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# taz.de -- Die Wahrheit: Mit Wikingern bin ich durch
> Nicht nur die Exponate, sondern auch die faszinierenden Besucher einer
> Ausstellung im norddeutschen Schloss Gottorf sind sehr beeindruckend.
Die [1][Wikingerausstellung in Schloss Gottorf,] das recht ansehnlich im
norddeutschen Schleswig herumsteht, ist ein bisschen verstörend. Das liegt
aber nicht an den Exponaten, sondern an den Besuchern. Ihre Identifikation
mit dem Ausstellungsgegenstand ist sichtbar hoch. Man besichtigt quasi
Wikinger, die auf Wikinger starren.
Eine derart hingebungsvolle Cosplay-Fanbase trifft man vielleicht in den
Manga-Hallen der [2][Leipziger Buchmesse], aber kaum jemals in
Antikensammlungen. Nicht einmal durchs Römisch-Germanische Museum der
Kostümhochburg Köln marschieren als Legionäre und Ubier verkleidete
Besucher.
Doch das Nordvolk wirkt bis heute anziehend, vor allem auf Männer mit
Streaming-Abo: Der Neo-Nordmann trägt das Haupthaar seitenrasiert wie
Netflix-Vorbild Ragnar aus der Serie „Vikings“ und den Wallebart mit
Ringlein durchsetzt wie sein Kumpel Rollo, bevor er sich als Herzog
manierlich anziehen musste. Runen-und Ranken-Tattoos am Unterarm und
Thorshammer um den Hals sind Must-haves. Noch immer diktiert das
Historienfernsehen altskandinavischen Biker-Look, dabei wäre ein maritimer
Jarl-Preppy-Style mit Top-Sider-Drachenbootschuhen, Prinz-Blauzahn-Mütze
und Blazer aus Bärenhaut auch mal hübsch.
Doch nicht nur optisch haben die Barbarenserien Spuren bei den
Netflix-Plünderern hinterlassen. Über deren Helden plaudern die angejahrten
[3][Wickie]-Fans, als hätten sie neben ihnen im Langboot und nicht bloß
sechs Staffeln lang vor dem Fernseher gesessen. Ihre Erkenntnisse teilen
sie bereitwillig – eine Wikingerausstellung ist immer ein Smörgåsbord
gehobenen Mansplainings.
Texttafeln werden tapfer ignoriert, lieber wagen sich die Helden aufs dünne
Eis historischen Halbwissens. Viele Männer haben Geiseln in die Ausstellung
verschleppt: Ein Gabelbärtiger belehrt seinen Nachwuchs bis zur Weißglut
über mittelalterliche Waffenschmiedekunst. Ein Bursche im Pagan-Metal-Shirt
versucht seine Begleitung mit einem Impulsreferat zum Nordischen Imperium
zu beeindrucken, aber die heftig belaberte Schildmaid hat beide Ohren auf
Durchzug gestellt.
Außerdem verrutschen dem Referenten die Wissensgebiete. Als ich darauf
hinweise, dass Eisdrachen meines Wissens nur bei „Game of Thrones“
vorkommen, werde ich zum Zweikampf gefordert. Zum Glück sind die rostigen
Schwertreste fest in Vitrinen verschlossen.
Ich flüchte in den Schlosspark. Dort versucht eine Rotte betrunkener Dänen,
mit einem Kanten Brot einen Blutadler anzulocken, es beißen aber nur Enten
an. Während das wehrhafte Geflügel das Gelände räumt, setzt norddeutscher
Dauerregen ein. Morgen ist also erneut Museumstag, aber mit Wikingern bin
ich durch. In der Hamburger Kunsthalle wird „Surrealismus und deutsche
Romantik“ gezeigt. Eine schöne Gelegenheit, den Kostümtrend in die
Kunstwelt zu tragen und als brennende Giraffe oder blaue Blume hinzugehen.
17 Jul 2025
## LINKS
[1] https://museum-fuer-archaeologie.de/de/wikingerdaemmerung-zeitenwende-im-no…
[2] /Schwerpunkt-Leipziger-Buchmesse-2025/!t5031096
[3] /Die-Wahrheit/!5377528
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Ausstellung
Kunst aus Skandinavien
Netflix
Schattenwirtschaft
Grönland
Tourismus
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