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# taz.de -- Stadtgespräch aus Härnösand: Wolkenbruch mit Folgen
> Wie sintflutartiger Regen eine Region im Norden Schwedens geradewegs in
> den Abgrund und urplötzlich auch in die überregionalen Nachrichten reißt.
Bild: Nach dem Regen: Entgleister Zug in Skorped, in den Waggons wurden Munitio…
Der Regen war als „wolkenbruchartig“ angekündigt, mit gelber Warnung vom
schwedischen Wetterdienst. Anfangs war alles wie erwartet: nachts
prasselnde Wassermengen, vormittags wieder Ruhe. [1][Nachbar Olsson] nahm
die Schaufel, um unseren Weg wieder einzusammeln.
Eine Schubkarre voller Schotter, bei jedem Starkregen runtergespült bis zur
Straße, damit füllte er die Löcher so gut es geht wieder auf. Ich hatte
schon geholfen, jetzt saß ich wieder am Schreibtisch. Das Radio lief.
Die Lokalnachrichten: [2][Wer nicht unbedingt irgendwo hin müsse, solle das
Autofahren vorerst lassen]. Die überregionalen Nachrichten: Der Regen habe
in der Region Västernorrland zahlreiche Straßen und Bahngleise unterspült.
Bei Härnösand sei am Morgen ein Auto in einen Spalt in der Straße gestürzt.
Ein Freund aus Stockholm schrieb besorgt: Alles klar bei dir? Langsam
sickerte es in mein Bewusstsein. Ungeahnte Abgründe hatten sich aufgetan.
Unser Schotterproblem war in Wirklichkeit harmlos.
## Glück gehabt
Ich ging zu Herrn Olsson. „Hast du das gehört?“, fragte ich. „Was?“, m…
er. Ich zählte auf: Zwei Güterzüge entgleist, einer beladen mit
gefährlicher Munition. Mehrere Dörfer vom Straßennetz abgeschnitten, eins
davon direkt bei uns. Die Hauptstraße nach Sollefteå weggesackt.
Er konnte sich nicht daran erinnern, so etwas schon mal erlebt zu haben.
Wir hätten Glück, meinte er, unsere Häuser stünden sicher auf ihren Felsen.
Mir erschien plötzlich nichts mehr sicher. 100 Millimeter Regen innerhalb
weniger Stunden, Rinnsale wurden Flüsse, Entwässerungsrohre verstopft,
Straßen überflutet, um dann zu verschwinden.
Mit den Tagen bekam das Ausmaß Zahlen. 3.000 Kilometer Straßennetz waren
betroffen, 42 Straßen und Wege teilweise ganz weggespült. Ein Mann starb,
er hatte in dem Auto gesessen, das in den Abgrund gefahren war.
Plötzlich war die nördliche Hälfte Schwedens vom Bahnverkehr abgeschnitten,
mit internationalen Folgen. Eine Schlagzeile: Norwegische Lachsindustrie
macht Millionenverluste. Weil die Fische nicht schnell genug nach Europa
kommen. Immerhin kam schnell genug Essen auf die andere Seite des lokalen
Höllenschlunds: Die Frau vom Dorfladen belieferte die von allen Straßen
abgeschnittenen Menschen mithilfe von Körben und einem Seil.
## Von Satelliten überwacht
Die Bereitschaftsbehörde teilt mit, dank der EU sei die Region nun
satellitenüberwacht, was künftig schnellere Reaktionen erleichtern solle.
Die Infrastrukturbehörde verteidigt sich gegen Kritik, sie sei zu langsam
gewesen. Und die Waldbehörde stellt fest, dass der hier übliche Kahlschlag,
der von alten Wäldern nur riesige Brachflächen übrig lässt, zum schweren
Ausgang beigetragen haben könnte. Im Wald versickert Regen besser, erfahren
die Schweden jetzt.
Härnösand ist auch die Heimat von Amanda Lind, der Co-Vorsitzende der
schwedischen Grünen. Sie kam, sah und forderte eine „nationale
Kraftanstrengung“ für Klimaanpassungen.Unter Nachbarn, in den Zeitungen und
in der Politik: Es gibt auch in Schweden die, für die feststeht, dass dies
ein Klimathema ist. Und solche, die es runterspielen: Schlecht unterhaltene
Straßen, typisch für vernachlässigte ländliche Regionen – macht jetzt
daraus kein Klimathema.
Herr Olsson vermeidet es – bis auf seltene Witze über die
Schwedendemokraten – über Politik zu reden. Er müsse unseren Weg öfter
flicken als früher, stellt er nur fest. „Jetzt kriegen die Menschen die
Rechnung“, sagt er, nicht unamüsiert.
Die Hauptstraße nach Sollefteå ist wieder freigegeben – der reparierte
Abgrund noch eine Schotterpiste, neuer Asphalt kommt später. Dem
Regionalflughafen fehlt immer noch seine Zufahrt, ein Kartoffelbauer
beklagt seine verlorene Ernte. Nach zehn Tagen Stille ist das Geräusch
vorbeifahrender Güterzüge wieder da. Noch in begrenztem Umfang, heißt es.
Ob der Lachs wieder rollt, ist von hier aus nicht zu erkennen.
19 Sep 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Anne Diekhoff
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