# taz.de -- Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien: Paradies in Gefahr | |
> Vom Naturschutzgebiet in die ökologische Krise: Die Insel Combu unweit | |
> der nächsten Weltklimakonferenz COP30 in Belém wird vom Tourismus | |
> überrollt. | |
Bild: Tourismus mit Folgen: Mit dem zunehmenden Bootsverkehr zur Ilha do Combu … | |
BELÉM taz | Wer vom Hafen von Belém auf dem Rio Guamá startet, kann in | |
weniger als zehn Minuten mit dem Schnellboot das urbane Chaos der Metropole | |
gegen die Ruhe des Amazonas-Regenwaldes eintauschen. Oder besser gesagt: | |
konnte. Seit der Tourismus die Insel Combu „entdeckt“ hat, ist das Leben | |
der Flussanwohner*innen nicht mehr dasselbe. | |
Ronaldo Pinho, 41 Jahre alt, wurde auf der Insel geboren und ist dort | |
aufgewachsen. Es ist ein Ort ohne Straßen, an dem man sich nur übers Wasser | |
fortbewegt. Pinho verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln der | |
Amazonasfrucht Açaí sowie mit Fisch- und Garnelenfang. Seit einiger Zeit | |
arbeitet er auch als Bootsfahrer. Die Zahl der Tourist*innen, die durch die | |
Flüsse fahren wollen, ist in den letzten zehn Jahren explosionsartig | |
gestiegen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Restaurants und Unterkünfte | |
entlang des Flussufers. | |
Mit dem Anstieg der Touristenzahlen wuchs die Nachfrage nach Booten. Das | |
veranlasste Unternehmer*innen dazu, weitere Anlegestellen zu | |
errichten. Für Pinho war das zuerst einmal eine finanzielle Chance: Bei | |
einer kurzen Überfahrt mit seinem 20-sitzigen Boot nimmt er 240 Reais | |
(umgerechnet rund 37 Euro) ein. | |
„Der Tourismus hat das Leben hier stark verändert“, meint er. Es gebe nun | |
Arbeitsplätze, die Anwohner*innen müssten die Insel nicht mehr | |
verlassen, um auf den Märkten im Zentrum zu schuften. Doch er fügt hinzu: | |
„Die Garnelen sind aus unserem Fluss verschwunden.“ Früher habe er einfach | |
sein Netz auswerfen müssen, heute fange Pinho kaum noch welche. Woran das | |
liege? „Am ständigen Bootsverkehr.“ | |
## Seit 1997 ist die Insel ein Naturschutzgebiet | |
Der Tourismus bringt das Ökosystem an seine Grenzen. Das Verschwinden von | |
Fischen und Meeresfrüchten ist nur ein Symptom. „Wir können auch | |
beobachten, dass in den Gebieten mit den meisten Bauten die Vegetation ins | |
Wasser gedrängt wird“, berichtet Raquel Ferreira. Sie gründete 2019 | |
gemeinsam mit ihrem Mann ein Tourismusunternehmen. Schnellboote und Jetskis | |
erzeugen Wellen, die die Ufer schneller erodieren lassen und zur Versandung | |
führen. | |
Mindestens einmal pro Woche bringt sie Touristengruppen zur Insel Combu und | |
beobachtet dabei aus nächster Nähe, wie die Zerstörung voranschreitet. Je | |
mehr Anlagen entstehen, desto mehr Bäume verschwinden. Dass die Ankunft der | |
Besucher*innen das Einkommen der Bevölkerung verbessert hat, streitet | |
Ferreira nicht ab. Das Problem sei jedoch die fehlende Kontrolle. [1][Seit | |
1997 ist die Insel ein Naturschutzgebiet]. Nach brasilianischem Recht | |
bedeutet das: Schutz der Biodiversität, Regulierung der menschlichen | |
Nutzung und nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen. In der Praxis | |
kontrolliert kaum jemand, ob das auch eingehalten wird. | |
Und so verschlechtern sich die Lebensbedingungen auf der Ilha do Combu | |
zunehmend. Ironischerweise ist [2][Belém Gastgeberstadt der nächsten | |
Weltklimakonferenz], bei der sich im November die Staats- und | |
Regierungschefs der Welt treffen, um über Klimawandel und | |
Anpassungsstrategien zu diskutieren. Eine Erhebung des brasilianischen | |
Statistikamts IBGE zeigt, dass [3][Belém die sechstwenigsten Bäume aller | |
brasilianischen Hauptstädte hat]: Über 55 Prozent der Einwohner*innen | |
leben in Straßen ohne jegliche Begrünung. Wohlgemerkt: Die Stadt liegt in | |
Amazonien, der größten tropischen Waldlandschaft der Welt. | |
Dabei ist Beléms Lage eigentlich privilegiert: Die | |
Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt ist von Flüssen umgeben und besitzt 42 | |
Inseln mit Stränden und Wald. Dennoch schätzt die gemeinnützige | |
Organisation [4][CarbonPlan], dass Belém bis 2050 zur zweitheißesten Stadt | |
der Welt werden könnte – eine Folge des Klimawandels, aber auch Resultat | |
von chaotischem Wachstum, massiver Entwaldung und mangelndem Schutz der | |
Natur, selbst in geschützten Gebieten wie der Insel Combu. | |
## Immobilienspekulation in Belém | |
Die rasante Zerstörung ist so alarmierend, dass der Forscher Jonathan Nunes | |
der Bundesuniversität Pará seit drei Jahren die Folgen dieser Urbanisierung | |
kartiert. „In der Praxis schreitet die Immobilienspekulation durch Personen | |
von außerhalb immer weiter voran und degradiert die einheimische | |
Bevölkerung zu bloßen Dienstleistern für Neuankömmlinge“, stellt Nunes | |
fest. | |
Seine Studie hebt hervor, was sich trotz des Tourismusgeldes nicht | |
verbessert hat: die Entwaldung, die illegale Müllentsorgung, die | |
Verschmutzung der Flüsse, fehlende Abwasserentsorgung und | |
Trinkwasserversorgung. Das zwingt die Bewohner*innen oft dazu, den | |
Fluss zu überqueren, um auf der anderen Seite Trinkwasser in Kanistern zu | |
kaufen. | |
Raquel Ferreira setzt beim Tourismus auf ein anderes Modell: Bei ihren | |
Touren zur Insel Combu nimmt sie maximal 20 Personen mit. Sie setzt auf das | |
Prinzip des gemeindebasierten Tourismus, der die lokale Bevölkerung | |
einbindet und dabei Umwelt und Traditionen respektiert. „Unser Ziel ist es | |
zu zeigen, dass nachhaltiger Tourismus ein Verbündeter für den Erhalt und | |
die lokale Entwicklung sein kann, wenn er verantwortungsvoll geplant wird“, | |
sagt sie. „Der Amazonas ist nicht nur eine Landschaft, er besteht aus den | |
Menschen, die hier leben.“ | |
Nach Jahren, in denen er zusehen musste, wie Nachbar*innen die Insel | |
wegen des unkontrollierten Tourismus verließen, hofft Ronaldo Pinho nun auf | |
die COP30. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit muss Veränderungen für | |
die Bewohner*innen von Combu bringen. „Wir brauchen mehr Kontrollen“, | |
meint er. „Die Behörden sollten die Inseln der Stadt endlich ernst nehmen | |
und uns Maßnahmen ergreifen, die wirklich helfen. Wir müssen dieses Stück | |
Land, das wir Heimat nennen, um jeden Preis bewahren.“ | |
Fábia Sepêda ist Journalistin in Belém, Brasilien, Moderatorin des | |
Morgenjournals [5][„Bom Dia Pará“] und Reporterin bei TV Liberal. | |
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Niklas Franzen | |
29 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://pt.wikipedia.org/wiki/%C3%81rea_de_Prote%C3%A7%C3%A3o_Ambiental_da_… | |
[2] https://cop30.br/en | |
[3] https://www.terra.com.br/planeta/sede-da-cop30-belem-e-a-6-capital-menos-ar… | |
[4] https://carbonplan.org/ | |
[5] https://g1.globo.com/pa/para/videos-bom-dia-para/ | |
## AUTOREN | |
Fábia Sepêda | |
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