| # taz.de -- Journalistin über Gesprächskultur: „Wir suchen aktiv das Blöde… | |
| > Catherine Newmark will die Gesprächskultur entgiften. Am Schauspiel | |
| > Hannover hat sie die Gesprächsreihe „Chronik der laufenden Entgleisungen“ | |
| > initiiert. | |
| Bild: Zunehmende Verschlechterung der Debattenkultur: Landwirt-Demo am 15. Janu… | |
| taz: Catherine Newmark, Sie moderieren eine Gesprächsreihe im | |
| Schauspielhaus Hannover, die Sie auch initiiert haben. Was ist die Idee | |
| dahinter? | |
| Catherine Newmark: Es geht uns darum, angesichts einer wahrgenommenen | |
| zunehmenden Polarisierung und Verstärkung der Stimmungslage ein | |
| Gesprächsformat zu finden, bei dem man versucht, mit den Gästen und einem | |
| Publikum ins Gespräch zu kommen. | |
| taz: Steht es nach Ihrer Einschätzung also schlecht um die | |
| [1][Gesprächskultur in Deutschland?] | |
| Newmark: Ich nehme da eine Giftigkeit von allen Seiten wahr, die alles | |
| härter, schärfer und dümmer macht und bei der wir oft nicht wissen, wie wir | |
| dagegen angehen können. Wenn wir in kleinen Gruppen miteinander reden, | |
| schaffen wir es ja vielleicht noch, aber auch da ist oft alles verzweifelt | |
| und es geht immer ums große Ganze, so im Sinne von: Wenn die Gegenseite | |
| sich durchsetzt, ist die [2][Demokratie] nicht mehr zu retten. Wir haben in | |
| Deutschland sicher noch keine [3][amerikanischen Verhältnisse], aber wir | |
| haben definitiv eine Herausforderung, was den Diskurs betrifft. | |
| taz: Ist dieser Pessimismus nicht das Einzige, worauf sich alle einigen | |
| können? | |
| Newmark: Ich finde es interessant, zu fragen, ob das wirklich so ist. Da | |
| herrscht ja auch eine verzerrte Sicht. Ich will gar nicht bestreiten, dass | |
| wir vor Krisen und Herausforderungen stehen. Aber was die Fähigkeit | |
| betrifft, in realen Situationen Gespräche miteinander zu führen, sehe ich | |
| gar nicht so schwarz. Selbst zwischen dem jungen progressiven, | |
| genderfluiden Gemüse und den alten weißen Männern gibt es ja im Grunde | |
| immer noch eine Übereinstimmung von 90%. Und die Frage ist, ob wir diese | |
| betonen oder die 10%. | |
| taz: Aber ist es nicht auch ein Problem, dass wir es heute mit Menschen zu | |
| tun haben, die meinen, [4][die Bundesrepublik würde gar nicht existieren | |
| oder die Erde sei flach?] | |
| Newmark: Da sprechen Sie eine Beobachtung an, die mir zentral für unsere | |
| Gegenwart zu sein scheint. Denn ein Teil unserer medialen Kultur führt | |
| dazu, dass wir viel zu viel Zeit damit verbringen, uns über andere Menschen | |
| zu mokieren. Das Internet ist der Ort, wo wir uns angewöhnt haben, | |
| grundsätzlich das Schlechteste an den Anderen zu sehen. Wir schauen ja | |
| ständig irgendein Video, in dem sich irgendjemand sehr dumm geäußert hat. | |
| Das Medium, das solche Bananenausrutscher puscht, kreiert so eine Kultur, | |
| bei der ich aktiv das Blöde, Hässliche und Dumme am Anderen suche. | |
| taz: Spielen da nicht Schadenfreude und Häme eine wichtige Rolle? | |
| Newmark: Genau! Und ich finde, das ist eine extrem ungesunde Kultur, weil | |
| wir uns ja nicht an Vorbildern orientieren, die etwas Tolles geleistet | |
| haben. Stattdessen orientieren wir uns immer nach unten. Das sind ja | |
| Beobachtungen, die viele Menschen machen. Unsere Gesprächsabende werden | |
| darum nicht kontrovers besetzt sein, also wie es [5][Talkshows] machen, um | |
| möglichst polemische Kontraste zu erzielen, sondern ich werde versuchen, | |
| mit meinen Gästen das größere Bild zu sehen, Punkte oder Flächen jenseits | |
| der Polarisierungen zu finden, in denen wir uns alle wiedererkennen können. | |
| taz: Sie moderieren ja auch eine Radiosendung und sind selber zu Gast in | |
| Podcasts und im Fernsehen. Ist im Vergleich dazu eine Gesprächsrunde in | |
| einem Theater nicht ein Anachronismus? | |
| Newmark: Ja, die Reichweite spielt eine Rolle. Aber ich meine, jedes Format | |
| hat seine Vor- und Nachteile. Für mich sind Publikumsveranstaltungen sehr | |
| wertvoll. Ich glaube, dass die körperliche Präsenz bei Livegesprächen nicht | |
| irrelevant ist. Ich meine sogar, dass die Absenz von leiblicher Präsenz | |
| eines der großen Probleme in unserer aktuellen Medienlandschaft ist. | |
| taz: Wie meinen Sie das? | |
| Newmark: Das merken wir ja auch in der Arbeitssituation mit all diesen | |
| Zoomsitzungen. Das macht etwas mit uns. Wir sind den anderen gegenüber ein | |
| wenig verbohrter, bockiger und weniger tolerant. Bei Veranstaltungen, wo | |
| alle physisch in einem Raum sind, kann dagegen ein gemeinsames Nachdenken | |
| entstehen. Und das ist dann etwas sehr Schönes. | |
| 1 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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