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# taz.de -- Im Museum in Czernowitz: Zu Besuch bei Olha Kobyljanska
> Das Museum der Schriftstellerin Olha Kobyljanska in Czernowitz war früher
> ihr Wohnhaus. Die vielsprachige Autorin wählte bewusst das Ukrainische.
Bild: Olha Kobyljanska
Czernowitz, 12. Juli. Verschlafen blicke ich auf die Exponate im Museum der
Schriftstellerin Olha Kobyljanska. In diesem kleinen Haus verbrachte sie
ihre letzten Jahre bis zu ihrem Tod 1942.
Die freundliche Museumsmitarbeiterin sagt mir, solche schlimmen
Luftangriffe habe sie bisher nicht erlebt. Mit einem Kommentar zur
vergangenen Nacht scheinen heute alle Gespräche in der Stadt zu beginnen.
Frühmorgens auf dem Weg zu meiner Unterkunft hörte ich das unheilvolle
Brummen einer Shahed-Drohne. Fünf russische Geschosse fing die Luftabwehr
ab, es gab laute Knalle. Die Trümmerteile töteten vier Menschen und
verletzten viele weitere. Bislang hatte man sich hier [1][im Südwesten des
Landes] recht sicher gefühlt.
Ich bin die einzige Besucherin, und die Museumsangestellte beschließt
ungefragt, mir eine Führung durch die Ausstellung zu geben. Die Bücher, das
Bett, die bunten Wandteppiche im Schlafzimmer, die bestickte Bluse – all
das sei original, schildert sie begeistert.
## Die Schriftstellerin als Autodidaktin
Die Wände sind regelrecht tapeziert mit Schwarzweißfotografien, Buchcovern,
Zeitungen und Zitaten der Schriftstellerin. Unter einer Landschaftsaufnahme
des idyllischen Karpatengebirges steht eine weiße Büste, die Kobyljanskas
bestimmte Gesichtszüge in einem Schal verhüllt darstellt. Wie damals
üblich, erhielt sie als Mädchen nur vier Jahre Schulbildung, machte danach
als Autodidaktin weiter.
Aufgewachsen in einer multinationalen Familie in der multikulturellen
Bukowina, beherrschte sie auch Polnisch. Ihre Texte schrieb sie anfangs auf
Deutsch. Doch dann fasste sie den Beschluss, eine [2][ukrainische
Schriftstellerin] zu werden – eine „Arbeiterin meines Volkes“, wie sie si…
ausdrückte.
Auf einem Foto aus dem Jahr 1901 steht Kobyljanska mit verschränkten Armen
neben ihrer Freundin Lesia Ukrainka – ebenfalls eine wichtige ukrainische
Schriftstellerin und Feministin. Die häufigste Frage, die sie zur Zeit von
den Besucher:innen erhalte, sei diejenige, ob die beiden eine lesbische
Beziehung hatten, erzählt mir die Museumsmitarbeiterin sichtlich amüsiert.
Da kursiere wohl ein TikTok-Video. Und ja, in der Tat müsse sie sagen,
Stellen im Briefwechsel der Autorinnen offenbaren eine innige Beziehung.
Aber Liebe existiere nun einmal in verschiedenen Formen.
## Kain und Abel modernistisch gedeutet
Zum Schluss führt sie mich in den letzten Raum, um mir das Highlight der
Ausstellung zu präsentieren: kleine Glaskästen mit Bühnenmodellen der
Inszenierung der „Scholle“, oder „Erde“, aus dem Jahr 1982. Das
Schlüsselwerk von Kobyljanska wurde damals im nach ihr benannten
städtischen Theater auf die Bühne gebracht.
Ein Goethe-Zitat im deutschen Original ist dem Roman als Epigraph
vorangestellt: „Es liegt um uns herum gar mancher Abgrund, den das
Schicksal grub, doch hier in unserem Herzen ist der tiefste.“ Kobyljanska
interpretiert in der „Scholle“ die biblische Geschichte von Kain und Abel
modernistisch und verlagert sie in ein Dorf in der Bukowina. Ein Bruder
ermordet den anderen, um Land zu erben.
Die Museumsangestellte macht die Beleuchtung der Miniaturbühnen an, in den
Glaskästen erscheinen filigrane Figürchen in regionaler Tracht. Eine Art
quadratischer Holzpflug bildet die Basis für die verschiedenen
Bühnengestaltungen. Mal dient er als Bootssteg, mal als Tisch, mal hängt er
dekorativ an der Decke. Mit dem Pflug als Symbol habe man auf den
volkstümlichen Charakter von Kobyljanskas Schaffen verweisen wollen,
erklärt mir die Mitarbeiterin.
Sie entschuldigt sich dafür, dass eines der Bühnenmodelle kaputt ist. Die
Glühbirne sei durchgebrannt, der Elektriker gerade an der Front. Man müsse
sich gedulden, bis er wieder zurückkehrt, schließlich brauche es nicht
irgendeine Lampe, sondern eine mit exakt abgestimmtem Licht. Im dunklen
Kasten kann ich die Umrisse kleiner uniformierter Männchen erkennen.
4 Aug 2025
## LINKS
[1] /Kultur-als-Widerstand-in-der-Ukraine/!6035948
[2] /Literatur-gegen-den-Krieg/!6068386
## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
## TAGS
Kolumne Eastsplaining
wochentaz
Schriftstellerin
Museum
Russland
Literatur
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
wochentaz
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