# taz.de -- Die Wahrheit: Friedensfahrt in den Windpark | |
> Wagemutige Kreuzfahrttouristen können jetzt abenteuerliche Schiffspartien | |
> mit Putins Schattenflotte buchen und lichtscheue Ziele ansteuern. | |
Bild: Traumhafte Erholung auf dem Schattenrussentanker „Kiwala“ unter der F… | |
„Ich habe sehr sonnenempfindliche Haut, deswegen hatte mich die Kreuzfahrt | |
auf dem schwarzen Tanker einer extrem lichtscheuen Schattenflotte sofort | |
angesprochen“, bekundet Gesine Wollner aus Bad Salzuflen und versucht sich | |
mit einer verblichenen Persenning gegen die Äquatorsonne zu schützen, | |
während der altersschwache Tanker durch die Straße von Mosambik stampft. | |
Doch zum Fahnenappell müssen auch zahlende Gäste auf dem Oberdeck antreten: | |
Ein-Mann-Bordkapelle Viktor spielt die liberianische Hymne auf dem | |
Akkordeon, und Kapitän Rodja Rastapopoloff lässt sich in einer kleinen | |
Zeremonie auf den Namen „Roberto Rastapopoulos“ taufen, einen falschen Bart | |
und ein echtes Monokel ankleben. | |
Als Ziel der Reise wird der indische Hafen von Jamnagar ausgerufen. Um die | |
Herkunft des sanktionsbelegten russischen Öls zu verschleiern, lässt | |
Präsident Putin seine Schattenflotte von Tankern auf sich ständig ändernden | |
Routen über die Weltmeere schippern. Ladung und Herkunft der Schiffe werden | |
seit Jahren routiniert umdeklariert, doch erst jetzt werden Touristen aus | |
dem Westen mit an Bord genommen. An den autoritären Kommandoton im | |
russischen Hospitality-Business müssen sich die Gäste allerdings erst noch | |
gewöhnen. | |
„Das letzte Mal hieß es noch, wir fahren nach Usedom“, beschwert sich die | |
sensible Kreuzfahrerin Wollner. Laut Prospekt, in dem die | |
Gesamtschullehrerin sich über die Überraschungsreise informiert hatte, | |
sollte der Öltanker „spannende Destinationen in | |
Baltikum/Skandinavien/Arktis“ anfahren, doch als Wollner beim letzten | |
Landgang Kamele auf der Straße entdeckte, ahnte sie, das sie die Pommersche | |
Bucht hinter sich gelassen hatte. | |
## Schrottreifes Schiff | |
Zum achten Mal seit dem Stopp im mauretanischen Nuakschott wechselt | |
Wollners Urlaubsdomizil heute die Flagge und den Eintrag im internationalen | |
Schiffsregister. Auch seinen ursprünglichen Namen trägt das schrottreife | |
Schiff längst nicht mehr. Zu Ehren der einzigen Frau an Bord und nominellen | |
Eignerin pinseln zwei Matrosen in ungelenken Buchstaben „Baroness Excelsior | |
Gesine Wollner“ an den rostzerfressenen Bug. Kurz darauf überreicht Käpt’n | |
Rastapopoulos der frischgebackenen Reederin einen Untermietvertrag für ein | |
Postfach auf den Jungferninseln. | |
„Das ist alles hochgradig legal“, behauptet Kapitän a. D. Gerd „Fiete“ | |
Schröder in Hannover, der seit dem Ukrainekrieg statt herkömmlicher | |
Butterfahrten auf der Nordsee die russischen Ölfahrten um den gesamten | |
Globus mit seiner Firma Druschba Surprise Cruises zu vermarkten versucht. | |
„Jede Reise ist ein einzigartiges Abenteuer mit ungewissem Ausgang, von dem | |
noch ihre Enkel den Anwälten erzählen werden.“ | |
In dieser Hinsicht gibt Kundin Gesine Wollner ihrem Reiseveranstalter sogar | |
recht. „Losgefahren sind wir in Kaliningrad als Öltanker ‚Simon Bolivar‘ | |
aus Panama“, bestätigt die unfreiwillige Strohmännin zur See. „Auf See | |
haben wir uns umbenannt, um als Ausflugsdampfer ‚Wilhelm Gustloff II‘ unter | |
philippinischer Flagge durch die Ostsee zu kreuzen, als mongolischer | |
Kamelfrachter ‚HMS Hülegü‘ in den Skagerrak zu fahren und unter der Flagge | |
des Königreichs Aragón auf Spitzbergen anzulanden. Danach habe ich ein | |
wenig den Überblick verloren.“ | |
Wie sie vom Nordmeer auf die Südhalbkugel geraten sind, vermag Gesine | |
Wollner nicht mehr genau zu sagen. „Frau immer viel schlaf! Erholung gut!“, | |
souffliert Bordkapelle Viktor in ihre Erinnerungslücke – der Seebär aus | |
Archangelsk fungiert bei der Tour auch als Animateur, Etagenkellner und | |
Schiffsarzt. Womöglich rührt Wollners desolater Zustand aber auch von der | |
Polarkreistaufe vor Island, die nach KGB-Tradition mit Rohypnol, Wodka und | |
einem Holzhammer vollzogen wurde. | |
Jedenfalls hat die sonnenverbrannte Rothaarige genug von der Schiffspartie | |
zum Wendekreis des Steinbocks, doch das Kleingedruckte im Reisevertrag | |
hindert sie daran, von Bord zu gehen oder jemals wieder legal in die EU | |
einzureisen. | |
Sobald die tiefschwarze Tropennacht fällt, will die frustrierte | |
Passagierin ein Rettungsboot klauen, um den Rest ihrer Sommerfrische wieder | |
in Bad Salzuflen oder notfalls mutterseelenallein auf dem Indischen Ozean | |
zu verbringen. „Es gibt keine Rettungsboote“, bricht sie die Mission kurze | |
Zeit später ernüchtert ab. | |
## Hardcore-Kreuzfahrer | |
Unverändert begeistert von der globalen Spritztour zeigt sich dagegen ein | |
Brüderpaar aus Recklinghausen, das sich als „Hardcorekreuzfahrer der ersten | |
Stunde“ bezeichnet. „Wir haben alles mitgemacht: Heavy-Metal-Cruises auf | |
der Oker, Rock-Hopping mit der ‚Costa Concordia‘ und Verstecken auf der | |
‚Achille Lauro‘ “, gibt Gottfried Auskunft. „Außerdem den Norovirus-Tr… | |
durch die Karibik und die Piratentour mit exklusiver Hostage-Exchange-Gala | |
in Mogadischu“, ergänzt der jüngere Balduin. | |
Schon für den Herbst haben die beiden Urlauber aus dem Pott die nächste | |
Schiffspassage gebucht. „Mit einem chinesischen Containerschiff fahren wir | |
die sehenswertesten Unterseekabel in den Gewässern der EU ab“, freut sich | |
Hobbyangler Gottfried. „Bestimmt dürfen wir auch selbst den Schleppanker | |
auswerfen.“ | |
„Im Kreuzfahrtsegment trendet der politische Aktiv- und Sabotageurlaub“, | |
bestätigt Veranstalter Schröder, der auch Segeljachten an Unbekannte für | |
Ostseetörns zu den Erdgaspipelines vermietet. Für ein Reisegrüppchen | |
altgedienter Sozialdemokraten organisiert er derzeit eine vogelkundliche | |
Tour durch einen Offshore-Windpark vor der dänischen Küste. „Während unsere | |
Gäste mit Ferngläsern nach russischen Friedenstauben Ausschau halten, kann | |
das Schiff ungestört Windräder rammen und damit die Stromversorgung für | |
Nordeuropa lahmlegen. Anschließend geben wir alle zusammen der Nato die | |
Schuld“, fasst Schröder das Reisemanifest zusammen. | |
Doch ob auch die Passagiere der „Baroness Excelsior Gesine Wollner“ an | |
künftigen Reisen der Schattenflotte teilnehmen können, scheint zweifelhaft. | |
Zum einen wurde das Schiff gerade in „Akademik Wodka Gorbatschow“ | |
umbenannt, nachdem Namenspatronin Wollner über Bord gesprungen ist, um sich | |
schwimmend nach Bad Salzuflen durchzuschlagen. | |
Zum anderen droht neues Ungemach: Besatzung und Gäste haben schwärende | |
Pusteln entwickelt, sodass der geplante Landausflug nach Antsiranana wegen | |
Quarantäne entfällt. Bordkapelle Viktor unterhält die beiden verbliebenen | |
Kreuzfahrer derweil mit Seemannsliedern. „Wir lagen vor Madagaskar …“, | |
singen Gottfried und Balduin begeistert mit. | |
7 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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