| # taz.de -- Buch über Philosophen Edmund Husserl: Der Fröhlichkeit kann man n… | |
| > Der Wissenschaftler Christian Beyer stellt in seinem Buch „Husserls | |
| > Philosophie“ das Werk eines der einflussreichsten Philosophen des 20. | |
| > Jahrhunderts vor. | |
| Bild: Er arbeitete mit Einfühlung, aber diese kannte auch Grenzen: Edmund Huss… | |
| Berlin taz | Am Namen Edmund Husserl hängt so einiges. Heute alltägliche | |
| Begriffe wie „Empathie“ oder „Lebenswelt“ gehen im Wesentlichen auf ihn | |
| zurück. Die Entwicklung der Philosophie des 20. Jahrhunderts lässt sich | |
| sogar so erzählen, dass man Husserl, den Begründer der Phänomenologie, an | |
| ihren Anfang setzt und von da aus zwei verschiedene Hauptstränge verfolgt. | |
| Der eine führt über Husserls Schüler Martin Heidegger zu französischen | |
| Phänomenologen wie Emmanuel Levinas und Maurice Merleau-Ponty, des Weiteren | |
| zu Jean-Paul Sartre und schließlich zu Strömungen wie [1][Jacques Derridas] | |
| Verfahren der Dekonstruktion. Der andere Strang führt vornehmlich über | |
| Gottlob Frege und Ludwig Wittgenstein zur analytischen Philosophie. | |
| In dieser zweiten Tradition steht der Göttinger Philosoph Christian Beyer, | |
| der mit „Husserls Philosophie“ eine Einführung in dessen Werk geschrieben | |
| hat, die nicht die Wirkungsgeschichte Husserls nachzeichnen will, sondern | |
| stattdessen seine Philosophie in Grundzügen systematisch darstellt und | |
| diskutiert. Das Buch folgt einem klaren Aufbau: Nach einem knappen | |
| biografischen Abriss und einer umfangreichen Übersicht über Husserls | |
| wichtigste philosophische Begriffe vertiefen die folgenden Kapitel einzelne | |
| Aspekte im Detail. | |
| Husserl, der zunächst in Göttingen lehrte und 1916 zum Professor in | |
| Freiburg berufen wurde, erfuhr in seinen letzten Lebensjahren bis zu seinem | |
| Tod 1938 verstärkt Anfeindungen wegen seiner jüdischen Familie. Sein | |
| früherer Assistent Heidegger wurde mehr und mehr zu seinem „Antipoden“. | |
| Husserls Meisterschülerin Edith Stein hingegen wurde 1942 in Auschwitz | |
| ermordet. Nach Husserls Tod wurde sein 40.000 Seiten starkes Archiv von dem | |
| belgischen Franziskaner Herman Leo Van Breda vor den Nazis gerettet – | |
| nachzulesen in Toon Horstens kurzweiligem Buch „Der Pater und der | |
| Philosoph. Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis“. | |
| Im Zentrum von Husserls Vermächtnis steht der Begriff der Intentionalität. | |
| Beyer weist darauf hin, dass Husserl als Philosoph mit mathematischem | |
| Hintergrund eine „Theorie der Inferenzsysteme“ anstrebte, in der er | |
| Wissenschaften als Systeme von Aussagen betrachtete, die „durch Inferenz- | |
| und Begründungsbeziehungen miteinander verbunden sind“. Um einzelne Sätze | |
| zu analysieren, greift Husserl auf „Bewusstseinseinheiten“ zurück, die er | |
| „intentionale Erlebnisse“ nennt. Diese sind „auf einen Gegenstand, ein | |
| Thema gerichtet.“ Das können ebenso gut alltägliche Beobachtungen wie | |
| mathematische Lehrsätze sein. Denn Husserl ging es nicht um subjektive | |
| psychologische Fragen, sondern um Erlebnisse, deren Gehalt sich mit anderen | |
| teilen lässt. | |
| ## Gewissheiten manifestieren | |
| Intersubjektivität spielt in Husserls Phänomenologie eine wichtige Rolle, | |
| auch für die Frage, wie sich überhaupt von einer Realität jenseits des | |
| eigenen Bewusstseins sprechen lässt. Husserl entwickelte dabei eine Methode | |
| der phänomenologischen Reduktion durch „Epoché“, eine Art | |
| Urteilsenthaltung darüber, ob die eigene Wahrnehmungsbeschreibung sich | |
| „erfolgreich auf einen Gegenstand der Außenwelt“ richtet. Im Fall einer | |
| Halluzination bliebe ein solcher Erfolg aus. | |
| Schritt für Schritt entwickelt Husserl dann über die „Einfühlung“ in | |
| fremdes Bewusstseinsleben einen intersubjektiven Gegenstandsbegriff, | |
| insbesondere den der „Lebenswelt“, die sich in allgemein anerkannten | |
| Gewissheiten manifestiert. Für dieses Verständnis einer Realität, die sich | |
| im gegenseitigen Austausch bildet, verwendet Husserl Begriffe wie | |
| „Personenverstehen“, für den er auf Arbeiten seiner Schülerin Edith Stein | |
| zurückgreift. Doch gibt es bei der Einfühlung für Husserl durchaus Grenzen. | |
| In einem Zitat gibt er offen zu, dass er zwar nicht zur Fröhlichkeit neige, | |
| aber durch Genuss von „Reizmitteln“ zur Fröhlichkeit „angeregt“ werde.… | |
| könne er, wie Beyers Fazit lautet, durch „Analogisierung“, unterstützt von | |
| Weingenuss, die Motivation einer Frohnatur „nachverstehen“. | |
| Beyer hebt hervor, dass Husserl kein „naiver Realist“ ist. Was sich in der | |
| noch einmal deutlich verknappten Wiedergabe einer Rezension womöglich | |
| trivial liest, ist bei Husserl sehr komplex gedacht. So ist eine Lebenswelt | |
| nicht einfach gegeben, sondern hängt auch daran, dass sich die Beteiligten | |
| um Dinge wie die Wirklichkeit bemühen. Man denke zum Kontrast etwa an den | |
| heutzutage recht flexiblen Umgang mit Begriffen wie „Wahrheit“ in | |
| [2][populistischen Diskursen]. | |
| „Husserls Philosophie“ richtet sich in erster Linie an ein philosophisch | |
| geschultes Publikum. Besonders der Überblick des ersten Teils kann durch | |
| die Vielfalt an vorgestellten Begriffen wie „Hyle“, „Noema“ oder „das | |
| bestimmbare X“, für Gedankenschwirren sorgen. Vereinzelt gibt es auch | |
| Stellen, die ohne Kenntnisse formaler Logik unverständlich bleiben. Man | |
| kann dann wahlweise ganz tapfer sein oder mit dem Mut zur Lücke lesen. | |
| Dadurch, dass Beyer in den übrigen Kapiteln auf die meisten dieser Begriffe | |
| zurückkommt, lässt sich beim Lesen zudem nachvollziehen, dass der Weg zur | |
| Erkenntnis über mehrere Anläufe führen kann. Und dass Philosophieren ein | |
| Prozess ist, bei dem man Abgeschlossenes eher selten findet. | |
| 16 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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