| # taz.de -- Kinotipp der Woche: Räume und Menschen | |
| > Judit Elek trat 1956 als erste Frau ein Filmstudium in Budapest an. Und | |
| > wurde später zu einer zentralen Figur der Erneuerung des ungarischen | |
| > Films. | |
| Bild: Still aus „Sziget a szárazföldön“ („The Lady from Constantinople… | |
| Die Protagonistin von „Sziget a szárazföldön“ („The Lady from | |
| Constantinople“) lebt in Erinnerungen – und ist manchmal freigiebiger mit | |
| diesen, als anderen lieb ist. Als ein Dozent sich in einem Vortrag über | |
| Konstantinopel und dessen Sehenswürdigkeiten ergeht, unterbricht sie ihn | |
| wiederholt, um seine Ungenauigkeiten zu korrigieren und durch etwas | |
| mäandernd wiedergegebene Anekdoten zu ergänzen. | |
| Sie lebt in einer geräumigen Wohnung, in der sie ihre Erinnerungen | |
| konserviert wie in einem lebensgroßen Einmachglas. Als sie sich schließlich | |
| entschließt, die Wohnung zum Tausch anzubieten, füllen sich die Räume | |
| schnell mit Menschen und so auch mit Leben. | |
| „Sziget a szárazföldön“ ist das Spielfilmdebüt der ungarischen Regisseu… | |
| Judit Elek. Bereits seit letztem Freitag zeigt das Arsenal in Kooperation | |
| mit dem Filmkollektiv Frankfurt eine [1][Auswahl aus dem Werk der | |
| ungarischen Regisseurin] im Berliner Kino Krokodil und im Collegium | |
| Hungaricum. | |
| Elek wurde 1956 als erste Frau für ein Filmstudium in Budapest zugelassen, | |
| das sie 1961 abschloss. Allerdings nicht, wie ihre männlichen Kommilitonen | |
| mit einem Diplom als Spielfilmregisseurin, sondern als | |
| Dokumentarfilmregisseurin. Nichtsdestotrotz war sie eine der | |
| Filmemacher_innen, die das Béla Balázs Studio, eines der zentralen | |
| Studios der Erneuerung des ungarischen Films, neu gründeten und von einem | |
| Filmklub in ein Studio verwandelten. | |
| Elek zeigt ihre Protagonistin in „Sziget a szárazföldön“ mit großer | |
| Sympathie. Und doch eröffnet die Bildsprache des Films eine weitere Ebene | |
| unter der Nostalgie. So ist die Protagonistin auffallend oft in weiten | |
| Einstellungen zu sehen, die den Raum und ihre Umgebung sichtbar werden | |
| lassen. Besonders fällt das in einigen Szenen auf, die sie allein auf dem | |
| Dach oder später beim Packen in der Wohnung zeigen. | |
| Die gesellige Feier hingegen, die sich spontan aus der Besichtigung ihrer | |
| Wohnung ergibt, ist in näheren Einstellungen gehalten. Elek zeigt hier | |
| allein auf der Bildebene die Sehnsucht nach sozialen Kontakten inmitten | |
| eines weitgehend isolierten Alltags. | |
| Interessanterweise ist dieses Vorgehen, Kontraste in der Bildsprache für | |
| die Filme nutzbar zu machen, in Eleks Spielfilmen auffälliger als in ihren | |
| Dokumentarfilmen. In „Egyszerű történet“ („Eine einfache Geschichte“… | |
| 1975 beispielsweise, in dem Elek ihre Langzeitbeobachtung im Dorf | |
| Istenmezeje fortsetzt, gibt es ebenfalls einige Sequenzen, die aus dem | |
| Fluss des Films herausstechen, sie gleichen hier jedoch eher einem stumm | |
| beobachtenden Zwischenspiel inmitten der übrigen Gesprächigkeit des Films. | |
| „Tutajosok“ („Memories of a River“) von 1989, einer der bekanntesten Fi… | |
| Eleks, zeigt die antisemitische Kampagne gegen eine Gruppe von Jüd_innen | |
| nach dem Unfalltod einer Jugendlichen auf dem Land im Nordosten Ungarns | |
| Ende des 19. Jahrhunderts. Wird das Leben auf dem Land noch in zahlreichen | |
| Totalen gezeigt, verschwinden diese mit der Repression und der Verhaftung | |
| zunehmend. Freiheit und Unfreiheit sowie der Verlust des Zusammenlebens | |
| finden sich gleichermaßen in den Bildern. | |
| Die Reihe des Arsenals lädt dazu ein, das schmale, bildgewaltige filmische | |
| Werk einer großen ungarischen Regisseurin wiederzuentdecken. Die | |
| Einführungen zu einigen der Filme geben den Kontext an die Hand, um sie | |
| noch weitergehend würdigen zu können. | |
| 17 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmreihe/kino-krokodil-collegium-hungar… | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
| ## TAGS | |
| taz Plan | |
| Ungarn | |
| Filmgeschichte | |
| Regisseurin | |
| taz Plan | |
| Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
| Kinogeschichte | |
| taz Plan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kinotipp der Woche: Die Ausnahmeschauspielerin | |
| Das Zeughauskino zeigt Filme der ukrainischen Schauspielerin Anna Sten, die | |
| es nach Hollywood zog, darunter der verschollen geglaubte „Moi Syn“ von | |
| 1928. | |
| Dokumentarfilm zum Anschlag von Hanau: Zeugnis ablegen für die Getöteten | |
| Marcin Wierzchowski blickt in dem Dokumentarfilm „Das deutsche Volk“ auf | |
| den Anschlag von Hanau aus der Perspektive der Angehörigen und | |
| Überlebenden. | |
| Kinotipp der Woche: Recht auf Neuerfindung | |
| Das Kant Kino lädt zum Special Screening von „Legally Blonde“. Vorab gibt's | |
| eine Drag Show und für das beste Outfit Freikarten und Snacks zu gewinnen. | |
| Kinotipp der Woche: Film als Versuchsanordnung | |
| Die Filmgalerie 451 würdigt das Werk des Experimentalfilmers Klaus Wyborny. | |
| Sieben Filme aus knapp vier Jahrzehnten gibt es kostenlos zum Streamen. |