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# taz.de -- Alltag in der Westukraine: Sahneeis und Luftalarm
> Lange wurde Tscherniwzi von Luftangriffen verschont, Menschen aus dem
> Osten suchten hier Schutz. Am 12. Juli ist der Krieg angekommen.
Bild: Noch von Raketen verschont: das Theater von Tscherniwzi
Tscherniwzi taz | Im Taras-Schewtschenko-Park, der vor langer Zeit einmal
„Volksgarten“ hieß, fahren junge Paare in Sommerkleidung lachend auf
Elektrorollern unter den schattigen Bäumen entlang. Kleine Mädchen in
bunten Kleidchen schlecken Eis, von weither hört man Schlagermusik. Ein
sonniger Tag, über 30 Grad. Ein Ferientag.
Wir sind in Tscherniwzi, einer Stadt im Südwesten der Ukraine. Kurz vor
Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine lebten hier knapp
265.000 Menschen. 40 Kilometer sind es bis nach Rumänien und damit zur
Außengrenze der Europäischen Union. Früher hieß die Stadt Czernowitz, und
war Hauptstadt des Kronlandes Bukowina im Habsburgerreich. Der Dichter Paul
Celan wurde hier geboren. Die Lyrikerin Rose Ausländer. Jiddische Autoren
wie Itzig Manger und der Fabeldichter Elieser Steinbarg haben hier gewirkt.
Als „Klein-Wien“ galt einst die Stadt, eine multikulturelle Idylle. Das ist
lange her. 1918 kam die Stadt zu Rumänien, 1944 fiel sie an die
Sowjetunion, 1991 fand sie sich in der unabhängigen Ukraine wieder.
Idyllisch wirkt die Stadt noch immer, wenn man an einem schönen Sommertag
wie diesem durch die Straßen schlendert, die etwas verblichene Habsburger
Architektur bewundert, in einem der schicken Straßencafés sitzt oder auf
der ehemaligen „Herrengasse“ flaniert. Fast könnte man vergessen, dass man
sich in einem Land im Krieg befindet.
Nur langsam schleicht er sich ins Bewusstsein. Gerade hat man sich noch an
den sommerlichen Parkszenen erfreut. Da hängen plötzlich diese großen
Plakate an dem alten schmiedeeisernen Zaun, der den Park von der Straße
trennt: Martialisch aussehende Männer in Kampfanzügen, mit Gewehren im
Anschlag vor strahlend blauem Himmel. „Tritt in die Territorialverteidigung
ein“, fordert das Plakat die Vorbeiflanierenden auf. Ein anderes, noch
martialischeres ruft den Passanten zu: „Tritt den ukrainischen
Streifkräften bei. Egal, wie viele Feinde es gibt, wir werden sie
vernichten!“ Vor mir auf der Straße sehe ich jetzt plötzlich einen jungen
Mann in Armeekleidung, er bewegt sich auf Krücken und kommt nur sehr
langsam voran.
So geht es unentwegt in dieser Stadt, in diesem Sommer. Gerade noch sitzt
man beim Mittagessen im Kascha s maslom (deutsch etwa „Brei mit Butter“),
einer hippen Kantine im Stadtzentrum, vor einem Teller mit Rote-Bete-Salat
und einem Glas kalten Fruchtsaftes, da startet plötzlich der Luftalarm und
wenige Minuten später findet man sich in einem feuchten Kellerraum wieder,
dem nächstgelegenen öffentlichen Schutzraum. Im Lift des schicken Hotels
Bukowina steht auf der Aufzugtafel – dort, wo man sonst über die Lage von
„Lobby“ oder „Restaurant“ oder „Konferenzraum“ informiert wird – …
Knopf ins Kellergeschoss „Ukryttja“: Schutzraum.
Dreieinhalb Jahre war die Stadt von Luftangriffen verschont geblieben, doch
am 12. Juli wurde auch Tscherniwzi mit einem Marschflugkörper und Drohnen
beschossen, drei Menschen sterben, mehr als zehn werden verletzt. Die
Menschen lassen sich davon bisher, so scheint es zumindest in persönlichen
Gesprächen, kaum aus der Fassung bringen. Aber das heißt nicht, dass sie
den Krieg ignorieren. Denn das wäre gar nicht möglich, erklärt Mychajlo
Pawljuk. Der 41-Jährige, der perfekt Englisch spricht, ist Vizegouverneur
der Regionalverwaltung des Gebietes Tscherniwzi.
Er empfängt in seinem blau gestrichenen Büro, das mit drei Flaggen
geschmückt ist: der ukrainischen, der der Region Bukowina sowie der
EU-Flagge. „Alles hier ist mit dem Krieg verbunden, auch wenn man keine
Panzer sieht“, sagt er gleich zu Anfang des Gesprächs. Und er zählt auf:
Seit Beginn des russischen Großangriffs sind mehr als 150.000
Binnenflüchtlinge in die Stadt und ihre Umgebung gekommen, davon leben
jetzt noch etwa 74.000 Menschen dort.
120 Unternehmen aus dem Osten der Ukraine haben sich hier neu angesiedelt,
inklusive ihrer Angestellten. Frontsoldaten kommen zu Behandlungen oder zur
Rehabilitation. In der Region gibt es 38 Krankenhäuser, in Tscherniwzi und
der nahegelegenen Kleinstadt Waschkiwzi jeweils ein Rehazentrum. Kinder aus
anderen Gebieten der Ukraine verbringen in der waldigen Bukowina einen Teil
ihrer Ferien.
Eines der größten Probleme in diesem Zusammenhang sind die Wohnungen, denn
in der Stadt gibt es nicht genügend für die vielen Neuankömmlinge. Darum
leben auch viele der Binnengeflüchteten in den Dörfern und kleineren
Städten der Umgebung und pendeln zum Teil in die Stadt.
Insgesamt gibt es im Gebiet Tscherniwzi 103 spezielle Unterkünfte für die
Geflüchteten, die von den Gemeinden oder auch der Kirche finanziert werden,
manche jedoch auch durch Spenden aus dem Ausland oder vom
Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Ukraine.
Insgesamt wurden 15 Modulhäuser dafür neu errichtet, alle anderen
Geflüchtetenunterkünfte befinden sich in Gebäuden, die es bereits gab.
Einige Mehrfamilienhäuser sollen neu gebaut werden, begonnen hat man damit
allerdings noch nicht.
Auch jetzt kommen immer noch Binnengeflüchtete in die Stadt. Etwa zweimal
im Monat treffen Evakuierungszüge mit je etwa 40 bis 50 Frauen mit Kindern
aus den Gebieten Charkiw und Sumy im Nordosten der Ukraine am Bahnhof von
Tscherniwzi ein. Wie es mit all diesen Menschen in den nächsten 3 bis 5
Jahren weitergeht, ist unklar. Solange der Krieg nicht endet, gibt es dazu
keine Überlegungen oder Ideen. Aktuell können viele nicht zurück, selbst,
wenn sie es gerne wollten. Denn ihre Heimatorte sind russisch besetzt. Oder
ihre Häuser oder Wohnungen wurden bei russischen Angriffen zerstört.
Seit lokale Steuereinnahmen umgewidmet wurden für Militärausgaben, bleibt
weniger Geld für die Infrastruktur in den einzelnen ukrainischen Regionen
übrig. Stattdessen finanziert die Regierung damit die Ausgaben für die
Streitkräfte.
Über den Angriff vom 12. Juli sagt Mychajlo Pawljuk: „Das hat viel in der
Stadt geändert. Viele waren vorher noch sehr sorglos und dachten, der Krieg
sei weit weg.“ Und sehr nachdrücklich ergänzt er: „Ich möchte, dass die
Menschen begreifen: Der Krieg ist auch hier!“ Zu Beginn der russischen
Großinvasion gab es in Tscherniwzi viel private Hilfe, im Laufe der Jahre
ging dann allerdings die Spendenbereitschaft zurück. Das änderte sich nach
dem Luftangriff wieder, der direkt nach der [1][Wiederaufbaukonferenz für
die Ukraine] vom 10./11. Juli in Rom stattfand. Einige der zunächst auf
Tscherniwzi gerichteten Drohnen wurden später auf das Dorf Krasnojilsk
umgeleitet, das nur 8 Kilometer von der rumänischen und damit der
EU-Außengrenze entfernt liegt.
Eines der vielen Unternehmen aus der Ostukraine, die sich seit Kriegsbeginn
in und um Tscherniwzi angesiedelt haben, ist ein Maschinenbauunternehmen
aus Kramatorsk. Die Firma hat am Pruth, dem Fluss durch die Stadt, ein Werk
errichtet, ihre Arbeiter hat sie fast alle mitgebracht. Auch Firmen für
Militärindustrie haben sich in der Gegend angesiedelt. Ein Gastronom aus
Charkiw hat das eingangs schon erwähnte Kascha s maslom im Stadtzentrum
eröffnet. Die neuen Unternehmer sind auch in den Wirtschaftsräten der Stadt
vertreten.
Die Kinder der Binnengeflüchteten gehen in die Schulen der Stadt und der
Umgebung, es gibt keine speziellen Schulen oder Klassen für sie. An
Schulplätzen mangelt es nicht in Tscherniwzi und Umgebung, denn viele
einheimische Familien haben im Zuge des Kriegs die Ukraine verlassen.
Natürlich gebe es manchmal sprachliche Probleme mit Kindern, die Russisch
als Erstsprache gelernt haben, sagt Lokalpolitiker Pawljuk, der selbst drei
Kinder hat. Aber das seien eher Probleme auf persönlicher Ebene. Niemand
verlange plötzlich russischsprachige Schulen für die neu hinzugekommenen
Kinder.
Eine monatliche Unterstützung von 6.000 Hrywnja (etwa 125 Euro) bekommen
die Binnengeflüchteten nur in den ersten Monaten. Viele beziehen weiter
Lebensmittelpakete aus privaten Spenden. Beim Abschied sagt Pawljuk:
„Please keep supporting Ukraine and boycott Russia.“
War für viele Menschen in Tscherniwzi der Krieg lange sehr weit weg, so ist
das für viele der Binnengeflüchteten in der Stadt ganz anders. [2][Denn
dort, wo sie herkamen, haben sie ihn nicht selten in all seiner Brutalität
am eigenen Leib erfahren]. Olha Shynkaruk zeigt Fotos auf ihrem Smartphone:
„Das sind die Bäume in unserem Garten. Schau, was wir alles haben. Kakis,
Granatäpfel, sogar Kiwis. Und überall hatten wir Beerensträucher
gepflanzt.“ Auf den Fotos sieht man auch ein hübsches Einfamilienhaus, dazu
den gepflegten Garten und eben die besagten Bäume voller Früchte.
Olha und ihr Mann Jurij stammen eigentlich von der Krim. Nach der
russischen Annexion 2014 zogen sie nach Oleschky, einer Kleinstadt im
südukrainischen Gebiet Cherson. Es war ihnen nicht leicht gefallen, die
Krim zu verlassen, doch nach und nach gewöhnten sie sich an die neue
Heimat, ihr schönes Haus und der Garten trugen viel dazu bei. Auch mit den
Nachbarn kamen sie gut zurecht.
Doch gleich zu Beginn der russischen Großinvasion 2022 wurde Oleschky von
den russischen Streitkräften besetzt. Sie hatten viel Angst in dieser Zeit,
es wurde geschossen. „Oleschky hat sich in eine Hölle verwandelt“, erzählt
Olha. Aber sie konnten nicht mehr fliehen. Bis zum Sommer 2023 blieben sie
noch in ihrem Haus.
Dann gab es Gerüchte, die Russen hätten etwas geplant mit dem
Kachowkastaudamm. Von Oleschky bis zum Wasserkraftwerk Kachowka sind es
etwa 50 Kilometer. Jurij kaufte ein kleines Boot mit Motor, sie
verbuddelten es in ihrem Garten. Am Vorabend des 6. Juni hatten die Russen
begonnen, Soldaten und Militärtechnik aus der Gegend abzuziehen. Olha sagt,
sie seien zuerst froh gewesen, der Beschuss hatte aufgehört, es war eine
ruhige Nacht. Doch morgens früh bekamen sie einen Anruf: [3][Der Staudamm
sei gesprengt worden, jetzt käme das Wasser.] Olha und Jurij gruben das
Boot aus und begannen, Nachbarn aus ihren Häusern zu retten und in höher
gelegene Gebiete zu bringen.
Nach drei Tagen beschlossen sie, selbst zu fliehen. Mehrfach wären sie fast
gekentert, einmal wurden sie länger von Drohnen bedroht. So kamen sie in
die Gebietshauptstadt Cherson. „In Cherson haben uns Freunde abgeholt. Und
das Erste, was wir dort kauften, war ukrainisches Eis. 15 Monate hatten wir
davon geträumt, so lange konnten wir es nicht essen.“ Doch auch Cherson war
unter russischer Besetzung, und so gelangten Olha und Jurij schließlich
nach Tscherniwzi.
Hier leben sie nun seit zwei Jahren, doch die Sehnsucht nach ihrem
Paradiesgarten ist geblieben. Ob sie wieder zurückkönnen, wissen sie nicht.
„Es gibt keinen Strom mehr in Oleschky“, erzählt Olha. Eine Nachbarsfamilie
ist geblieben, einmal haben sie eine Nachricht über Telegram von ihnen
bekommen. Darum wissen sie auch, dass es kein fließendes Wasser mehr gibt
und die Nachbarn den Strom per Generator erzeugen. All das würde sie
vermutlich nicht von einer Rückkehr abhalten. Aber Oleschky steht weiterhin
unter russischer Kontrolle. Und solange sich das nicht ändert, ist an eine
Rückkehr nicht zu denken.
Auch Olha Nikolaeva weiß, dass sie nicht nach Hause zurückkann, solange
ihre Heimatstadt Berdjansk am Asowschen Meer, 80 Kilometer westlich von
Mariupol, unter russischer Kontrolle steht. Die sechzigjährige
Ukrainischlehrerin war mit Freunden gemeinsam im Mai 2022 aus der Stadt
geflohen. Zuvor war sie von bewaffneten Besatzern mit Waffen in den Händen
aus ihrem Haus geholt und zum Verhör gebracht worden. Wer die zierliche
kleine Frau sieht, kann sich nicht vorstellen, dass jemand sie als
gefährlich oder gar als Bedrohung empfinden könnte.
Doch nach diesem Ereignis war Olha klar, dass sie nicht bleiben konnte.
Über ihre Flucht spricht sie nur wenig. In Tscherniwzi lebt sie allein in
einer Unterkunft für Geflüchtete und unterrichtet weiter online Ukrainisch.
Auch sie zeigt Fotos auf ihrem Smartphone: ihre Mutter vor dem Haus in
Berdjansk. Hat sie noch Kontakt zu ihr?
„Meine Mutter ist über 80, sie wollte nicht mehr weg. Manchmal schreiben
wir uns über Telegram, aber nur über alltägliche Dinge. Ich will sie nicht
in Gefahr bringen“, sagt Olha. Sie vermisse das Meer, sagt sie noch. Und
das Essen, Fisch und Meeresfrüchte. Und den Salzgeruch der Luft. „Eines
Tages gehe ich zurück“, sagt sie. Doch wann das sein wird und ob sie ihre
Mutter noch einmal wiedersehen wird, ist zurzeit völlig ungewiss. Denn
solange das Gebiet Donezk, in dem ihre Heimatstadt liegt, unter russischer
Besatzung steht, ist eine Rückkehr nicht möglich.
Aktuell stehen die Zeichen auf Krieg, auch in Tscherniwzi. Und je länger
man dort ist, desto mehr bemerkt man diesen Krieg auch. Nicht nur, weil die
Warn-App nun auch in der Nacht Luftalarm meldet: „Attention. Air raid
alert, proceed to the nearest shelter“, droht eine sonore Stimme. Die
englische Version der App wird von dem amerikanischen Schauspieler Mark
Hamill gesprochen, der in „Star Wars“ in der Rolle des Luke Skywalker
bekannt wurde. „Don’t be careless. Your overconfidence is your weakness“ …
sei nicht achtlos, übertriebenes Selbstvertrauen ist deine Schwäche. Die
nächste Stunde verbringe ich nach der Zweiwänderegel im innenliegenden Bad
meines Hotelzimmers. Dann wieder Hamills Stimme: „Air raid is over. May the
force be with you.“ Ukrainischer Kriegshumor.
Am Sonntagmorgen, noch etwas unausgeschlafen nach der kurzen Nacht, geht es
zum Rathausplatz. Jeden Morgen um 9 Uhr gibt es in der Ukraine eine
Schweigeminute für alle Opfer des Krieges. Die Stadt ist noch relativ leer,
nur wenige Autos und einige Trolleybusse sind schon unterwegs. Auf dem
großen Platz vor dem Rathaus steht eine einzige Frau.
Sie trägt eine knielange Outdoorhose, olivfarbenes T-Shirt und einen
Sonnenhut mit Tarnmuster, auf dem eine große Sonnenbrille klemmt. Ihre
blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten, vielleicht ist sie Mitte
vierzig. In der Hand hält sie ein großes Plakat. Auf blau-gelbem
Hintergrund sieht man das Foto eines Soldaten in Uniform. In großer Schrift
steht dort auf Ukrainisch: „Bringt die Gefangenen nach Hause“. Zwei
kleinere Plakate hält sie noch mit beiden Händen davor. Auf dem einen
derselbe Soldat mit der Aufschrift „Bringt mich nach Hause“, auf dem
anderen steht mit roter Filzstiftschrift: „Schweige nicht! Gefangenschaft
tötet“.
Sie heiße Alla, erzählt die Frau auf Nachfrage. Und jeden Tag um neun komme
sie mit ihren Plakaten auf den Rathausplatz. Seit einem Jahr habe sie keine
Nachricht mehr von ihrem Sohn. „Aber im Januar habe ich ein Bild von ihm in
einem Kanal auf Social Media entdeckt, auf denen man nach seinen
verschollenen Angehörigen suchen kann. Jetzt weiß ich wenigstens, dass er
noch lebt.“
Ob ich sie fotografieren dürfe? Natürlich, antwortet sie. „Was haben Sie
denn mit den Fotos vor? Wollen Sie sie veröffentlichen?“ Man merkt, wie sie
sich an jeden Strohhalm klammert, wie groß ihre Hoffnung ist, ihren Sohn
wiederzusehen. Um Punkt 9 Uhr ertönt plötzlich getragene Musik aus den
Lautsprechern rund um den Platz. Autos und Trolleybusse halten, die
Menschen steigen aus und bleiben neben ihren Fahrzeugen stehen. Alla weint
jetzt. Nach einer Minute ist alles vorbei, die Menschen steigen wieder ein,
Autos und Busse fahren weiter.
Da ist es wieder, das Nebeneinander von Krieg und Frieden. Die Stadt ist
voller Touristen, die meisten aus der Ukraine. In einem Souvenirladen kaufe
ich ein bisschen Keramik. Als ich auf Ukrainisch nach dem Preis frage,
antwortet die Verkäuferin auf Deutsch. „Ich habe so wenig Möglichkeiten,
die Sprache zu praktizieren“, sagt sie. „Es gibt ja kaum noch ausländische
Touristen.“ Dafür gibt es jede Menge ukrainische Besucher. In Gruppen
laufen sie hinter den Stadtführern durchs Stadtzentrum. Geduldig warten sie
auf die nächste Führung durch die Universität. Das imposante Gebäude wurde
von 1864 bis 1881 nach Plänen des tschechischen Architekten Josef Hlávka
als Residenz des griechisch-orthodoxen Metropoliten der Bukowina und
Dalmatiens gebaut. Seit 1955 ist es das zentrale Gebäude der Universität
und eines der Wahrzeichen der Stadt. Und während draußen die Touristen die
Gebäude bewundern und Hochzeitsgesellschaften im Vorgarten für Fotos
posieren, weisen im verschachtelten Inneren überall Schilder den Weg zu den
Luftschutzräumen.
Am letzten Tag meines Aufenthaltes in der Stadt gibt es noch zweimal
Luftalarm, während ich im Hotel beim Frühstück sitze. Die Entwarnung kommt
jeweils wenige Minuten später. Kurz vor der Abreise stehen plötzlich Olha
und Jurij vor dem Hotel. Sie sind gekommen, um sich zu verabschieden. Und
sie haben etwas mitgebracht: Eine Kühlbox mit Sahneeis am Stiel. „Das ist
das Eis, was wir damals gekauft haben. Als wir endlich die besetzten
Gebiete verlassen konnten. Das Eis, wovon wir die 15 Monate unter
russischer Besatzung geträumt haben.“
Die Sonne scheint heiß auf den Parkplatz. Es ist 10 Uhr morgens, wir essen
Sahneeis. Für einen Moment ist es einfach nur ein friedlicher Sommertag.
Dann steigen wir ins Auto, Olha und Jurij winken zum Abschied. Wie man es
ihnen wünschte, dass sie wieder nach Hause könnten. In ihren paradiesischen
Garten. Doch der ist russisch besetzt.
27 Aug 2025
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Gaby Coldewey
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