# taz.de -- Tourismus in Argentinien: Krise im Gletscherparadies | |
> Um die Inflation zu bekämpfen, hat Argentiniens libertärer Präsident | |
> Milei Ausgaben gekürzt. Das verteuert den Peso – mit ungewollten | |
> Nebenwirkungen. | |
Bild: Die leere Einkaufspassage bei Los Duendes del Bosque war früher gut besu… | |
El Calafate taz | Niemand bummelt durch die Einkaufspassage mit den kleinen | |
Kunsthandwerk- und Souvenirläden im patagonischen El Calafate. Im Geschäft | |
Los Duendes del Bosque (Die Waldelfen) steht Mariana Balli vor den gerade | |
angelieferten Kartons und überprüft deren Inhalt. „Der Winter ist | |
Nebensaison und es ist immer weniger los“, sagt sie und legt Pullover und | |
T-Shirts mit Motiven von El Calafate und den Gletschern in die Regale. | |
Mariana Balli lebt und arbeitet seit 13 Jahren in El Calafate. „Als ich | |
damals hier ankam, musste ich mich durch die Touristenmassen schlängeln“, | |
erinnert sie sich. Aber sie erinnert sich auch an die Pandemie und die | |
Quarantäne, als alles über Nacht zum Stillstand kam. Der Ort im Süden | |
Argentiniens wäre gänzlich unbekannt, wenn er nicht am Rande des | |
Nationalparks Los Glaciares liegen würde und wenn er nicht der beste | |
Ausgangspunkt für einen Besuch des Parks und [1][des | |
Perito-Moreno-Gletschers] wäre. | |
Heute zählt El Calafate rund 30.000 Einwohner*innen, die nahezu alle direkt | |
oder indirekt vom Tourismus leben. Vom Luxushotel bis zur kleinen Herberge | |
ist alles vorhanden. Aber es kriselt. Argentinien ist teuer geworden, auch | |
für ausländische Besucher*innen. Ursache dafür ist die Finanzpolitik | |
[2][des liberal-libertären Präsidenten Milei] und sein Versprechen, die | |
Inflation zu beseitigen, unter der Argentinien mit dreistelligen | |
Jahresraten noch bis vor Kurzem gelitten hatte. | |
Tatsächlich hat seine extrem restriktive Finanzpolitik zu einem drastischen | |
Rückgang der Inflationsrate geführt. Gleichzeitig hat sie jedoch bewirkt, | |
dass der Wert des Pesos, der Landeswährung, gegenüber dem Dollar gestiegen | |
ist. Inzwischen ist der billige Dollar selbst ein Instrument zur | |
Inflationsbekämpfung, da er importierte Waren verbilligt, weshalb Milei mit | |
allen finanzpolitischen Mitteln daran festhält. | |
## Viele Argentinier*innen reisen ins Ausland | |
Für viele Argentinier*innen bedeutet das, dass Reisen ins Ausland | |
günstiger sind als der Urlaub im eigenen Land. In den ersten fünf Monaten | |
des Jahres 2025 erreichte die Zahl der argentinischen Touristen im Ausland | |
6,7 Millionen, den höchsten Stand seit neun Jahren. „Es ist billiger, von | |
Buenos Aires nach Miami als nach El Calafate zu fliegen“, sagte Pablo | |
Perret, Präsident des Verbandes für Touristenunterkünfte in El Calafate | |
(Acatec). Perret schätzt, dass sich etwa 40 Prozent der Bevölkerung | |
Urlaubsreisen heute noch leisten können. Die meisten gingen ins benachbarte | |
Ausland, in die Karibik, in die Vereinigten Staaten oder nach Europa. | |
Touristische Hotspots wie El Calafate leiden besonders unter den Folgen. | |
„Angesichts des seit Dezember 2023 niedrigen Dollarkurses sind wir im | |
Vergleich zu anderen Reisezielen nicht wettbewerbsfähig“, sagt Perret. Die | |
Saison 2024/2025 war schlecht und die Zukunft ist ungewiss, fügt er hinzu. | |
Kommen die ausländischen Touristen nicht mehr in so großer Zahl, ist die | |
Krise sofort spürbar. Nach Angaben der argentinischen Tourismuskammer sind | |
seit Juli täglich zehn Arbeitsplätze in der Hotel- und Gastronomiebranche | |
verloren gegangen. Dies ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch | |
eine soziale Tragödie. „Die meisten von ihnen sind Familienbetriebe, die | |
täglich Einnahmen verlieren“, sagt Perret, der zusammen mit seiner Frau | |
kleine Cabañas vermietet. | |
„Der Rückgang der Besucherzahlen ist deutlich spürbar“, bestätigt Xoana | |
Leggieri. Sie leitet ein kleines Reisebüro an der Avenida Libertador. Hier, | |
an der Hauptstraße von El Calafate, reihen sich die Läden der Anbieter von | |
organisierten Ausflügen und Tagesreisen aneinander. Bis vor zwei Jahren | |
beschwerten sich nur Argentinier über die Preise, doch nun tun dies auch | |
ausländische Besucher, sagt sie. Die Unzufriedenheit richtet sich jedoch | |
nur gegen die Preise, nicht gegen das Reiseziel. „Alle sind sehr zufrieden | |
mit El Calafate“, versichert die 35-Jährige und zeigt auf die | |
Hochglanzfotos der Gletscher im Nationalpark, die in allen erdenklichen | |
Blautönen schillern. „Die meisten Besucher bleiben drei Tage: Ankunft, ein | |
Tag für den Perito-Moreno-Gletscher, ein Tag für andere Gletscher oder | |
einen Ausflug nach El Chaltén, um das Fitz-Roy-Massiv zu sehen, Abreise“, | |
zählt Xoana Leggieri auf. | |
## Hotels schließen früher | |
Der über 700.000 Hektar große Nationalpark Los Glaciares ist einer der | |
meistbesuchten Parks Argentiniens. Hier finden Sie spektakuläre | |
Naturschönheiten, 60 bis 100 Meter hohe Gletscher, von denen mit | |
ohrenbetäubendem Getöse riesige Brocken abbrechen und wie kleine Eisberge | |
im milchig-trüben Wasser der Gletscherseen treiben, sowie steil aufragende | |
Berge, deren wolkenverhangene Gipfel unüberwindbar erscheinen. Der | |
Perito-Moreno-Gletscher ist nicht der größte, aber der spektakulärste | |
Gletscher Patagoniens, deren herausragendes gemeinsames Merkmal darin | |
besteht, dass sie fast auf Meereshöhe liegen. Allerdings hat eine kürzlich | |
veröffentlichte Studie bestätigt, das sich auch [3][der | |
Perito-Moreno-Gletscher aufgrund des Klimawandels zurückzieht]. | |
„Viele Hotels haben letzte Saison früher geschlossen, was zu zahlreichen | |
Entlassungen geführt hat“, sagt Xoana Leggieri. Die Anspannung vor der | |
nächsten Saison ist überall spürbar. „Die Zahl der Reservierungen von | |
ausländischen Besuchern, insbesondere aus Europa, ist bereits deutlich | |
zurückgegangen“, sagt Leggieri. | |
Diesen Trend bestätigt auch Mariana Balli in ihrem Geschäft Los Duendes del | |
Bosque: „Es kommen deutlich weniger Kunden in den Laden.“ Dennoch sei sie | |
optimistisch. „Unsere Textilien werden hier in Patagonien hergestellt. Sie | |
sind von guter Qualität und haben daher einen entsprechenden Preis, Das | |
wissen auch die Touristen zu schätzen“, versichert sie. Waren es in der | |
Vergangenheit gerade die Motive auf den Textilien, die zum Kauf lockten, so | |
sind es jetzt kleinere Mitbringsel und typisch lokale Süßigkeiten und | |
Spirituosen, wie der Calafate-Likör, der aus den bläulichen Beeren des | |
Calafate-Strauchs hergestellt wird, dem der Ort seinen Namen verdankt. „Der | |
Süden Argentiniens war schon immer teuer als der Norden“, sagt Mariana | |
Balli. | |
Die Preissteigerungen in Patagonien sind nicht ganz so extrem ausgefallen, | |
bestätigt Acatec-Präsident Pablo Perret. „Was in Buenos Aires noch billiger | |
ist, sind Gemüse und Obst, aber die Preise für Unterkunft, Restaurants und | |
in den Supermärkten sind heute so hoch wie in El Calafate.“ Eine Lösung | |
sieht der 55-Jährige nicht. Eine Abwertung des Peso würde dem Tourismus | |
zwar einen Aufschwung verschaffen, aber auch die Inflation wieder anheizen, | |
was die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft am härtesten treffen würde, | |
sagt Perret. | |
27 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Gletscher-in-Patagonien/!5958619 | |
[2] /Javier-Milei/!t5974518 | |
[3] https://www.nature.com/articles/s43247-025-02515-7 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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