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# taz.de -- Forscher zu Übergewicht: „Im Medizinstudium kommt Adipositas kau…
> Für Übergewicht sind oft genetische und hormonelle Faktoren
> verantwortlich. Der Adipositasforscher Matthias Blüher sagt, warum das
> kaum bekannt ist.
Bild: Vor einer Operation zur Magenverkleinerung
taz: Herr Blüher, wie viel Fett macht einen Menschen krank?
Matthias Blüher: Oft wird sich bei dieser Frage auf den sogenannten
Body-Mass-Index bezogen, der das Verhältnis von Gewicht zu Körpergröße
angibt. Ab einem BMI von 30 spricht man von einer Adipositas, also einer
Erkrankung, bei der sich Körperfett über das gesunde Maß hinaus vermehrt.
In Deutschland leiden rund 23 Prozent der Erwachsenen daran. Mehr als 60
Prozent der über 18-jährigen Männer und Frauen haben Übergewicht. Die
Wahrheit ist aber: Leider haben wir in der Medizin keine genauen
Grenzwerte, die aussagen, bis zu welcher Menge Fett noch gesund ist und ab
wann es krank macht.
taz: Es gibt also gesunde Menschen mit einem BMI von 30 oder 35?
Blüher: Die gibt es. Wir gehen trotzdem davon aus, dass, sobald eine
bestimmte Fettmasse überschritten wird, auch Fehlfunktionen im Körper
entstehen können. Am besten lässt sich das beurteilen, indem man Werte, die
auf eine Entzündung hinweisen, und Hormone, die das Fettgewebe ausschüttet,
im Blut misst.
taz: Welche Hormone sind das?
Blüher: Das sind zum Beispiel Leptin und Adiponektin. Beide werden vom
Fettgewebe produziert und spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation
des Stoffwechsels. Leptin wird oft als Sättigungshormon bezeichnet, weil es
den Appetit reduziert und den Energieverbrauch erhöht. Typischerweise ist
eine hohe Leptin-Produktion assoziiert mit Übergewicht und
Folgeerkrankungen wie Diabetes und der ungesunden Adipositas.
taz: Spielt es für das Risiko, zu erkranken, eine Rolle, an welchen
Körperteilen sich das Fett ansiedelt?
Blüher: Als besonders gefährlich gilt das viszerale Bauchfett, auch inneres
Bauchfett genannt. Hier liegt der gesunde Mittelwert bei ungefähr 700
Gramm. Die Adipositas-Patienten, die ich behandele, haben zum Teil inneres
Bauchfett von bis zu 3 Kilo. Auch das Fett, das sich um das Herz herum
befindet, kann zum Beispiel zu Bluthochdruck, Herzmuskelschwäche oder
Herzrhythmusstörungen beitragen.
taz: Es gibt aber auch Körperstellen, an denen sich aus gesundheitlicher
Sicht problemlos Fett ansiedeln darf?
Blüher: Ein geringeres Gesundheitsrisiko geht vom Unterhautfett im Bein-
und Hüftbereich aus. Das ist bei Frauen deutlich ausgeprägter als bei
Männern, wahrscheinlich weil die Regulation, also wie sich das Fett
verteilt und entwickelt, an Geschlechtshormone gekoppelt ist. Beim Mann
lagert sich Fett eher im inneren und äußeren Bauchbereich an.
taz: [1][Bei der Fettverteilungsstörung Lipödem] sammelt sich das
Fettgewebe symmetrisch an Beinen und Armen an. In Deutschland sind rund
vier Millionen Menschen, davon fast ausschließlich Frauen, betroffen.
Blüher: Auch hier geht man von einem hormonellen Zusammenhang aus, denn die
Erkrankung äußert sich häufig in Phasen hormoneller Umstellungen: in der
Pubertät, der Schwangerschaft oder den Wechseljahren. Warum sich das
Fettgewebe ausgerechnet an Beinen und Armen so stark vermehrt, weiß die
Medizin nicht. Man vermutet, dass es damit zu tun hat, welche Rezeptoren
die Fettzellen in verschiedenen Körperregionen tragen. Die Verteilung hat
wahrscheinlich genetische Ursachen.
taz: Lipödem-Betroffene bekommen schnell blaue Flecken und sind sehr
schmerzempfindlich. Wie ist das zu erklären?
Blüher: Auch das ist nicht ganz klar. Dadurch, dass das Fettgewebe von
Lipödem-Betroffenen aber wahrscheinlich von weniger Bindegewebszellen
gestützt wird, geht man davon aus, dass Blut und Flüssigkeit leichter durch
die Gefäßwände dringen. Die vermehrten Schmerzen im Fettgewebe sind dadurch
aber noch nicht erklärbar.
taz: Wieso wissen selbst Expert*innen wie Sie so wenig über Krankheiten
wie Adipositas und Lipödem?
Blüher: Weil sie in der Medizin lange Zeit gar nicht als Erkrankungen ernst
genommen wurden. Stattdessen wurden Betroffene eines falschen Lebensstils
bezichtigt und ihre Körper als kosmetisches Problem dargestellt. Man hat
keinen Zusammenhang hergestellt zwischen krankhaftem Fettgewebe, das
übrigens auch schlanke Menschen haben können, und Folgeerkrankungen wie
Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
taz: [2][Übergewichtige Menschen werden noch immer stark stigmatisiert].
Blüher: Die Stigmatisierung werden wir nicht vermeiden können. Denn das
Problem ist ja, Adipositas ist eine augenscheinliche Erkrankung. Jeder kann
sie sehen. Übergewicht wurde immer in Zusammenhang gebracht mit
Willensschwäche, mit fehlender Motivation und fehlender
Selbstverantwortung. Dass das nicht die Erklärung ist und Betroffene oft
nichts für ihr Gewicht können, wissen wir seit rund 30 Jahren. Trotzdem
braucht es noch viel mehr Aufklärung.
taz: Betroffene beklagen auch, dass ihre Medikamente nicht von den Kassen
übernommen werden. Wie kann das sein?
Blüher: Medikamente zur Therapie der Adipositas werden in Deutschland nicht
bezahlt, weil ein Paragraf im Sozialgesetzbuch Adipositas als
Lifestyle-Problem und nicht als Erkrankung definiert. Sogenannte
Lifestyle-Arzneimittel, also solche, die zu einer Erhöhung der
Lebensqualität beitragen sollen, dürfen in Deutschland nicht als Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden. Das sind zum
Beispiel Appetitzügler, Abmagerungsmittel, Arzneimittel zur
Raucherentwöhnung oder zur Verbesserung des Haarwuchses.
taz: Dabei setzen solche Medikamente nur an den Symptomen an.
Blüher: Viel wichtiger ist, die Gesundheit langfristig zu verbessern und
Folgeerkrankungen zu verhindern. Das große Problem ist: Es gibt viel zu
wenige Spezialisten für das Thema. Im Medizinstudium kommt Adipositas kaum
vor.
taz: Wie wird Adipositas aktuell behandelt?
Blüher: Im Wesentlichen gibt es drei Therapieformen. Zum einen die
klassische konservative Therapie, die auf Ernährungsumstellung und Bewegung
setzt. Die zweite Möglichkeit sind Medikamente wie Orlistat, Semaglutid
oder Tirzepatid. Und die dritte ist die chirurgische Therapie. Man kann zum
Beispiel durch eine Verkleinerung des Magens sehr gut Gewicht reduzieren.
Von den Kassen wird das erst ab einem Body-Mass-Index von 35 mit
Begleiterkrankung übernommen. Oder ab einem BMI von 40 ohne
Begleiterkrankung.
taz: Welche Therapie wird am häufigsten verordnet?
Blüher: Die Basistherapie, bestehend aus Ernährungstherapie, verstärkter
körperlicher Aktivität und anderen Strategien zur Änderung von
Gewohnheiten. Hinsichtlich der Gewichtsreduktion ist die chirurgische
Therapie bei Weitem die effektivste Therapie, sie hat aber auch eine Reihe
kurz- und langfristiger Risiken wie Lungenembolien nach der Operation oder
Osteoporose.
taz: Glauben Sie, dass Übergewicht irgendwann so behandelt werden kann,
dass Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Fettlebererkrankungen und
Gelenkprobleme wie Rücken- oder Kniearthrosen gar nicht erst entstehen?
Blüher: Adipositas ist eine chronische, fortschreitende Erkrankung, die
nicht geheilt werden kann. [3][Trotzdem besteht große Hoffnung], dass
aufgrund unseres immer besser werdenden Verständnisses der Mechanismen der
Adipositas weitere Therapiemöglichkeiten entwickelt werden. Diese können
nicht nur dabei helfen, Gewicht zu reduzieren, sondern vor allem den
Gesundheitszustand von Menschen mit Adipositas nachhaltig positiv
beeinflussen. Medikamente spielen dabei die entscheidende Rolle.
28 Aug 2025
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## AUTOREN
Katharina Federl
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