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# taz.de -- 30 Jahre „La Haine“: So weit, so gut
> Der französische Film „Hass“ feiert im Oktober 30-Jähriges. Eine seiner
> Botschaften: Waffen sind nie bloß Deko. Daran hat sich bis heute nichts
> geändert.
Bild: Vinz (Vincent Cassel) in dem Film „La Haine“, 1995
Wenn in einer Erzählung ein Gewehr erwähnt wird, dann muss es später auch
abgefeuert werden. Mathieu Kassovitz, der Regisseur des 1995 erschienenen
Films [1][„La Haine“], hält sich an die von Anton Tschechow aufgestellte
Regel. Auch in der Realität sind Waffen keine bloße Dekoration.
Wenn ich in der Öffentlichkeit eine Schusswaffe sehe – und das ist
ausschließlich am Hosenbund von Polizisten –, wird mir schlecht. Zumindest
unbewusst spüren alle dieses Potenzial, das in Waffen schlummert, wenn sie
uns umgeben. Die bloße Präsenz einer Waffe macht Menschen und ihre Gedanken
aggressiver und feindseliger, erklärt [2][eine Studie von 2018]. Wenn sie
im Holster eines Polizisten sitzt, kann ich mir höchstens denken: So weit,
so gut. Noch ruht sie, noch macht er von dem Gewaltpotenzial keinen
Gebrauch. So weit, so gut.
Die Waffe aus „La Haine“, oder „Hass“, wie der Film auf Deutsch heißt,…
eine Smith & Wesson Modell 629 und stammt von einem Polizisten, der sie in
der Nacht zuvor bei Ausschreitungen in der Pariser Banlieue verloren hatte.
Vinz (Vincent Cassel) findet die Waffe, und schwört seinen Freunden Saïd
(Saïd Taghmaoui) und Hubert (Hubert Koundé), ihren Freund Abdel, der bei
den Protesten in Polizeigewahrsam komareif geprügelt wurde, zu rächen,
sollte er an seinen Verletzungen sterben. Er will einen Polizisten töten.
Die Zeit, bis die Waffe Tschechows Prinzip folgen wird, tickt davon. „La
Haine“ spielt an einem einzigen Tag.
Bei seiner Erscheinung in den 1990er Jahren war es der erste große Film
über die migrantisch geprägte Banlieue und die darin so präsente
Polizeigewalt. Der Schwarz-Weiß-Film feiert im Oktober sein 30-jähriges
Jubiläum und ist über die Jahre kein bisschen verwässert, bleibt
berauschend, scharf und dringend.
So weit, so gut, lautet Huberts Mantra, das er aus einer Art Parabel zieht.
Darin stürzt ein Mann von einem 50-stöckigen Hochhaus und redet sich
währenddessen gut zu. Immer wieder sagt er: „So weit, so gut. So weit, so
gut.“ Doch nicht der Fall zähle, sondern die Landung, findet Hubert. „La
Haine“ beschreibt eine fallende Gesellschaft mit immer wiederkehrenden
Landungen: ein Kreislauf aus institutionalisierter, meist rassistisch
motivierter Gewalt und Vergeltung, die ihre Opfer dafür suchen.
Kassovitz schrieb den Film 1993, [3][nachdem der 17-jährige Makomé
M’Bowolé] bei einem Verhör von einem Polizisten durch einen Kopfschuss
getötet wurde. M’Bowolé war dabei an einen Heizkörper gekettet. 2023
kündigte Kassovitz an, dass der Film als Musical inszeniert werden soll.
Weniger als eine Woche später [4][tötet ein Polizist in Nanterre den
17-jährigen Nahel Merzouk durch einen Schuss aus nächster Nähe]. Eine
Landung folgt auf die nächste. In Oldenburg [5][erschießt ein Polizist den
21-jährigen Lorenz A.] durch drei Schüsse in den Rücken. Wir fallen immer
tiefer.
Während der Tag weiter voranschreitet und Vinz, Saïd und Hubert nichts
unternehmen, um ihre bevorstehende Landung aufzuhalten, denkt man „So weit,
so gut“, nicht optimistisch, sondern ängstlich. Vinz tötet schließlich doch
keinen Polizisten. Abgefeuert wird die Smith & Wesson trotzdem – natürlich.
2 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=FKwcXt3JIaU
[2] https://www.researchgate.net/publication/319878868_Effects_of_Weapons_on_Ag…
[3] https://www.lemonde.fr/archives/article/1996/02/16/la-douleur-de-la-famille…
[4] /Proteste-von-Jugendlichen-in-Frankreich/!5941793
[5] /Trauer-um-Lorenz-A/!6084205
## AUTOREN
Valérie Catil
## TAGS
Kolumne Vierte Wand
Hass
Film
Kino
Banlieue
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Paris
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Hochhaus
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