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# taz.de -- Kunsthalle Emden schaut in die Wolken: Wattige Skulpturen
> Fantasietrigger aus Wasser: Die Kunsthalle Emden zeigt, wie sich die
> Wahrnehmung, Darstellung und Interpretation von Wolken entwickelt hat.
Bild: Enttäuschter Romantiker: Heiner Altmeppens „Norddeutsche Landschaft“
Emden taz | Eigentlich sind Wolken bloß Physik: Wenn zu Wassermolekülen
vermählter Sauer- und Wasserstoff von der Sonne aufgeladen wird und ihre
Bewegungs- die Bindungsenergie an der Wasseroberfläche übersteigt, dann
heben die Teilchen als Dampf ab in die Luft. Dort lagern sie an
umherfliegende Dreckpartikel an, kondensieren und gleiten als wattige
Skulptur über den Himmel.
Dort funktionieren sie als Fantasietrigger: Kinder entdecken Tiere in den
Formationen, Liebepaare deuten lustige Wesen hinein, andere
Wettervorhersagen heraus. Und dann erst die Künstler:innen! Sie malen,
fotografieren, filmen Wolken als Metaphern, Rätsel, Traumvisionen, Spiegel
menschlicher Verfassung oder abstrakte Muster.
Mit der Ausstellung „Dem Himmel so nah – Wolken in der Kunst“ zeigt die
Kunsthalle Emden, wie sich die sinnlich-emotionale Wahrnehmung, die
handwerkliche Darstellung und die Interpretationen des bewölkten Himmels in
der bildenden Kunst entwickelt haben.
Im ersten Raum wird das ästhetische Spektrum eröffnet: Der Hamburger Maler
Berend Goos bannte Wolken im 19. Jahrhundert auf Leinwand wie heutige
Farbfilterfetischisten in Social-Media-Accounts – #cloudporn. Vielgestaltig
antworten Zeitgenoss:innen. Daniel Hausig projiziert in seiner Installation
„Wetterleuchten“ (2025) Wolken-Fotos auf die Museumswand, lässt sie aber
auch über Leuchtstäbe als Lichtsequenzen-Loop laufen, zu bestaunen ist eine
in ständiger Bewegung befindliche Pop-Art-Farbspielerei.
Gerhard Richters „Heliogravuren“ (1971) der baumlos-vulkanischen Natur der
Kanaren wird durch die grobkörnige Aufnahmequalität und den Druck auf
Karton in die Unschärfe gerieben. Bereits in dieser Frühphase lässt er neue
Realitäten schemenhaft aus konkreten Landschaften mit Wolken entstehen.
Für anregende Irritation sorgt Nasan Tur. Er zeigt reizvolle Wolkengebilde,
die allerdings stark gerastert sind, da es sich um vergrößerte Ausschnitte
von Zeitungsbildern handelt, die in Gänze vor allem Kriegsszenen zeigen.
Tur stellt aber nur den himmlischen oberen Teil der Fotos aus. Dazu notiert
er, über welcher Gewaltszenerie die mit Asche, Rauch und Staub beladenen
Wolken schweben, lenkt so den Blick von der Schönheit da oben auf die
ursächlichen Bestialitäten darunter.
Ähnlich arbeitet Almut Linde. Ihr fotografischer Blick gen Himmel zeigt ein
malerisches Kondensstreifengeflecht – mit dem Wissen, dass es sich um
abhebende Treibhausgas-Emittenten am letzten Tag der
[1][Weltklimakonferenz] 2019 in Madrid handelt, ist die Wahrnehmung sofort
eine inhaltliche.
Auch für politisch schlichte Deutungen ist gesorgt. Josef Scharl zeigt mit
seinem dezent expressionistischen „Brewing Thunderstorm“, auf dem Wolken
wie zwei Bösewichtaugen über friedlicher Agrarlandschaft platziert sind,
wie der Emigrant 1943 in New York auf seine NS-barbarisierte Ex-Heimat
blickt.
Vor allem aber geht es in Emden um historisch gewachsene Positionierungen.
Beginnend mit der romantisch überhöhten, winzige Menschen in sich
aufnehmenden Landschaftsmalerei, in der Wolken die Naturszenen dramatisch
aufladen. Es gibt reichlich dramatische Gewitterstimmungen und idyllische
Sonnenuntergangsatmosphäre, gern auch mit Regenbogen und dem Zauber eines
sich an sturmzerzausten Wolkenrändern brechenden Lichts.
Selbst werden die diffusen Gestaltwanderinnen auf den Bildern immer größer.
Etwa in Andreas Achenbachs „Blick auf Neuss“ (1871). Dort erdrückt der drei
Viertel des Formats einnehmende Wolkenhimmel geradezu die Flusslandschaft
darunter – oder erweitert sie ins Himmelreich, eröffnet den unendlichen
Raum metaphysischer Sphären. Immer wieder lassen Künstler:innen durch
Wolkenlücken goldgelb-göttliches Licht strahlen.
Aber „Über den Wolken ist nichts“. Mit diesem Brecht zugeschriebenen Zitat
kontrastiert die Ausstellung den Gedankentüdel, den Menschen gen Himmel
richten. Der lapidare Satz steht auf einem von Hunderten mit Wolken- und
Wetterpoesie beschrifteten oder bemalten Visitenkarten-Rohlingen, die Nanne
Meyer in einem Raum wie Gedankentropfen zu Wolkengebilden arrangiert hat.
Und was ist unter den Wolken? Mit „Norddeutsche Landschaft“ (1981) zeigt
sich Heiner Altmeppen als zeitgenössisch enttäuschter Romantiker. Er malte
in Märchenlicht illuminiertes Agrarland, darüber locker-lieblich
arrangierte Schaumhaufengebilde, am Horizont dahinter aber zeichnet sich
klein die Silhouette einer Großstadt ab mit hässlicher Hochhäuser- und
Industriearchitektur.
Da schlechtes Wetter immer gut ist für wildbewegte Videos, hat sich
[2][Ursula Palla] für ihre Filmarbeit „Clouds and Foam“ (2019) auf
[3][Norderney] mit ihrer Kamera dem Sturm am Strand entgegengestemmt und
macht nun erlebbar, wie sich Wolken und Gischt tobend vermengen. Ein
Überwältigungserlebnis.
13 Sep 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Kunst
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Kolumne Die Wahrheit
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