN
Lea Knies
## TAGS
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