| # taz.de -- Proteste in Angola: Die Leute können nicht mehr | |
| > Angola ist das neueste Land Afrikas, das Aufruhr gegen Preissteigerungen | |
| > erlebt. Auf dem ganzen Kontinent wachsen Ungleichheit und Hunger – und | |
| > Wut. | |
| Bild: Nach dem Aufruhr gegen Preissteigerungen in Luanda/Angola am 28.07.2025 | |
| Am Montag, den 4. August, soll [1][Ana Mubiala] in Angolas Hauptstadt | |
| Luanda beigesetzt werden. Die 33-jährige Mutter mehrerer Kinder wurde am | |
| 30. Juli von Angolas Polizei erschossen, als sie in ihrem Wohnviertel in | |
| Luanda einen ihrer Söhne von der Straße holen wollte, damit er nicht | |
| erschossen wird. Luanda erlebte an jenem Mittwoch den dritten Tag eines | |
| Generalstreiks mit Demonstrationen, die von den Sicherheitskräften | |
| zusammengeschossen wurden, nachdem es zu Plünderungen gekommen war. 30 Tote | |
| und 270 Verletzte lautet die amtliche Bilanz. Menschenrechtsorganisationen | |
| sprechen von Schüssen auf unbewaffnete Menschen. Angolas Präsident Joao | |
| Lourenco lobte seine Polizei für die „Wiederherstellung der Ordnung“. | |
| Auslöser für die Unruhen war ein Streik der Sammeltaxifahrer gegen eine | |
| Benzinpreiserhöhung. Von 300 auf 400 Kwanza stieg der staatlich regulierte | |
| Literpreis Anfang Juli – 0,28 auf 0,38 Euro. Das mag sehr wenig erscheinen, | |
| aber erstens ist Angola einer der größten Ölförderer Afrikas und zweitens | |
| führt ein Anstieg des Benzinpreises um ein Drittel, egal auf welchem | |
| Niveau, zu entsprechenden Preissprüngen für alles andere. Denn in | |
| Millionenstädten wie Luanda kommen ohne Benzin keine Menschen zur Arbeit | |
| und keine Waren auf die Märkte. Schon seit einigen Wochen wurde in Luanda | |
| jeden Samstag demonstriert, vergangene Woche eskalierte die Opposition dies | |
| zu einem Generalstreik und die autoritäre Regierung sah darin sofort eine | |
| Gefahr für ihre Autorität. | |
| Angola ist ein Land himmelschreiender sozialer Ungleichheit. Es fördert in | |
| etwa so viel Öl wie Nigeria, hat aber mit 38 Millionen Einwohnern nur ein | |
| Siebtel der Bevölkerung und sollte daher mit Einnahmen von mehreren Dutzend | |
| Milliarden US-Dollar pro Jahr eigentlich reich geworden sein – zeitweise | |
| war Angola nach dem Ende seines Bürgerkrieges 2002 die schnellstwachsende | |
| Wirtschaft der Welt. Trotz stark gesunkener Fördermengen und Exportpreise | |
| verdiente Angola allein am Öl allein im ersten Halbjahr 2025 12 Milliarden | |
| US-Dollar, weniger als seit vielen Jahren, aber immer noch viel. | |
| Reich geworden ist an Angolas Öl aber einzig eine schmale Elite rund um die | |
| Führung der ehemaligen sozialistischen Befreiungsbewegung MPLA | |
| (Angolanische Volksbefreiungsbewegung), die Angola seit der Unabhängigkeit | |
| vor 50 Jahren regiert. Der aktuelle Präsident Lourenco hat zwar versucht, | |
| die Vetternwirtschaft seines Vorgängers Eduardo dos Santos (1979 bis 2017) | |
| zu bekämpfen, aber [2][an der Grundstruktur hat sich wenig geändert.] | |
| ## Luxus und Hunger | |
| In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich Angolas Bruttoinlandsprodukt | |
| vervierfacht, zugleich hat sich laut dem neuen | |
| [3][UN-Welternährungsbericht] die Zahl der Übergewichtigen verdreifacht und | |
| die Zahl der chronisch unterernährten Kinder mit Wachstumsstörungen | |
| verdoppelt. Die Armen sind arm geblieben, die Reichen sind obszön reich | |
| geworden. Luanda war zum Höhepunkt des Ölbooms die teuerste Stadt der Welt, | |
| während die meisten seiner Bewohner in fernen Slums lebten und in den | |
| abgeschottenen Luxusenklaven nur zu Arbeitszwecken geduldet wurden. In | |
| Angola insgesamt leben laut Weltbank 36 Prozent der Bevölkerung in | |
| absoluter Armut, die Inflation liegt bei 20 Prozent. Da zählt jeder Cent. | |
| Geboren wurde Ana Mubiala im Jahr 1992 – das Jahr, als Angola nach seinem | |
| ersten Bürgerkrieg, in dem das sozialistische Kuba und Apartheid-Südafrika | |
| auf der jeweiligen Seite eingegriffen hatte, seine ersten freien Wahlen | |
| erlebte. Die regierende MPLA trug einen umstrittenen Sieg davon, | |
| verweigerte die fällige Stichwahl und die vorherige Rebellenbewegung Unita | |
| (Nationale Union für die Totale Unabhängigkeit Angolas) ging zurück in den | |
| Untergrund. Im berüchtigten „Halloween-Massaker“ Ende Oktober 1992 wurden | |
| Tausende Unita-Anhänger in Luanda und anderen Städten systematisch getötet. | |
| Es folgte ein brutaler Dauerkrieg mit bis zu 800.000 Toten und mehreren | |
| Millionen auf der Flucht in einem faktisch zerfallenen Land, ähnlich wie | |
| Sudan heute. Erst der Tod von Unita-Führer Jonas Savimbi 2002 brachte den | |
| Sieg der MPLA und damit ein Ende des Krieges – aber bis heute ist Angola | |
| ein Land, in dem die Regierung keinerlei Infragestellung ihrer Macht | |
| duldet. Gewalt durch den Staat ist bei Protest das erste und nicht das | |
| letzte Mittel. | |
| ## Angola ist kein Einzelfall | |
| Die neuen Unruhen in Angola sind kein Einzelfall in Afrika. Vor einem Jahr | |
| erlebte [4][Nigeria] ähnliches, ebenso [5][Kenia]. Überall ist der Auslöser | |
| eine Regierungsentscheidung, die das Leben der Menschen abrupt verteuert: | |
| Streichung von Benzinpreissubventionen, Steuererhöhungen. Steigende | |
| Treibstoffpreise infolge korrupter Regierungsgeschäfte. Wo die Preise | |
| steigen, aber die Regierung sich eher auf die Seite der Verbraucher gegen | |
| Importkartelle stellt, wird hingegen nicht protestiert, etwa in Liberia – | |
| die Regierenden haben es also in der Hand. | |
| Schon der „arabische Frühling“ in Tunesien 2011 und die sudanesische | |
| Revolution 2019 begann mit Streiks und Protesten gegen Willkür durch die | |
| Mächtigen. Ob damals in Tunesien oder heute in Angola – es gehen Menschen | |
| auf die Straße, die sich seit Generationen um ein besseres Leben für ihre | |
| Kinder bemühen und dann von der Politik ins Elend zurückgeworfen werden. | |
| Der jüngste UN-Welternährungsbericht hat hervorgehoben, dass [6][in Afrika | |
| anders als in Asien und Lateinamerika der Hunger zunimmt], nicht | |
| zurückgeht. In vielen Ländern steigt die soziale Ungleichheit infolge | |
| politischer Entscheidungen zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit. | |
| Normalerweise müssten demokratische Institutionen das auffangen, aber wenn | |
| eine reiche Elite die Zugänge zu den Institutionen monopolisiert, | |
| funktioniert das nicht. Protest und Unruhe wie jetzt in Angola dürfte, wenn | |
| das so bleibt, alsbald die Regel werden. | |
| 3 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://x.com/ebalemozindo/status/1951730882899001770 | |
| [2] /Angola-nach-den-Wahlen/!5877644 | |
| [3] https://www.wfp.org/publications/state-food-security-and-nutrition-world-so… | |
| [4] /Proteste-in-Nigeria/!6027603 | |
| [5] /Massenproteste-in-Kenia/!6019071 | |
| [6] /UN-Welthungerbericht/!6099474 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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