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# taz.de -- Alleinerziehend unterwegs: Mit Müttern ins Gespräch gehen
> Mit Kind und der Arbeit fühlen sich Alleinerziehende oft so allein
> gelassen wie allein. Ein Start-up will das mit Wandertouren ändern.
Bild: Sozialer Austausch in der Natur: Alleinerziehende unterwegs beim Sprechla…
Berlin taz | Fast wäre Norma* nicht gekommen. Das Abwägen, ob neben Kind,
Haushalt und Beruf noch Zeit für sie selbst bleibt, gehört für die
Alleinerziehende zum Alltag. „Ich dachte: Och, nee, jetzt kommst du schon
wieder zu spät. Geh ich überhaupt noch hin?“
Aber dann ist sie doch noch zu dem Treffpunkt gekommen, Samstagmorgen um
neun auf einem S-Bahnhof am Stadtrand von Berlin. Heute ist die letzte der
sechs Wandertouren einer Gruppe Alleinerziehender, organisiert von
[1][„Sprechlaufwandern“]. Das Start-up organisiert Wandertouren, bei denen
es neben der körperlichen Ertüchtigung und dem Kontakt zur Natur auch und
vor allem um sozialen Austausch geht, unterstützt von einem „Buddy“ mit
Tipps für Problemlagen rund um Körper und Psyche. Die Gruppe der
Alleinerziehenden ist dank einer EU-Förderung für die Teilnehmenden
kostenlos.
In rund 31 Prozent der Berliner Familien gibt es nur ein Elternteil. Damit
gibt es mehr Alleinerziehende als Familien unverheirateter Paare. Man mag
annehmen, dass sich die Hauptstadt längst auf die Bedürfnisse dieser Gruppe
eingestellt hat. Aber dem ist nicht so. „Viele Angebote richten sich nur an
Eltern mit Kindern bis zu einem Jahr“, sagt Norma. „Oder sie sind zu weit
weg, das schaffe ich zeitlich nicht.“
Deshalb sei sie auch auf das Projekt in ihrem Bezirk Pankow sofort
angesprungen, so wie auch Alexandra, Mutter einer fünfjährigen Tochter, die
sagt: „Ich muss wieder mehr in Bewegung kommen.“
## Die Stimmung ist gut, es wird gelacht
Nach ein paar Aufwärmübungen, angeleitet von Claudia Kerns, Gründerin von
Sprechlaufwandern, geht es los. Trotz der frühen Stunde ist die Stimmung
gut, es wird gelacht und drauflosgeplappert. Die sieben Teilnehmerinnen
haben viele Themen mitgebracht, die sie mit „Buddy“ Claudia Kerns und den
anderen Frauen besprechen wollen. Im Alltag könne sie „keine zwei Sätze
reden“, sagt Norma. Ihr Sohn ist zwei. „Wenn ich sage: Mama hat gerade
keine Zeit, dann wird geschrien, geweint, getrampelt“, schildert sie. Nicht
mal mit ihrer Mutter könne sie sprechen, dabei sehe sie diese täglich. „Die
weiß gar nicht, wie es mir geht.“
Bei der Mutter ist der Sohn auch jetzt, sie wohnt im selben Haus. Orga
bedeute das aber trotzdem, so Norma, die Mutter sei selbst noch
berufstätig. Alexandra hat sich für jede der Wandertouren eine andere
Betreuung organisieren müssen, meist hätten Freunde aufgepasst, einmal sei
der Vater eingesprungen, heute ist die Tochter bei einem Kind zu Besuch.
All das sei für sie „extrem aufwendig“ gewesen.
Die Frage kommt auf, ob mit dem Angebot von Sprechlaufwandern nicht vor
allem die erreicht wurden, [2][die es ohnehin schon etwas leichter haben] –
bis auf Alexandra haben alle Frauen Familie in Berlin oder größere Kinder,
die keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung mehr brauchen. „Uns geht es um
Empowerment“, sagt Claudia Kerns. Alleinerziehende sollten selbst aktiv
werden und so Selbstwirksamkeit erfahren. „Wenn die Frauen oder Männer es
nicht schaffen, ihre Kinder wegorganisiert zu bekommen, dann, sag ich aus
psychologischer Sicht, sind sie noch nicht so weit.“
Biancas Tochter ist gerade volljährig geworden. „Ich habe aber trotzdem das
Bedürfnis, mitzulaufen, um anderen was von meiner Erfahrung mitzugeben“,
sagt sie. Zugleich arbeite sie ihre Geschichte auf. 15 Jahre war sie
alleinerziehend, zum Zeitpunkt ihrer Trennung war die Tochter drei. „Man
hat immer die Uhr im Nacken“, beschreibt sie ihr damaliges Leben zwischen
Job und Kind.
Weil eine Tante in Berlin Hilfe anbot, zog sie in die Hauptstadt. „Ich
musste eine Wohnung suchen und einen Job“, erzählt sie. Beides klappte, ja,
selbst einen Kitaplatz ergatterte sie: „Eine Kita-Leiterin hat meine
Situation verstanden.“ Neben Glück und Vitamin B sei es vor allem das
kleine Netzwerk gewesen, das ihr geholfen hatte, sagt Bianca. Freunde
passten auf das Kind auf, ehemalige Kollegen halfen beim Einrichten und die
Eltern mit nötigem Geld.
## Die Suche nach einem Netzwerk
Das Bedürfnis nach einem Netzwerk ist auch der Grund, warum Jana mit der
Gruppe durch die Wiesen läuft. „An den Wochenenden, an denen der Kindsvater
dran war, hab ich meist nur auf der Couch gehangen, um den Stress zu
verdauen.“ Das allerdings mache lethargisch – und einsam. Alternativen
schienen nicht in Sicht, befreundete ZweiEltern-Familien seien meist mit
sich selbst beschäftigt, sagt Jana: „Die posten Bilder, wie sie im Wald
sind und andere schöne Sachen machen.“ Andere Freunde, die wie sie gern in
Bewegung und Natur seien, habe sie nicht. Jana: „Deshalb bin ich froh, dass
mich der Instagram-Algorithmus auf dieses Projekt gebracht hat.“
Im Unterschied zu den anderen Frauen, deren Beziehungen nach der
Kindsgeburt in die Brüche gingen, hat Kathrin ihren Status als
Alleinerziehende selbst gewählt, sie ist Mutter eines vierjährigen
Pflegekinds. Die Veränderung in ihrem Leben kam so plötzlich wie der Anruf,
der das Kind vor anderthalb Jahren angekündigt hat: „Der Tagesablauf war
von jetzt auf gleich ein ganz anderer.“ Die größte Herausforderung sei für
sie, Job und Kind miteinander zu vereinbaren, sagt Kathrin. „Ich habe meine
Zeit auf 60 Prozent reduziert, aber weniger Arbeit geworden ist es nicht.
Ich setze mir manchmal richtig Termine mit meinem Kind, damit ich nicht in
die Falle tappe, noch länger zu arbeiten.“ Ein richtig schlechtes Gewissen
habe sie, wenn ihr Kind in der Kita auf sie warte.
Dass schlechtes Gewissen zum Alleinerziehenden-Dasein fest dazugehört,
erzählen auch andere. „Das ist mein Grundgefühl: keinem gerecht zu werden,
der Arbeit nicht, dem Kind nicht, mir selbst nicht“, sagt Norma. Dabei sind
es nicht nur sie selbst, die solch hohe Erwartungen an sie stellen. Die
Frauen berichten, dass sie sich nach außen hin beweisen müssten, um dem
Generalverdacht zu entkommen, sie könnten sich allein nicht gut um ihr Kind
kümmern.
Auch auf Arbeit heißt es sich zu bewähren, gejammert wird so wenig wie auf
Sonderrechte gepocht. „Das wusste keiner, dass ich schon die Welt gerettet
hatte, wenn ich morgens um neun auf der Arbeit erschienen bin“, berichtet
Christiane, Mutter einer bereits erwachsenen und einer 14-jährigen Tochter.
„Welche Wege ich bis dahin schon zurück gelegt hatte!“
Eine Alleinerziehende will namentlich nicht genannt werden, weil niemand
wissen darf, dass ihr der Chef flexiblere Arbeitszeiten genehmigt hat, „das
erzeugt bei den Kollegen Neid“. Auch Bianca erzählt, dass im Kollegium
genau registriert wurde, dass sie später kam, dabei hatte sie ihre
Arbeitszeit nur auf 35 Stunden verkürzt: „Du bist immer die, die weniger
arbeitet.“
## Das Risiko der Armut
Dass die Alleinerziehenden auf die Gunst ihrer Arbeitgeber:innen und
Kolleg:innen angewiesen sind, ist hierzulande die Regel. Anders als etwa
in Schweden ist das Eingehen auf familiäre Bedürfnisse in deutschen
Unternehmen immer noch nicht selbstverständlich. Während in Schweden
Überstunden kaum mehr üblich sind, gelten sie in Deutschland immer noch als
Zeichen für gute Mitarbeit. Teilzeitarbeit ist zwar oft möglich, hat jedoch
einen Preis. „Ich musste mehr in weniger Zeit schaffen“, sagt Christiane.
„Außerdem fehlt das Geld in der Rentenkasse.“ Kein Wunder also, dass es
sich bei altersarmen Menschen häufiger um Frauen handelt, sie machen auch
das Gros der Alleinerziehenden aus (in Berlin rund 80 Prozent).
Und auch sonst tragen Alleinerziehende das höchste Risiko, in Armut zu
fallen, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2024,
[3][„41 Prozent gelten als einkommensarm“]. Zwar habe es finanziell immer
gereicht, sagt Christiane, „große Sprünge konnte ich mir aber nie erlauben�…
– im Gegensatz zu vielen anderen Familien in Pankow. Anders als diese
Doppelverdienerhaushalte könne sie sich eine Reise nach Amerika, eine
Eigentumswohnung oder Sparen für das Alter nicht leisten.
Norma erzählt, dass sie mit großen Existenzängsten gerungen habe, als ihr
Partner sie verließ. „In der Elternzeit bekommt man ja nur maximal 1.800
Euro – allein die Miete kostete 2.000.“ Dass sich Alleinerziehende derart
Sorgen machen müssen, findet Norma ungerecht, Care-Arbeit solle entlohnt
werden, etwa in Form eines Grundeinkommens.
Es ist die einzig konkrete Forderung, die auf der heutigen Wanderung
formuliert wird. Mehrere Alleinerziehende berichten jedoch, dass sie sich
und ihre Situation inzwischen anders wahrnehmen – sie sind stolz auf sich.
„Claudia sagt immer: Wir Alleinerziehenden haben eine Superpower“, sagt
Alexandra. „Wir sind keine schlechtere Familie, nur weil wir zu zweit
sind.“ Auch Christiane will sich nicht länger verstecken: „Dass ich
getrennt lebe, habe ich immer als Scheitern begriffen. Jetzt kann ich
sagen: Ja, ich bin alleinerziehend und habe zwei tolle Kinder und habe das
geschafft.“
Sich gegenseitig zu empowern und miteinander zu vernetzen, diese Ziele
scheinen durch das gemeinsame Wandern erreicht worden sein. Das
EU-geförderte Alleinerziehenden-Projekt wird die Unternehmerin Claudia
Kerns trotzdem nicht fortführen – es rechne sich nicht, zu viel
Büroaufwand.
Vielleicht ist das aber auch nicht so schlimm. Denn es stellt sich ohnehin
die Frage, ob öffentliche Gelder für Alleinerziehende statt in
Selbstoptimierungsprogramme nicht doch eher in bessere Betreuungsangebote
fließen sollten und in die Honorierung von Care-Arbeit. Das würde nicht nur
zu weniger Stress und mehr Wohlbefinden führen, sondern auch ein spürbares
Zeichnen gesellschaftlicher Anerkennung sein.
*Die Alleinerziehenden wollen öffentlich nur mit Vornamen oder gar nicht
genannt werden.
3 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.sprechlaufwandern.de/
[2] /Alleinerziehende-in-Armut/!6066447
[3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Factsheet_A…
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
## TAGS
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