| # taz.de -- Neues Album von Rapper Ghostface Killah: Wenn alles fließt und zug… | |
| > Wu! Auf seinem neuen, geschichtsbewussten Soloalbum „Supreme Clientele 2“ | |
| > entsteht ein unwiderstehlicher Reim-Flow. Wie macht Ghostface Killah das? | |
| Bild: Anders als viele seiner Kollegen vom Wu-Tang Clan wird er nicht auf seine… | |
| Wer sich heute HipHop nähert, hat eine seit rund 50 Jahren gewachsene | |
| Kultur und Vorstellungswelt vor sich. 50, das ist auch fast exakt das | |
| Lebensalter des New Yorker Rappers Ghostface Killah, einem gewichtigen | |
| Akteur jener urban geprägten Musikkultur. | |
| Das Faszinierende an Ghostface Killah: An seiner Figur wird HipHop real | |
| erfassbar und zugleich zum Mythos. Dennis Coles, so sein bürgerlicher Name, | |
| hat dabei mitgeholfen, diese düstere mystische HipHop-Welt zu bauen, die in | |
| den 90ern auf das reale New York projiziert wurde und bis heute Bestand | |
| hat. | |
| Zusammen mit seiner legendären Crew, dem [1][Wu-Tang Clan,] bewegt sich | |
| Ghostface Killah in diesen durchaus cineastischen Gefilden seit 1993. So | |
| ähnlich wie die Marvel-Superhelden [2][„The Avengers“,] die auch so manche | |
| Schlacht gegen die Superbösewichte des Universums in New York geschlagen | |
| haben. | |
| ## Manchmal nennt er sich iron Man | |
| Ghostface Killah nennt sich selbst bisweilen sogar „Iron Man“, nach dem | |
| Marvel-Superhelden. Manchmal nutzt er auch dessen bürgerlichen Namen Tony | |
| Starks als Alias oder verarbeitet ihn weiter zu „Pretty Toni“, die Liste | |
| ließe sich verlängern. HipHop in der Version von Ghostface hat sich | |
| mittlerweile weit verzweigt in unzählige Äste – genau wie das | |
| Marveluniversum – und ist mindestens so komplex. Und jetzt hat Ghostface | |
| Killah auch noch ein neues Album veröffentlicht, „Supreme Clientele 2“, ein | |
| Sequel, auch das kennt man von Marvelverfilmungen: „The saga continues“. | |
| Da kommt selbst so mancher HipHop-Fan durcheinander. Macht aber nichts, | |
| denn die Spurenelemente bleiben gleich. Experten bestehen darauf, dass es | |
| eine klassische Periode von HipHop gibt, ein [3][Goldenes Zeitalter,] | |
| zumeist wird es in den 1990ern verortet. Ghostface Killah ist zwar ein | |
| Superheld jener Zeit, aber kein Captain America des Rap, dafür steht er | |
| etwas weiter am Rand. | |
| Vielleicht ist das auch der Grund, warum es so viel Spaß macht, Ghostface | |
| Killah jetzt wieder zu hören: Anders als viele Wu-Tang-Kollegen wird er | |
| nicht so sehr auf seinen Ikonenstatus festgenagelt. Obwohl er genauso gut | |
| rappt wie die Lichtgestalten unter ihnen. Auf seine Art ist er als Rapper | |
| genauso gut wie Method Man, GZA, RZA und Ol’Dirty Bastard. | |
| Als Rapper ist Ghostface jetzt sogar noch besser als früher. Er ist nicht | |
| mehr auf jugendliche Energie angewiesen, um seine Skills zu entfalten, und | |
| besitzt inzwischen mehr Gewicht und Autorität als früher und reimt | |
| effektiver. Als HipHop begann, dachten fast alle, es wäre ein „young men | |
| game“. Jetzt stellt sich heraus, dass Hingabe und Zeit auch im HipHop | |
| martialische Meisterschaft hervorbringen kann. Wu Tang ist Kampfkunst, und | |
| Ghostface ist ein alter Meister dieses Stils. | |
| ## Der Sound knallt | |
| Ghostface hat „Flow“, eine grundsätzliche Qualitätseigenschaft von | |
| HipHop-Sprachbehandlung. Der Flow von Ghostface Killah ist fast schon | |
| Naturgewalt, eine stetige Bewegung von gesprochener Sprache, Slang, | |
| unwiderstehlich nach vorne gezogen. Sein Stimmeinsatz ist hochenergetisch | |
| und brennend. Feuerwasser. Selbst wenn man kein Wort versteht, die Codes | |
| nicht kennt, die Referenzen verpasst, von denen es auf „Supreme Clientele | |
| 2“ viele gibt, der Sound knallt, immer noch, immer wieder, ganz | |
| zeitunabhängig. | |
| Wer wissen will, wie sich das anfühlt, wenn alles fließt und gleichzeitig | |
| brennt, der kann das einfach mal nachmachen, es wirkt schon, wenn man dem | |
| Ganzen unbeholfen mit Fantasiesprache hinterher vokalisiert. | |
| Ghostface Killah bewegt sich inhaltlich zwar immer noch in einem von | |
| Drogen, Gewalt und Sex durchsetzten HipHop-New-York, aber er legt in seine | |
| Geschichten mehr Tiefe als die Neo-90er-Cocaine-Dealer-Rapper, die sich | |
| heute auf ihn als Schöpfer jener fiktionalen Unterwelt berufen. Ghostface | |
| erzählt Geschichten, vielschichtig, ambivalent, brutal. Er kann ergreifen, | |
| anfassen, wie in dem Track „4th Disciple“, bei dem er beschreibt, wie ein | |
| Freund in seinen Armen stirbt: „I wiped the blood from his mouth / Before | |
| my eyes, I seen globs of this black shit come out.“ | |
| Der Wortkünstler kann aber auch sehr lustig sein, wenn er poetischen Bilder | |
| wie dieses liefert: „I’m like Gandhi on dust.“ Sich die Ikone der Askese, | |
| Mahatma Ghandi, auf Phencyclidin vorzustellen, also eine der großen Seelen, | |
| die auf keiner Top-Ten-Liste der Erleuchtung fehlen darf, auf einer Droge | |
| mit dem Straßennamen Angel Dust, kann einen schon zum Kichern bringen. | |
| ## Gegen das Image gecastet | |
| Beim Track „The Trial“ spielt er mit seinen alten Wu-Tang-Kollegen Method | |
| Man, Raekwon, GZA, ergänzt um die jungen Rapper Pills und Reek da Villain, | |
| eine Gerichtsverhandlung nach, was äußerst unterhaltsam ist. Den | |
| Oberregelmissachter Method Man gegen sein Image gecastet wie ein | |
| vorsitzender Richter „Order in the court! Order in court“ rufen zu hören, | |
| das ist ein kontraintuitiver Schachzug von Ghostface als Regisseur der | |
| Handlung. | |
| Ghostface beherrscht das Spiel mit dem Unerwartbaren. Er kann in einem | |
| Augenblick gnadenlose Realität schildern, um dann im nächsten Moment fast | |
| kindlich herumzualbern, diese Gegensätze sind faszinierend. Ghostface hat | |
| erlebt, wovon er erzählt. Er kennt den New Yorker Drogenhandel aus eigener | |
| Anschauung, weiß also auch, wie eine Gerichtsverhandlung läuft. Aber sein | |
| Umfeld und seine Vergangenheit bestimmen nicht über ihn. Er kann aus einem | |
| Gerichtssaal einen Spielplatz und aus einem Sprachspiel eine Waffe machen, | |
| das ist machtvoll. | |
| Die Liste der Gäste ist illuster, Stars wie Nas und Redman sind dabei, das | |
| kommt nicht unerwartet. Ghostface Killah trommelt berühmte Akteure | |
| zusammen, erarbeitet mit ihnen HipHop-Tracks nach klassischen Formeln und | |
| haut die dann raus. Das Rad wird dabei nicht neu erfunden, aber „Supreme | |
| Clientele 2“ ist trotzdem keine Dutzendware, die Musik klingt bei aller | |
| Hingeworfenheit präzise und geht sehr liebevoll mit der HipHop-Historie um. | |
| Ghostface Killah weiß, was er kann und von wem er es gelernt hat, von den | |
| Oldschool-Rappern Biz Markie und Slick Rick nämlich, deren Liebe zu | |
| Geschichten, deren Schalk, sprachspielerische Finesse und Unverfrorenheit | |
| bei „Supreme Clientele 2“ immer wieder durchschimmern. | |
| ## Aufgebohrt, tiefergelegt | |
| Was die Musik anbelangt, ist die Strecke zwischen den Tracks „Force MD“, | |
| „Break Beats“ und „Beat Box“ sehr lehrreich, zwei dieser Tracks heißen | |
| sogar so wie die elementaren HipHop-Bausteine, die dann im jeweiligen Stück | |
| benutzt werden. Unterwegs von einem Song zum nächsten bekommt man also fast | |
| nebenher die Grundlagen vermittelt. Wie bei einer Schnitzeljagd kann man | |
| auf diesem Album versteckten Hinweisen folgen, Samples und Tracks neu- oder | |
| wiederentdecken und landet dann schließlich bei der Singleauskoppelung des | |
| Albums „Rap Kingpin“. | |
| Im Intro sind die ersten Töne von „My Melody“ erahnbar, einem Song des New | |
| Yorker Rap-Duos Eric B. & Rakim. Für HipHop-Fans geht da eine Tür auf. Wenn | |
| Ghostface anfängt zu flowen, hört man „My Melody“ dann klar und deutlich, | |
| aber bei Ghostface Killah klingt es aufgebohrt, tiefergelegt, kombiniert | |
| mit einem Sample aus dem ersten Teil von „Supreme Clientele“. | |
| Es sind die Umdeutungen, die Kombinationen des klassischen Repertoires, die | |
| „Supreme Clientele 2“ aus der Klassik in die Gegenwart holen. Man kann von | |
| Ghostface Killah erfahren, auf welchen Schultern HipHop steht: Soul, Funk, | |
| Reggae, Jazz – und man kann spüren, wie HipHop die Welt rettet. Aber man | |
| muss gut aufpassen, sonst geht man an all dieser Schönheit achtlos vorbei | |
| wie [4][Marcel Reich-Ranicki] an einer Comic-Convention. | |
| 13 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Henrik von Holtum | |
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