# taz.de -- Film über Fotograf Martin Schoeller: Noch hat Amerika diverse Gesi… | |
> Die wendländische Filmemacherin Josephine Links porträtiert in ihrer | |
> Dokumentation „We all bleed red“ den Starfotografen Martin Schoeller. | |
Bild: Martin Schoellers extreme Nahaufnahmen von Promis werden als große Abzü… | |
In den Straßen von Los Angeles finden Filmaufnahmen mit Obdachlosen statt. | |
Sie erzählen in die Kamera von ihrem Leben, von Drogensucht, Missbrauch im | |
Elternhaus und davon, wie man in der Stadt der Engel schnell aus dem | |
amerikanischen Traum aufwacht. Dann erst fällt auf, dass die Filmkamera | |
hinter einem Fotografen steht und ihn dabei filmt, wie er diese Menschen | |
fotografiert. Und danach folgt eine Montage seiner perfekt in Szene | |
gesetzten Porträtbilder. Die wirken so ästhetisch und intensiv, dass es | |
einen Moment dauert, bis man erkennt, dass man eins von ihnen kennt: das | |
von Barack Obama. | |
Ihn hat der [1][Fotograf Martin Schoeller] mit der gleichen Sorgfalt und im | |
gleichen Stil in Szene gesetzt wie die Wohnungslosen. So wird der Titel des | |
Films gleich nach den ersten Minuten auf den Punkt gemacht: Wir alle haben | |
das gleiche Blut und sind es wert, dass unsere Gesichter gezeigt werden. | |
Martin Schoeller ist einer der bekanntesten Fotografen der USA. Mit seinen | |
extremen Nahaufnahmen, den „Close-up-Stills“, hat er viele Fotobücher und | |
Ausstellungen gefüllt. Er porträtiert die Berühmten und Reichen: Clint | |
Eastwood und Angela Merkel, Meryl Streep und Taylor Swift, Donald Trump und | |
Robert De Niro. | |
Doch neben diesen gut bezahlten und oft gezeigten Bildern macht er auch | |
Fotostrecken mit den Armen und Außenseitern der US-amerikanischen | |
Gesellschaft. Und so ist dieser Film nicht nur ein Künstlerporträt, sondern | |
zeigt auch die USA aus der Sicht der Minderheiten. Schoeller hat in einer | |
Armenküche in Los Angeles Suppe verteilt und kann ohne Herablassung mit den | |
Menschen reden. Diese grundsätzliche Empathie ist in all seinen Bildern zu | |
spüren. | |
## Von der Schwester porträtiert | |
Martin Schoeller ist der Stiefbruder der im Wendland lebenden | |
[2][Filmemacherin und Autorin Josephine Links]. Die hat 2011 mit „Wir | |
sterben“ einen Film über den Tod ihrer Großmutter und zwei Jahre später mit | |
„Am Anfang“ eine Dokumentation über Schwangerschaften gedreht. Hier nun | |
folgt sie Schoeller mit ihrer Filmkamera so selbstlos, dass sie fast | |
unsichtbar bleibt. Sie schaut ihrem Stiefbruder über die Schulter, zeigt | |
ihn beim Fotografieren, Aufbauen seiner riesigen alten Plattenkamera und | |
beim Hängen einer seiner Ausstellungen. Vor allem aber bei Gesprächen mit | |
den Menschen, die er fotografiert. Nicht die Prominenten, sondern jene, die | |
er auf den Straßen von Los Angeles und New York oder beim Verteilen von | |
Suppe bei einem Food Sharing Project trifft. | |
Die Arbeit der Porträtierenden und des Porträtierens vermischen sich so | |
nahtlos, dass man seine und ihre Bilder kaum auseinanderhalten kann – aber | |
es bleibt ja in der Familie. Nicht einmal die Trennung zwischen Einzel- und | |
Bewegtbild behält ihre Gültigkeit, denn Martin Schoeller macht auch | |
sogenannte Moving Portraits, also kurze Videos, in denen seine | |
Protagonist*innen sich vor der Kamera bewegen und im Off ihre | |
Geschichten erzählen. | |
Mit dieser Technik arbeitet er, weil er eine Reihe mit Porträts von | |
Menschen gemacht hat, die unschuldig zum Tode verurteilt wurden. Und auch | |
bei seiner Serie mit Porträts von Überlebenden des Holocaust wendet er | |
dieses Stilmittel an. Er selbst sagt im Film dazu, dass man ihnen ihr | |
Schicksal nicht an den Gesichtern ablesen kann. | |
## USA der Machtlosen und Minderheiten | |
Zusammen mit Josephine Links begibt sich Schoeller auf einige Expeditionen | |
in die USA der Machtlosen und Minderheiten. In Los Angeles treffen sie | |
zusammen trans* Menschen, von denen viele obdachlos sind. In New York | |
organisiert er eine Fotosession mit Dragqueens, die sich extrem aufwendig | |
kostümieren, frisieren und schminken. Der bunteste Paradiesvogel ist dabei | |
jene(r), der/die sich „Avant Garage“ nennt und im Stil des Malers Jackson | |
Pollock mit bunter Farbe bekleckern lässt. Sie sind allesamt extrem | |
exaltierte Selbstdarsteller*innen, aber Schoeller bringt sie dazu, für | |
seine Bilder ohne Posen in die Kamera zu blicken. „Manche sind dann | |
unzufrieden“, sagt er, aber die Qualität seiner Bilder gibt ihm recht. | |
Der Film verlässt nur einmal die Metropolen der Ost- und Westküste, wenn | |
Schoeller und Links zu einem Stammestreffen, einem sogenannten [3][Powwow], | |
von nordamerikanischen Ureinwohnern reisen, die sich im Film übrigens | |
selbst als Indians bezeichnen. Auch hier fangen die beiden Bilder und | |
Geschichten von einem diversen, bunten, aber auch bedrohten Amerika ein. | |
Und einer der Navajo sagt dann auch den Satz, der fast wie ein Zitat aus | |
dem Monolog des Shylock in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ klingt: | |
„We all bleed red.“ | |
31 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Fotoausstellung-von-KZ-Ueberlebenden/!5656021 | |
[2] https://www.josephinelinks.de/ | |
[3] /Roman-ueber-Natives-im-heutigen-Amerika/!6040792 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
zeitgenössische Fotografie | |
Film | |
Fotografie | |
Porträt | |
Fotografie | |
Holocaust | |
Holocaust | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fotograf Wolfgang Tillmans: Vom Olymp aus steigt er in die Maschinenhalle | |
Der Fotograf Wolfgang Tillmans wird weltweit gefeiert. Mit einer | |
Ausstellung in Remscheid begibt er sich auf eine Reise zurück in seine | |
Heimatstadt. | |
Gegen das Vergessen: Von lebendigen Schatten | |
Der Mannheimer Fotograf und Aktivist Luigi Toscano reist seit fünf Jahren | |
um die Welt, um Überlebende des Holocaust zu porträtieren. | |
Fotoausstellung von KZ-Überlebenden: Triumph des Lebens | |
75 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung: Die Zeche Zollverein in Essen zeigt | |
die Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“. |