| # taz.de -- Gesetzliche Rente: Finanzierbarkeit ist politisch, nicht neutral | |
| > Die Rente wird derzeit schlechtgeredet, ihre Vorteile werden bewusst | |
| > ignoriert. Verloren geht dabei die Tatsache: Rentenpolitik ist auch | |
| > Verteilungspolitik. | |
| Bild: Rentenpolitik ist nicht reine Mathematik, sondern immer auch Verteilungsp… | |
| Es ist unstrittig: Die Rente steht vor vielen Herausforderungen – neben dem | |
| demografischen Wandel sind es die nicht absehbaren Folgen der kriselnden | |
| Wirtschaft für den Arbeitsmarkt und die Unsicherheit über die Spielräume | |
| für Sozialpolitik im Bundeshaushalt. Allerdings sieht sich die | |
| Rentenpolitik einer noch größeren Herausforderung gegenübergestellt. Keine | |
| Frage: Mit Blick auf Leistungen und deren Finanzierung wird auch künftig | |
| viel zu diskutieren sein. | |
| Aber das ist rentenpolitische Normalität. Die Warnung vor einem Anstieg der | |
| Zahl der Rentner*innen und der dadurch verursachten Kosten ist seit | |
| Jahrzehnten zu hören. Dasselbe gilt für die Sorge um die Folgen eines | |
| Beitragssatzanstiegs („Lohnnebenkosten“), die Diskussion um die | |
| systematisch richtige Finanzierung der Leistungen und auch für die Frage, | |
| wie unterschiedliche Lebensläufe im Alter gut abgesichert werden können. | |
| Die größte Herausforderung für die Rente aber liegt in der Debatte um die | |
| Rentenversicherung selbst. [1][Interessenvertreter*innen, aber auch Medien | |
| und teils auch Wissenschaftler*innen] stellen permanent die | |
| Finanzierbarkeit der Rentenversicherung in Frage oder stellen gar ihren | |
| Kollaps in Aussicht. Letzteres ist schlicht falsch. Im Umlagesystem folgen | |
| aus steigenden Ausgaben bei stabilen Leistungen höhere Beiträge und/oder | |
| Bundeszuschüsse. Das System ist damit selbststabilisierend. | |
| Ebenso falsch ist die Aussage, dass aus dem Bundeshaushalt eine „Lücke“ | |
| gestopft wird oder die Rentenversicherung „gerettet“ werden müsse: Die | |
| Bundeszuschüsse folgen politisch vereinbarten Regeln im Sozialgesetzbuch | |
| und Motiven. Das sind vor allem Zahlungen, um den Beitragssatz-Anstieg zu | |
| verringern und um nicht beitragsgedeckte Leistungen gegenzufinanzieren. | |
| Und die Finanzierbarkeit? Finanzierbarkeit ist ein politischer Begriff. Was | |
| finanzierbar ist und was nicht, ist das Ergebnis gesellschaftlicher | |
| Aushandlungsprozesse und Interessenkonflikte darüber, was geleistet werden | |
| soll, und darüber, welche anderen Ausgaben getätigt werden sollen. Der | |
| Blick ins Ausland zeigt: Höhere Beiträge können durchaus konsensfähig sein, | |
| wenn die Leistung stimmt. | |
| Die aktuelle Debatte tendiert dazu, die Rentenversicherung schlechtzureden | |
| – auch das ist nichts Neues. Es wird suggeriert, dass gerade Jüngere kaum | |
| eine Chance haben, eine Gegenleistung für ihre Beiträge zu erhalten – dass | |
| sich die Beitragszahlung nicht lohnt. Die „Lösung“ ist dann: weitere | |
| Leistungseinschränkungen und private Vorsorge (wodurch die Kosten nur | |
| verschoben werden). | |
| Dabei zeigen Studien, dass sich die Beitragszahlung durchaus rechnet und | |
| sich die „Rendite“ der Rentenversicherung nicht verstecken muss. Diese | |
| Rendite wäre auch bei einem geringeren Beitragssatz und geringeren | |
| Leistungen tendenziell dieselbe. Nur gilt: Wenn wenig eingezahlt wird, kann | |
| auch wenig ausgezahlt werden, Rendite hin oder her. | |
| Was in der so geführten Debatte verloren geht, ist erstens die Einsicht, | |
| dass Rentenpolitik auch Verteilungspolitik ist: Wer verliert bei welchen | |
| Maßnahmen, wer gewinnt? Und diese Frage berührt nicht nur „die Jungen“ und | |
| „die Alten“. Es geht hier auch um arm und reich, um Arbeitnehmer*innen | |
| und Arbeitgeber*innen, um öffentliche Vorsorge oder private Anbieter von | |
| Kapitalmarktprodukten. Verloren geht zweitens, dass eine öffentliche | |
| Rentenversicherung zusätzliche Vorteile hat: Sie ist zunächst einmal | |
| demokratisch gesteuert und beruht auf wechselseitiger, solidarischer | |
| Absicherung. | |
| Der Vorteil dieser Eigenschaft wird deutlich, [2][wenn dem die individuelle | |
| Vorsorge gegenübergestellt wird]. Denn wenn jede*r für sich allein spart, | |
| dann ist keine gemeinsame Verantwortung mehr für Lebensläufe gegeben, die | |
| aufgrund von Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt oder individuellen | |
| Schicksalsschlägen vom Ideal abweichen. Es kann auch nicht nachgesteuert | |
| werden, wenn die Eigenvorsorge misslingt – wenn das falsche Produkt | |
| ausgewählt oder nicht genug gespart wurde. Dass demokratische Rentenpolitik | |
| immer für alle die richtige Entscheidung trifft, ist damit nicht gesagt. | |
| Aber die Politik hat Spielräume zur Schwerpunktsetzung und Möglichkeiten | |
| der Korrektur, die die private Vorsorge nicht kennt. | |
| Die umlagefinanzierte Rentenversicherung ist erstaunlich flexibel. Der | |
| Blick in die Vergangenheit wie auch ins Ausland zeigt: Rentenversicherungen | |
| können unterschiedlichen Anforderungen und Gerechtigkeitsvorstellungen | |
| immer wieder angepasst werden. | |
| Die Rentenversicherung ist schließlich stabil und verlässlich. Die | |
| gesetzlichen Regeln stellen sicher, dass Monat für Monat Renten ausgezahlt | |
| werden können, auch wenn es am Arbeitsmarkt oder an den Kapitalmärkten mal | |
| nicht läuft. Und die Politik hat immer wieder gezeigt: Herausforderungen | |
| werden angegangen und Verteilungskonflikte werden geführt und befriedet. | |
| Mit dieser Darstellung der Vorzüge einer öffentlichen Rentenversicherung | |
| soll nicht gesagt werden, dass nicht weiter gestritten werden soll und die | |
| Rentenversicherung nicht kritisiert werden kann. Aber es sollte doch vor | |
| allem darüber gestritten werden, was die Ziele der Rentenpolitik sein | |
| sollen und wie sie erreicht werden: Was ist eine faire Rente nach einer | |
| langen Berufskarriere? Welchen Stellenwert soll Armutsvermeidung in der | |
| Rentenversicherung haben? Wann darf es mit der Arbeit genug sein und der | |
| wohlverdiente Ruhestand genossen werden? | |
| Die Vorzüge öffentlicher Sozialpolitik auszublenden, „Finanzierbarkeit“ | |
| nicht als Verteilungsfrage zu identifizieren oder gar in Unkenntnis der | |
| Faktenlage zu debattieren, hilft überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil: Es | |
| trägt dazu bei, dass Vertrauen verloren geht, Handlungsspielräume verengt | |
| und Debatten verhindert werden. Die größte Herausforderung für die | |
| Rentenversicherung besteht aktuell darin, dass über Rentenpolitik richtig | |
| diskutiert werden muss. | |
| 1 Sep 2025 | |
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| Florian Blank | |
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