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# taz.de -- Mogelpackungen im Visier: Große Tüte, kleiner Inhalt
> Mogelpackungen sind ein Ärgernis für Verbraucher:innen. Nun geht sogar
> ein Fall vor Gericht – doch die Politik reagiert zurückhaltend.
Bild: Reingefallen! Milka und viele anderen nutzen die Shrinkflation um ihre Ma…
Berlin taz | Ein Müsli, das statt in der 1,7-Kilo-Packung nun in einer
1-Kilo-Tüte daherkommt und unterm Strich damit knapp 30 Prozent teurer
geworden ist. Ein Streichkäse, bei dem die Füllmenge von 175 Gramm auf 150
Gramm reduziert wurde, der Preis blieb gleich. Ein Shampoo, das bei
konstantem Preis nun 800 Milliliter statt 900 enthält – und nur wer genau
hinschaut, sieht, dass die Verpackung etwas schlanker geworden ist.
Das sind nur drei von [1][über 50 Beispielen], die die Verbraucherzentrale
Hamburg alleine in diesem Jahr für Mogelpackungen gesammelt hat. Also
Lebensmittel und Kosmetika, bei denen der Hersteller eine größere
Inhaltsmenge suggeriert als tatsächlich drin ist. Das geht zum Beispiel mit
einem Anteil an Luft, mit erhöhten Böden in Pappschachteln, wie sie gerade
bei Gesichtscremes häufig zu finden sind. Oder mit einem Trick, den man
„Shrinkflation“ nennt – „shrink“ vom englischen Schrumpfen in Kombina…
mit „Inflation“.
Der Begriff beschreibt ein Phänomen, das besonders seit dem Angriffskrieg
Russlands auf die Ukraine und den zeitweise deutlich steigenden
Erzeugerkosten für Lebensmittel auf der Beliebtheitsskala von
Lebensmittelherstellern nach oben gerückt ist: Dabei wird die Füllmenge
eines Produktes verringert – doch der Preis bleibt gleich, er steigt oder
er sinkt nicht in vergleichbarem Maße wie die Füllmenge. Bedeutet für den
Hersteller: mehr Umsatz mit weniger Wareneinsatz. Und für die Kundin: mehr
Preis, weniger Inhalt.
Die Erzeugerkosten für Lebensmittel haben sich längst wieder auf
niedrigerem Niveau eingependelt, doch Hersteller shrinkflationieren immer
noch gerne weiter. Deshalb eskaliert es gerade sogar ein bisschen: [2][Die
Verbraucherzentrale Hamburg hat jüngst den Milka-Hersteller Mondelez
verklagt]. Der Vorwurf auf Basis von Eichgesetz und
Lebensmittelinformations-Verordnung: Verbrauchertäuschung.
Denn die Schokoladentafel wiegt nicht mehr 100 Gramm, sondern nur noch 90
Gramm, und das Ganze ist besonders geschickt kaschiert, indem die Tafel in
der Fläche gleich geblieben, aber flacher geworden ist. Und steht die Tafel
in den üblichen lilafarbenen Kisten im Regal, ist die Grammangabe erst mal
gar nicht zu sehen.
## Teurer Kakao, teure Schokolade
Mondelez will zu dem Prozess nichts sagen, verteidigt die
Schokoladenentscheidung aber mit hohen Einkaufskosten: „So haben sich
beispielsweise die Kakaopreise in den letzten zwölf Monaten fast
verdreifacht und ein Rekordniveau erreicht“, erklärt Sprecherin Jenny
Linnemann.
Auch andere Kosten, etwa die für Energie, Verpackung und Transport, blieben
hoch, insgesamt sei damit die Herstellung der Produkte deutlich teurer
geworden. Eine Erhöhung der Verbraucherpreise sei das „letzte Mittel“.
Transparenz sei dem Unternehmen aber wichtig. Neben der üblichen
Gewichtskennzeichnung habe man auch via Social Media über die Preisänderung
informiert.
Mondelez ist nicht der einzige Hersteller, der solche Argumente auffährt.
Die Gründe, die Unternehmen der Hamburger Verbraucherzentrale schreiben,
wenn die nach Hinweisen von Kund:innen die Hersteller mit dem
Mogelpackungsvorwurf konfrontiert, klingen meist ähnlich.
Und tatsächlich ist das mit den Preissteigerungen nicht immer ganz von der
Hand zu weisen. Zwar sind die Kakaopreise nach dem durch Ernteausfälle
bedingten Hoch in den vergangenen Jahren gerade leicht am Sinken. Doch sie
liegen immer noch deutlich über dem Niveau von Anfang des Jahrzehnts. Ist
es angesichts dessen nicht netter, ein Hersteller verringert den Inhalt,
als den Preis zu erhöhen?
## Was ist eine Mogelpackung?
„Da kann man sicher darüber diskutieren, gerade, wenn es um Süßigkeiten
geht oder Chips, da kann man sagen, dass weniger Inhalt aus
gesundheitlicher Sicht gar nicht so schlecht wäre“, sagt Armin Valet von
der Verbraucherzentrale Hamburg, der sich seit Jahren mit Mogelpackungen
befasst.
Das Argument gelte aber spätestens nicht mehr bei Grundnahrungsmitteln. Und
außerdem: „Shrinkflation darf vor allem nicht klammheimlich, sondern nur
mit deutlichem Hinweis geschehen.“ Valet hält das beliebte Argument mit den
Rohstoffpreisen häufig für vorgeschoben: „Wird bei einer Schokolade mit
gestiegenen Kakaopreisen argumentiert, heißt das nicht unbedingt, dass bei
den Kakaobauern viel davon ankommt.“
Das grundsätzliche Problem: Was eine Mogelpackung ist, das ist zwar
umgangssprachlich ziemlich klar – juristisch aber nicht. Zwar verbietet das
Mess- und Eichgesetz, Fertigpackungen auf den Markt zu bringen „wenn sie
ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vortäuschen als
in ihnen enthalten ist“.
30 Prozent Luft gelten in der Rechtsprechung als allgemeine Größe für das,
was noch okay ist. Ein Ansatz, den Valet kritisiert: „Warum bekommen
Hersteller es hin, eine Tüte Mehl ganz voll zu machen, aber beispielsweise
bei Proteinpulver ist in der Regel mindestens ein Drittel Luft in der
Packung?“ Die 30-Prozent-Faustregel öffne den Herstellern die Möglichkeit,
mehr Luft als nötig in den Packungen zu lassen.
## Schlechter für die Umwelt
Und dann wäre da noch der Umweltaspekt. Das Institut für Energie- und
Umweltforschung und die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung haben
2021 im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen
[3][untersucht], wie stark die zusätzlichen Verpackungen den Müllberg
erhöhen. Das Ergebnis: 3 bis 27 Prozent an Material – und damit an Müll –
ließen sich mit strengeren Regeln gegen Mogelpackungen einsparen. Das
entspreche jährlich 3 Millionen Mülltonnen à 240 Liter.
Die Politik reagiert zurückhaltend. In der Ampelkoalition hatte die
Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) noch wiederholt
[4][erklärt, gesetzlich gegen Mogelpackungen vorgehen zu wollen] – dazu kam
es jedoch nicht, was vor allem am Widerstand der FDP lag. Ein Sprecher des
nun zuständigen Umweltministeriums von Carsten Schneider (SPD) bezeichnete
Mogelpackungen zwar als „großes Ärgernis“ – verweist aber in Sachen
gesetzliche Regelung lediglich auf die neue EU-Verpackungsverordnung.
Die soll die Hersteller dazu verpflichten, Verpackungen höchstens so groß
und schwer zu machen, wie es für die Funktionsfähigkeit nötig ist. Der
doppelte Boden bei Kosmetika könnte tatsächlich damit fallen. Doch die
großzügige Menge von Luft oder anderen Gasverbindungen in Chipstüten dürfte
bleiben. Denn hier argumentieren die Hersteller mit Schutz für den
Transport. Die neuen Regeln „werden auch der ‚Shrinkflation‘
entgegenwirken“, erklärt der Ministeriumssprecher. Allerdings: Die
Verordnung gilt erst ab 2030.
## Branche findet: Es gibt genügend Schutz
In der Branche ist man ohnehin der Meinung, dass es schon ausreichende
Pflichten gibt: Auf Verpackungen müssen Hersteller drucken, wie viele
Gramm, Kilo, Milliliter oder Liter drin sind. Am Regal müssen die Händler
den Grundpreis etwa pro Kilo oder Liter angeben. So können Kund:innen
vergleichen, ob unterm Strich nun das Müsli in der 375-Gramm Verpackung
günstiger ist oder das in der 425-Gramm-Schachtel.
Auf den Etiketten muss die Liste mit den Zutaten stehen, geordnet nach
Mengenanteilen im Produkt – das, was am meisten drin ist, steht vorne.
Tauscht ein Hersteller etwa in einem Pesto die teuren Pinienkerne gegen
günstigere Zedernnüsse aus oder spart in der Gewürzmischung bei dem teuren
Tasmanischen Pfeffer und erhöht dafür die Menge des günstigen
Paprikapulvers, können sehr aufmerksame Leser:innen das im besten Fall
in der Zutatenliste erkennen.
Auch dieser Trick hat mittlerweile einen eigenen Namen, der allerdings noch
weniger bekannt ist: Skimpflation. Das kommt vom englischen „skimp“, zu
deutsch „knausern“. Allerdings: Argumentiert hier ein Hersteller mit sich
verändernden Präferenzen der Kund:innen, die mehr Paprikageschmack nun mal
besser fänden, ist das schwer zu widerlegen.
## Frankreich geht einen neuen Weg
Einen neuen Ansatz gegen die Shrinkflation erprobt seit dem vergangenen
Jahr Frankreich: Supermärkte ab einer bestimmten Größe sind seitdem dazu
verpflichtet, shrinkflationierte Produkte am Regal zu kennzeichnen. Wie
erfolgreich diese Regelung ist, ließ die französische Aufsichtsbehörde auf
taz-Anfrage offen. Verbraucherschützer Valet hält den Ansatz ohnehin nur
für einen Zwischenschritt.
„Eine deutlich bessere Lösung wäre eine Kennzeichnung direkt auf der
Verpackung.“ In der Branche spricht man hier von einem „Störer“. Das ist
ein optisches Element, abgehoben vom Stil des restlichen Designs, das auf
den geringeren Inhalt hinweist. Die Verbraucherorganisation Foodwatch
fordert damit einhergehend die Verpflichtung, die Menge anzugeben, zum
Beispiel „20 Prozent weniger Inhalt“. In Italien und Belgien gibt es
Medienberichten zufolge bereits Bestrebungen, das national vorzuschreiben.
Derweil zeigt sich, dass Transparenz von den Kund:innen durchaus
geschätzt wird. So schrieb ein Hersteller im vergangenen Jahr „Weniger
Inhalt als vorher“ auf Verpackungen von Tiefkühlkräutern und verband das
mit einer PR-Kampagne. Die Ehrlichkeitsstrategie ging auf: Für die
geringere Füllmenge gab es in den sozialen Medien ausnahmsweise keinen
Shitstorm – sondern Verständnis.
16 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.vzhh.de/mogelpackungsliste
[2] /Klage-wegen-geschrumpfter-Schokolade/!6107809
[3] https://www.vzbv.de/sites/default/files/2021-09/Kurzbericht_Einsparpotenzia…
[4] /Verbraucherschutz-in-Deutschland/!5957968
## AUTOREN
Svenja Bergt
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