# taz.de -- Gewaltprävention in Schleswig-Holstein: Wer schützt den Mörder v… | |
> Seit Ende 2023 gibt es in Schleswig-Holstein Gewaltpräventionsambulanzen | |
> für psychisch Kranke. Eine erste Bilanz fällt durchaus positiv aus. | |
Bild: Gewaltschutzambulanzen sollen etwa tödliche Messerattacken wie in Brokst… | |
Rendsburg taz | Der [1][Messerangriff] einer Deutschen am Hamburger | |
Hauptbahnhof im Mai oder die [2][Amokfahrt] eines gebürtigen Saudi-Arabers | |
und Islamhassers in Magdeburg im Dezember 2024 – nach solchen Taten stellt | |
sich immer die Frage: Wäre es vermeidbar gewesen? | |
In Schleswig-Holstein war man nach der tödlichen [3][Messerattacke in einem | |
Regionalzug bei Brokstedt] im Januar 2023 auch mit dieser Frage | |
konfrontiert. Seitdem fördert das Land [4][mehrere | |
Gewaltpräventionsambulanzen]. Hier sollen mögliche Täter:innen betreut | |
werden, bevor etwas passiert. Die Arbeit ist angelaufen und nun wurde eine | |
erste Bilanz gezogen. Eines steht für die Verantwortlichen der Kieler | |
Ambulanz bereits fest: Sie wünschen sich mehr Leute – und einen neuen | |
Namen. | |
Die Sozialarbeiterin Laura Wieland betreut gemeinsam mit ihrem Kollegen | |
Erdal Günes die Gewaltpräventionsambulanz, die an das Institut für | |
Sexualmedizin, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des | |
Universitätsklinikums in Kiel angegliedert ist. Im Dezember 2023 fiel der | |
Startschuss für diese und weitere Ambulanzen in anderen Städten. Der Verein | |
Wendepunkte bietet Beratung in Elmshorn an, Pro Familia tut dasselbe in | |
Flensburg und Lübeck. | |
Das Land Schleswig-Holstein fördert die Arbeit mit rund 400.000 Euro, die | |
sich auf die vier Standorte verteilen. Auch für kommendes Jahr stehe die | |
Chance auf Förderung gut, sagt Christian Huchzermeier, Professor am | |
Uni-Klinikum Kiel und Direktor des Forensischen Instituts. Die Summe sei | |
aber eigentlich zu gering für die großen Erwartungen, die sich damit | |
verbinden. | |
## Warnzeichen früh erkennen | |
Die Ambulanzen sollen Warnzeichen früh erkennen und ein rechtzeitiges | |
Eingreifen möglich machen. „Es geht um Personen, um die sich sonst kaum | |
jemand kümmern will“, sagt Huchzermeier. Wie jener junge Mann, den Laura | |
Wieland betreute. | |
Er hatte bereits im Gefängnis gesessen und war wegen Schizophrenie und | |
einer Suchtthematik behandelt worden. Keine Wohneinrichtung wollte ihn | |
aufnehmen. Dank der Vermittlung der Gewaltpräventionsambulanz fand sich | |
doch noch ein Heimplatz. | |
„Dort wurde er übergriffig und musste in die Wohnungslosenunterkunft“, sagt | |
Wieland. Nach einer Weile gelang es, ihn in einer Psychiatrie | |
unterzubringen. „Neulich rief er an, es war ein guter Kontakt.“ Der Mann | |
sei im System geblieben, habe Hilfe erhalten und vor allem habe er | |
niemanden verletzt. | |
Insgesamt 63 Personen betreute die Kieler Ambulanz bisher. Allerdings | |
hatten Wieland und ihr Kollege nur mit einem Teil davon persönlichen | |
Kontakt. „Der Datenschutz, so wichtig er ist, macht unsere Arbeit | |
schwierig“, erklärt Huchzermeier. Denn in der Regel melden sich nicht die | |
Betroffenen selbst, sondern Fachleute, die sie aus einem Wohnheim, einer | |
Drogenberatungsstelle oder einem Tagestreff kennen. „Und die dürfen oft | |
keine Details berichten, was bedeutet, dass wir nur allgemeine Tipps geben | |
können“, sagt Huchzermeier. | |
Bei der [5][Innenministerkonferenz im Frühjahr in Bremen] ging es unter | |
anderem um solche potenziell gefährlichen Personen. Die Runde einigte sich | |
auf ein „integriertes Risikomanagement“, in dessen Rahmen auffällige | |
Diagnosen unter anderem bei der Polizei gemeldet werden sollten. Nur besagt | |
die Diagnose allein kaum etwas über das mögliche Gefahrenpotenzial. Das | |
zeigen Studien. | |
Es braucht den fachlichen Blick auf den Einzelfall, sagt Huchzermeier. Es | |
könne daher sinnvoll sein, Informationen über auffällige Personen bei einer | |
Fachstelle zu sammeln, schlägt er vor: „Das wäre das mildere Mittel und | |
würde uns mehr Möglichkeiten eröffnen.“ | |
## Ambulanzen können viel erreichen | |
Eigentlich kann die Ambulanz vieles erreichen. „Wir sind in Kontakt mit | |
allen Beratungs- und Fachstellen, vermitteln weiter und suchen Lösungen“, | |
sagt Wieland. Hinzu kommt, dass sie und ihr Kollege Aufgaben übernehmen, | |
für die sonst niemand Zeit habe: „Etwa, jemanden bei Ämtergängen | |
begleiten.“ | |
Das wäre auch im Fall von Ibrahim A. denkbar gewesen, der inzwischen wegen | |
des tödlichen Messerangriffs im Regionalzug verurteilt wurde. „Hätte es | |
einen Anlaufpunkt wie diesen bereits gegeben, die Chance wäre da gewesen, | |
ihn zu erreichen und aufzuhalten“, sagt Huchzermeier. Eine Sache aber müsse | |
sich dringend ändern: „Wir sollten die Bezeichnung des Angebots ändern.“ | |
Denn kaum jemand sehe sich selbst als gewalttätig und wolle sich einer | |
Gewaltprävention unterziehen. | |
7 Aug 2025 | |
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[5] https://www.senatspressestelle.bremen.de/pressemitteilungen/80-beschluesse-… | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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Polizei Schleswig-Holstein | |
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