| # taz.de -- Kulturförderung im Nahost-Konflikt: Sag nicht Palästina! | |
| > Dem Festival collecting:dreams wurden Fördergelder gestrichen: Wegen | |
| > propalästinensischer Positionen. Das Orga-Team wittert eine rechte | |
| > Kampagne. | |
| Bild: Wie weit darf Israel-Kritik gehen? Über diese Frage hatte das Kulturbür… | |
| Hannover taz | Zum dritten Mal hat das Festival collecting:dreams in | |
| diesem Jahr in Hannover stattgefunden. Für seinen Ansatz, | |
| [1][postmigrantischen Autor*innen und Künstler*innen sowie | |
| marginalisierten Stimmen einen Raum zu geben], hat es in den beiden Jahren | |
| zuvor viel Lob bekommen und auch öffentliche Förderung. | |
| Doch in diesem Jahr kündigte erst das Kulturzentrum Pavillon und dann das | |
| Kulturbüro der Stadt die Zusammenarbeit auf. Wenige Stunden vor Beginn des | |
| Festivals nahm sie ihre Förderzusage über 10.000 Euro zurück, weil sich die | |
| Veranstalter weigerten, zwei Künstlerinnen aus dem Programm zu streichen. | |
| Die Macher*innen vom Verein Prisma Queer Migrants sind davon überzeugt, | |
| dass die Stadt damit [2][einer rechten Kampagne aufgesessen] ist. Am 11. | |
| September erschien auf dem in Österreich ansässigen, extrem | |
| pro-israelischen [3][Blog mena-watch.org ein Artikel,] in dem sämtliche | |
| beteiligten Künstler*innen als antisemitisch dargestellt wurden. | |
| „In der Folge erhielten das Kulturbüro der Stadt, der neue | |
| Veranstaltungsort „Garage Nord“ und alle unsere Sponsoren sehr ähnlich | |
| strukturierte Mails, die auf den Artikel verwiesen und Konsequenzen | |
| forderten“, sagt Kadir Özdemir vom Festivalteam. Auch die Sponsoren | |
| reagierten aufgeschreckt, ließen sich im direkten Gespräch aber beruhigen. | |
| ## Ausladung von zwei Künstlerinnen gefordert | |
| Das Kulturbüro der Stadt hingegen verlangte die Ausladung von zwei Acts: | |
| der palästinensischen Journalistin Hebh Jamal und der 23-jährigen | |
| Künstlerin Asal, ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. | |
| Bekannt über sie ist nur, dass sie in den Medien Acrylmalerei, digitaler | |
| Kunst, Fotografie und Video arbeitet. Quelle: ihre Selbstauskunft auf der | |
| Festival-Website. Auf der war auch die Uraufführung ihres Filmprojekts | |
| „Palästina. Mehr als ein Ort. Sieben Stimmen, eine Frage: Was bedeutet | |
| Palästina für dich?“ angekündigt. | |
| Jamal wiederum sollte einen Workshop mit dem Titel „Judged by the Cover: | |
| Religiöse Bekleidung, Diversität und Realitäten vs. dominante Diskurse in | |
| Medien, Journalismus und Gegenwartsliteratur“ anbieten. Statt die | |
| Programmpunkte abzusagen, starteten die [4][Organisator*innen einen | |
| Spendenaufruf] und bekamen so in kürzester Zeit die notwendige Summe | |
| zusammen. | |
| Asals Beitrag kann das Kulturbüro der Stadt noch nicht einmal gesichtet | |
| haben. Worauf die Forderung nach einer Absage an sie gründet, ist insofern | |
| unklar. Das ist bei Hebh Jamal anders: Dass sie sich mit dieser Personalie | |
| Ärger einhandeln würden, haben die Veranstalter zumindest ahnen müssen. | |
| ## Die Journalistin Hebh Jamal stand schon öfter in der Kritik | |
| Schon im August hatte [5][der ursprünglich geplante Veranstaltungsort, das | |
| Kulturzentrum Pavillon] ihren Auftritt problematisiert. Die in New York | |
| geborene Journalistin mit palästinensischen Wurzeln lebt in Deutschland. | |
| Schon mehrfach haben geplante Auftritte von ihr für Kontroversen gesorgt, | |
| zum Beispiel an der Uni Heidelberg im Juni 2024 oder bei der | |
| Talking-Palestine-Konferenz in Frankfurt im Januar 2025. | |
| Ins Visier proisraelischer Watchblogs geriet sie, weil sie noch am Tag der | |
| Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023 ein Video veröffentlichte. In | |
| dem rechtfertigte sie den brutalen Angriff mit dem Kommentar, | |
| Dekolonialisierung sei eben schmutzig, hässlich und nicht schön anzusehen, | |
| aber absolut notwendig. | |
| Die Veranstalter von collecting:dreams betonen, dass sie dieses Video ja | |
| schnell wieder gelöscht und sich davon distanziert habe. Auch im | |
| persönlichen Gespräch habe sie noch einmal versichert, Terrorismus und | |
| Menschenfeindlichkeit abzulehnen. Ihre zahlreichen Beiträge danach lassen | |
| in den Augen des Festivalteams keine ähnlich problematischen Aussagen | |
| erkennen. Fall erledigt? | |
| Jamal verleiht vor allem der wachsenden Trauer, Wut und Verzweiflung der | |
| palästinensichen Community Ausdruck. Damit dockt sie bei einem Gefühl an, | |
| dass auch die Veranstalter umtreibt: Der Frage, wo es in Deutschland | |
| überhaupt einen Raum dafür gibt. Für Menschen, die tagtäglich mit neuen | |
| Katastrophenmeldungen aus Gaza bombardiert werden, die um ihre Angehörigen | |
| bangen oder trauern. | |
| ## Wie soll das Kulturbüro das mal eben schnell entscheiden? | |
| Jamal wütet auch gegen den Westen. Der mache sich zum Komplizen, indem er | |
| pro-palästinensische Stimmen zum Schweigen bringe. Sie benutzt dabei das | |
| gesamte Repertoire der Begriffe, die hierzulande Alarmglocken schrillen | |
| lassen: Apartheid, Genozid, Kolonialismus. In einem Beitrag ihres | |
| „Diaspora-Journals“, das sie auf der Online-Plattform Substack | |
| veröffentlicht, nennt sie Israel eine „fascist settler colony“. | |
| In einem älteren Artikel schon von 2022, auf den sich auch der Pavillon | |
| bezieht, preist sie einen „Märtyrer“ und schreibt: „Wir dürfen nicht die | |
| Augen verschließen und ignorieren, dass ein gewalttätiger Besatzer nicht | |
| allein mit Protesten und Boykotten zum Schweigen gebracht werden kann. | |
| Stattdessen sollten diese Methoden nur in Verbindung mit unseren | |
| Widerstandskämpfern funktionieren.“ | |
| Was sich allerdings in ihren zahlreichen Beiträgen seither nicht findet: | |
| Offene Unterstützung für die Hamas, Aufrufe zur Gewalt, Hetze gegen Juden. | |
| Damit landet man am Ende wieder bei der schwierigen Frage, wo Israel-Kritik | |
| aufzuhören hat und Antisemitismus beginnt – und wie das Kulturbüro der | |
| Stadt Hannover dies innerhalb von zwei Tagen mal eben schnell entschieden | |
| haben kann. | |
| ## Festival-Team gesteht Fehler ein | |
| Denn natürlich sind auch Internetpublikationen wie mena-watch.org höchst | |
| parteiisch. Der Blog wirft praktisch jedem Kritiker israelischer Politik | |
| Antisemitismus vor. | |
| Im Nachhinein geben sich alle Beteiligten betreten. Die Stadt will | |
| vorläufig zu den genauen Abläufen keine Auskunft geben: Man befinde sich | |
| aber „in guten, konstruktiven Gesprächen mit dem collecting:dreams | |
| Literaturfestival“. Auch in Zukunft wolle man ja vertrauensvoll | |
| zusammenarbeiten. Irgendwann in den nächsten Wochen soll es ein gemeinsames | |
| Statement geben. | |
| Das Festivalteam gesteht zerknirscht Fehler ein. Denn in allen Verträgen | |
| sowohl mit der Stadt als auch mit dem Pavillon steht, dass man die | |
| Programminhalte rechtzeitig anmelden und absprechen muss. | |
| Auch wenn es bei einem umfangreichen Festival immer wieder zu kurzfristigen | |
| Änderungen, Verschiebungen, Absagen und neuen Zusagen kommt. Sowohl Jamals | |
| Workshop als auch Asals Filmbeitrag wurden von Teilnehmern im Nachhinein | |
| als „harmlos“ beschrieben. Niemand habe dazu aufgerufen, Israel von der | |
| Weltkarte zu tilgen. | |
| 2 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Festivalchef-ueber-migrantische-Literatur/!6034769 | |
| [2] https://prismaqueer.de/wp-content/uploads/2025/09/Statement-collectingdream… | |
| [3] https://www.mena-watch.com/antisemitismus-hannover-kunst-und-kulturszene/ | |
| [4] https://www.instagram.com/p/DOlU8YRCNES/?__d=1%2F%2F | |
| [5] https://pavillon-hannover.de/statement-verlegung-collecting-dreams | |
| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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