| # taz.de -- Wahlen in Moldau: Wenn Propaganda und Religion verschmelzen | |
| > Vor den Wahlen in Moldau am 28. September präsentiert sich Glaube als | |
| > politische Waffe. Die orthodoxe Kirche ist ein Instrument Russlands. | |
| Bild: Osterfest in der Chisinau-Kathedrale in der Hauptstadt von Moldau. Die or… | |
| Es gab da diese Anekdote über meine Großtante Fenja. Man erzählte sie auf | |
| jedem Familientreffen: Fenja sei krumm wie ein Fragezeichen und | |
| arbeitswütig. Auf dem Feld habe sie auf den Knien mit rundem Rücken nach | |
| Kartoffeln gegraben, sei plötzlich zusammengesackt, eingeschlafen – und | |
| nach dem Aufwachen habe sie einfach gleich weitergebuddelt. | |
| Wir lachten, wenn mein Onkel die Geschichte erzählte. Doch sobald wir die | |
| Straße ins moldauische Dorf hinunterfuhren, wurde die Pointe zur traurigen | |
| Realität. Tante Fenja war tatsächlich ein Mensch gewordenes Fragezeichen, | |
| eines, das nur harte Arbeit kannte – und Gott. | |
| In Dörfern wie diesen, fernab der [1][Hauptstadt Chișinău], ist die Kirche | |
| oft die einzige Institution von Gewicht. Sie sagt, wie zu leben sei, sie | |
| deutet die Welt. Ich fragte Tante Fenja einmal, ob sie nicht wütend sei | |
| über die Armut, in der sie lebte. Ihre Antwort war stets dieselbe: Gott | |
| wolle es so, Gott werde es richten. Politiker interessierten sich nicht für | |
| ihr Dorf, also blieb nur die Kirche. | |
| Damals erschien mir das wie eine private Glaubensgeschichte. Heute, | |
| [2][kurz vor den Parlamentswahlen in Moldau am 28. September,] zeigt sich, | |
| wie sehr dieser Glaube auch politische Waffe ist. Die orthodoxe Kirche in | |
| Moldau ist Zuflucht und Machtfaktor zugleich – und längst ein Instrument in | |
| Russlands Kampf um Einfluss. | |
| ## Konkurrieren um Gläubige | |
| In der Republik Moldau sind zwei große orthodoxe Kirchen vertreten: die | |
| Moldauisch-Orthodoxe Kirche (BOM), die dem Moskauer Patriarchat | |
| untersteht und die größte Konfession darstellt, und die Metropolie von | |
| Bessarabien, die zur Rumänisch-Orthodoxen Kirche gehört. Beide konkurrieren | |
| um Gläubige. | |
| Moldaus Präsidentin Maia Sandu spricht von einer der „folgenreichsten | |
| Wahlen“ im September und [3][warnt vor massiver russischer Einflussnahme.] | |
| Sie wirft den Kirchen vor, aggressive Propaganda aus dem Ukrainekrieg zu | |
| übernehmen. In Predigten werde Europa als „Hort des Bösen“ gebrandmarkt, | |
| während Russland sich als Verteidiger „wahrer Werte“ inszeniere. Wer für | |
| die EU stimme, so die Botschaft mancher Priester, stelle sich gegen Gott. | |
| Dasselbe Muster kennen wir aus dem Ukrainekrieg: Die Russisch-Orthodoxe | |
| Kirche segnet Waffen, stilisiert den Krieg zur heiligen Mission, verklärt | |
| gar den Märtyrertod – fast so, wie man es von islamistischen Ideologien her | |
| kennt: Wer für das Vaterland falle, werde von seinen Sünden erlöst. | |
| Russische Desinformationskampagnen sind Teil einer globalen Strategie: In | |
| den USA zielen sie darauf ab, politische Polarisierung zu verstärken, was | |
| indirekt Trump nützen kann; in Europa soll die Einigkeit geschwächt werden. | |
| In Moldau aber konzentrieren sie sich auf die Demontage von Maia Sandu – | |
| oft mit frauenfeindlichen Mitteln. Sandu wird als „Hexe“, „westliche | |
| Marionette“ oder als „kinderlose Frau“ diffamiert, die „keine Werte“ | |
| verkörpere. | |
| Die Kirche ist dafür ein perfekter Resonanzraum: Priester genießen | |
| Autorität in Regionen, in die Politiker kaum vordringen. Ihre Worte | |
| erreichen jene, die ohnehin verunsichert sind – und verknüpfen das | |
| Weltgeschehen mit moralischen Kategorien von Gut und Böse. | |
| Das [4][Stimson Center], ein Forschungsinstitut in Washington, nennt Moldau | |
| „ein Testfeld für hybride Kriegsführung“, deren Methoden künftig auch | |
| anderswo in Europa zum Einsatz kommen dürften. Was dort passiert, hat also | |
| Bedeutung weit über die Landesgrenzen hinaus: Propaganda, Religion und | |
| Desinformation verschmelzen zu einem Instrument, das Demokratien | |
| unterwandert. | |
| Tante Fenja hat daran geglaubt, dass Gott einen Grund hätte, sie abgehängt | |
| leben zu lassen. Für sie war das Trost, wenn auch ein trügerischer. Heute | |
| hat derselbe Glaube eine größere Tragweite – und kann mitentscheiden, ob | |
| Moldau den Weg in die Europäische Union schafft. | |
| 12 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nachtzug-von-Bukarest-nach-Chisinau/!6107862 | |
| [2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/moldau-unabhaengigkeitstag-besuche… | |
| [3] /Razzien-wegen-Korruption/!6105669&s/ | |
| [4] https://www.stimson.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
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