| # taz.de -- Werkschau von Wang Bing in Düsseldorf: Das Beiläufige wunderbar b… | |
| > Mit Filmen und Fotografien begleitet Wang Bing die sozioökonomischen | |
| > Veränderungen Chinas. Der Kunstverein Düsseldorf zeigt sie in einer | |
| > Ausstellung. | |
| Bild: Ansicht in Wang Bings Ausstellung „The Weight of the Invisible“ in D�… | |
| Endzeitliche Stimmung liegt über den Bildern. Ein paar Männer stehen in | |
| einer Trümmerlandschaft, zwei Türen lehnen an einem Strommasten, im | |
| Hintergrund Mauerreste. In den Pausenräumen des Metallschmelzwerks sind | |
| noch vereinzelt Arbeiter zu sehen, schlafend hängen sie über den Tischen | |
| oder liegen auf Holzbänken. | |
| Noch gibt es einen kleinen Shop, sein Warenangebot ist durch die vergilbten | |
| Scheiben jedoch kaum zu erkennen. Die verbliebenen Wohnquartiere haben | |
| schon unzählige Menschen beherbergt. Eine Frau und drei Männer sitzen auf | |
| einem Metallbett, vor dem Fenster hängt notdürftig ein Stück Stoff mit | |
| Palmenmuster. | |
| [1][Wang Bing] hat die Fotografien zwischen 1994 und 2001 im Bezirk Tiexi | |
| in Shenyang in der Provinz Liaoning, China, aufgenommen – in Vorbereitung | |
| auf und während der Dreharbeiten zu „Tie Xi Qu: West of the Tracks (2003)“. | |
| Die mehr als neunstündige Dokumentation protokolliert den allmählichen | |
| Niedergang des einst blühenden Industriebezirks in der Übergangsphase von | |
| staatlich geführter Produktion zum freien Markt. Im Kunstverein Düsseldorf | |
| eröffnen die Fotos jetzt eine Schau mit Werken des chinesischen, heute | |
| 57-jährigen Dokumentarfilmemachers und Fotografen. | |
| ## Epische Länge | |
| Seit dem Beginn seiner künstlerischen Laufbahn begleitet Wang Bing die | |
| sozioökonomischen Veränderungen, die China in den letzten Jahrzehnten | |
| geprägt haben. Sein Blick gilt dabei nicht den großen, bildgewaltigen | |
| Ereignissen, sondern dem Beiläufigen und Marginalen. | |
| Es sind so geduldige wie urteilsfreie Beobachtungen der Lebens- und | |
| Arbeitswirklichkeit gewöhnlicher Menschen. Schon aufgrund ihrer epischen | |
| Länge sind Wang Bings Arbeiten außerhalb der Filmfestivals selten zu sehen. | |
| Umso erfreulicher, dass seine Filme auch im Ausstellungsraum zu erfahren | |
| sind, nach einer Retrospektive bei der documenta 14, jetzt [2][im | |
| Kunstverein Düsseldorf]. Die einflussreiche Pariser Galeristin Chantal | |
| Crousel hatte Bing vor einigen Jahren in Kunstkreisen bekannt gemacht. | |
| Kuratiert ist die Schau von Kathrin Bentele, Direktorin des Kunstvereins | |
| und designierte Leiterin der Kunsthalle Friart Fribourg. „The Weight of the | |
| Invisible“, so der Titel der zweiteiligen Ausstellung, spannt dabei einen | |
| Bogen von der Gegenwart des chinesischen Kapitalismus zurück in die | |
| Geschichte und die damit verbundenen Traumata und Verluste. | |
| ## Verwüstungen der Kulturrevolution | |
| Der Film „Beauty Lives in Freedom“ (2018), nun in „Part II“ zu sehen, i… | |
| ein schmerzhaftes Zeugnis der Verwüstungen durch die Kulturrevolution. Mit | |
| mehr als vier Stunden Laufzeit eignet sich der komplexe Monolog des | |
| chinesischen Künstlers, Philosophen und Aktivisten Gao Ertai jedoch kaum | |
| zur partiellen Sichtung. | |
| Überhaupt wirkt dieses zweite Ausstellungskapitel ein wenig wie ein | |
| Appendix zum ersten, von Wang Bing speziell für den Kunstverein | |
| konzipierten Teil. Sein multiperspektivischer Ansatz fand sich darin auf | |
| produktive Weise in die räumliche Inszenierung übersetzt. Material der | |
| Installation war damals [3][„Youth“, Wang Bings jüngstes Filmprojekt]. | |
| Im Zentrum standen junge ungelernte Wanderarbeiter:innen aus den | |
| ländlichen Provinzen, die über Monate in den Textilverarbeitungswerkstätten | |
| eines grauen Distrikt der Millionenmetropole Huzhou City arbeiten. Anders | |
| als man es aus Berichten über die riesigen Textilbetriebe in Asien kennt, | |
| werden in den privat geführten „Workshops“ nicht Kleider für den globalen | |
| Handel, sondern vor allem für den chinesischen Binnenmarkt produziert. | |
| Im Ausstellungsraum entfaltete sich der erste Teil der Trilogie „Youth | |
| (Spring)“ auf neun, durch Sichtachsen verbundene Videoprojektionen. Wang | |
| Bing hatte die lineare Filmerzählung in entsprechend viele Episoden | |
| zerlegt. Nüchtern registriert darin die handgeführte Kamera, wie | |
| unübersichtliche Stoffberge von wirbelnden Händen durch die Nähmaschinen | |
| gezogen werden. Die repetitiven Abläufe, begleitet von Maschinengeratter, | |
| lauter Radiomusik und Smalltalk, entwickeln dabei einen ganz eigenen Sog. | |
| ## Den Bewegungen folgen | |
| Wiederholt setzt sich die Kamera mit den Arbeitenden in Bewegung und folgt | |
| ihnen über enge Treppen und zugemüllte Laubengänge in die angehängten | |
| Schlafblöcke. „Youth“ bezeugt eine Gegenwart, die von ausbeuterischer | |
| Arbeit bestimmt ist, nebenher produziert sie eine soziale Gemeinschaft, | |
| temporäre Solidaritäten, einen Flirt, manchmal auch mehr. | |
| Fragil und ungleich härter errungen sind die Freiräume in „Beauty Lives in | |
| Freedom“ (2018). Obgleich nie offen kritisch gegenüber der Regierung geriet | |
| Gao Ertai durch seine Schriften (etwa über Schönheit) über Jahrzehnte ins | |
| Visier staatlicher Verfolgung, wurde mit Zwangsarbeit bestraft, später auch | |
| mit Lehr- und Publikationsverbot. Im Film blättert der heute in Las Vegas | |
| lebende Künstler durch eine dicke Mappe mit halb zerfledderten Papieren, | |
| darunter dicht beschriebene, teils winzige Zettel, die er aus Angst vor | |
| Repressionen in seine Kleidung einnähte. | |
| „Man in Black“ dagegen ist ein eindrucksvolles Beispiel performativer Oral | |
| History. In einem leeren Theater zeigt sich der nackte Körper des | |
| 86-jährigen Komponisten Wang Xilin als Instrument für erzählte wie | |
| somatische Erinnerung, Laute und stilisierten Gebärden lassen | |
| Gewalterfahrungen aufscheinen. Eine gefasste Dämonenaustreibung. | |
| 30 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Esther Buss | |
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