| # taz.de -- Burlesquefestival auf der Reeperbahn: „Körper auf der Bühne sin… | |
| > In Hamburg steigt das erste deutsche internationale Burlesquefestival. | |
| > Wissenschaftlerin Joanna Staśkiewicz über Burlesque als lokales | |
| > Barometer. | |
| Bild: Die Burlesque-Künstlerin Belle la Donna veranstaltet das Burlesque-Festi… | |
| taz: Ist Burlesque mehr als nur der Vorläufer des Striptease? | |
| Joanna Staśkiewicz: Ja! Burlesque ist viel mehr, als nur Fächer, Absätze | |
| oder Corsage. Ich erforsche Burlesque mittlerweile seit fünf Jahren. Es ist | |
| für mich die Performance der Emotionen. Die Künstler*innen bringen ihre | |
| eigene Geschichten auf die Bühne. Entscheidend ist dabei immer die | |
| Narration im Akt. Deshalb ist Burlesque viel mehr als nur die Kunst des | |
| Ausziehens. | |
| taz: War Burlesque schon immer so vielfältig? | |
| Staśkiewicz: Die Anfänge der Burlesque mit erotischem Aspekt waren in den | |
| 60er Jahren des 19. Jahrhunderts in London. Als erste Burlesque | |
| Performer*innen gelten Lydia Thompson und ihre Gruppe the British | |
| Blondes. Das war damals schockierend, weil Thompson die erste war, die in | |
| Shorts aufgetreten ist. In einer Zeit, wo nach der viktorianischen | |
| Geschlechterordnung Frauen von Kopf bis Fuß zugeknöpft sein sollten. Auch | |
| schon im 19. Jahrhundert hatte Burlesque diesen queeren Aspekt durch die | |
| Destabilisierung der Geschlechternormen, wenn Frauen männliche Rollen | |
| gespielt haben, wie Thompson. | |
| taz: Also ist Burlesque eine Kunstform, die auch politische Themen | |
| aufgreift? | |
| Staśkiewicz: Die beste Antwort darauf habe ich bei Interviews mit Burlesque | |
| Performer*innen für mein Habilitationsprojekt bekommen: Körper auf der | |
| Bühne sind immer politisch, wenn es Frauenkörper, queere Körper oder nicht | |
| normschöne Körper sind. | |
| taz: Welche Rolle spielt Burlesque für die queere Community? | |
| Staśkiewicz: In allen Städten, die ich untersucht habe, ist die Burlesque | |
| sehr stark mit der [1][queeren Community] verbunden. Burlesque-Shows finden | |
| meistens an queeren Orten statt und bilden Safe Places. Ich bezeichne das | |
| gerne als queere Heterotopie, wo man für einige Zeit vergessen kann, was | |
| draußen in Zeiten des politischen Rechtsrucks passiert. Burlesque sehe ich | |
| da nicht nur als Kunstform sondern als Bewegung. Ich bin fasziniert von | |
| dieser Community und der Solidarität zwischen den Performer*innen, auch | |
| international. | |
| taz: Kann also Burlesque auch eine Protestform gegen den Rechtsruck sein? | |
| Staśkiewicz: Auf jeden Fall. Wenn Sie zu Burlesque gehen, erwarten Sie | |
| Erotik oder was Lustiges. Aber oft gibt es sehr ernste und berührende | |
| Performances. Als in Polen [2][das Abtreibungsgesetz] verschärft werden | |
| sollte. Da haben mehrere Performerinnen ihre Show den Frauenrechten | |
| gewidmet. Bei einer Performance ist eine Frau mit erhobener Faust | |
| aufgetreten. Auf der Faust stand „Nichts über mich, ohne mich“. | |
| taz: In den 1960er Jahren endete die Verbreitung des Burlesque, auch in | |
| Deutschland. Wie kam es zur Renaissance? | |
| Staśkiewicz: Natürlich gibt es immer Diskussionen, wer war zuerst da. Als | |
| eine der ersten Performer*innen gilt seit den 90er Jahre die | |
| US-Amerikanerin Dita Von Teese. Die andere Theorie ist, dass Neo-Burlesque | |
| noch früher in queeren Bars angefangen hat. In Berlin begann die Burlesque | |
| Anfang der 2000er, unter den ersten waren Marlene von Steenvag, die | |
| zusammen mit Else Edelstahl den „Salon Kokett“ und Berlin Burlesque | |
| Festival gegründet hat. Es gab auch die Gruppe The Teaserettes. Die haben | |
| eine Art Zirkus-Freak-Burlesque angeboten. Außerdem kann man noch Sheila | |
| Wolf nennen, ein Drag- und Burlesque-Darsteller, der Boylesque Festivals in | |
| Berlin organisiert und La Viola Vixen, die die Shimmy Shake Shimmy Shake | |
| Burlesque School gegründet hat. | |
| taz: Neben Berlin haben Sie auch in New Orleans und Warschau über Burlesque | |
| geforscht. Unterscheiden sich die Burlesque-Szenen verschiedener Städte? | |
| Staśkiewicz: [3][Burlesque] ist immer ein lokales Barometer, weil die | |
| Performer*innen oft mit lokalen Elementen spielen. In New Orleans haben | |
| Burlesque-Performer Voodoo Shows gemacht. In Polen gab es Shows, die die | |
| katholische Erziehung kritisieren. In Berlin gibt es Shows, die sich auf | |
| die Weimarer Zeit beziehen oder welche über Clubkultur und Technomusik. Das | |
| ist ein faszinierendes Phänomen. [4][In Hamburg] gibt es Künstlerinnen, die | |
| das Maritime der Stadt aufgreifen. | |
| 28 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aenderung-beim-Selbstbestimmungsgesetz-/!6106418 | |
| [2] /Studie-zu-Schwangerschaftsabbruechen/!6103252 | |
| [3] /Berlinalefilm-ueber-Peaches/!5993973 | |
| [4] https://www.german-burlesque-festival.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Amelie Müller | |
| ## TAGS | |
| Queer | |
| Künstlerinnen | |
| Erotik | |
| Reeperbahn | |
| Performance-KünstlerIn | |
| Performance | |
| Social-Auswahl | |
| Rocky Horror Picture Show | |
| Reeperbahn | |
| Podcast „Bundestalk“ | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 50 Jahre „Rocky Horror Picture Show“: „I'm just a sweet transvestite“ | |
| Ein Sprung nach links: Wie nur gelang es der „Rocky Horror Picture Show“ | |
| zum am längsten kontinuierlich laufenden Film aller Zeiten zu werden? | |
| Festival strebt nach Gleichberechtigung: Scheinwerferlicht für Nichtmänner | |
| Das Reeperbahnfestival will ebenso vielen Frauen wie Männern eine Bühne | |
| bieten. Zusätzlich gibt es ein eigenes Showcase für Flinta*-Künstler*innen. | |
| Pride Month: Der Backlash gegen diverse Lebensformen | |
| Weltweit orchestriert die extreme Rechte einen antifeministischen und | |
| antiqueeren Backlash. Woher kommt dieser Hass? Und wie leisten wir | |
| Widerstand? |