# taz.de -- Pop-Art-Künstlerin Sine Hansen: Die Frau mit der Zange | |
> Deutschlands bedeutendste Pop-Art-Künstlerin war Sine Hansen. Bloß kennt | |
> die kaum jemand. In Braunschweig lässt sie sich wiederentdecken. | |
Bild: Die Kneifwerkzeuge mutieren zu Lebewesen – Soldaten, Menschen, Vögeln:… | |
Sine Hansen ist noch immer weitgehend vergessen. Nur warum? In der ersten | |
ihr gewidmeten institutionellen Retrospektive im Kunstverein Braunschweig | |
liegt derzeit auch ein Katalog von einer Ausstellung im Sommer 1967 aus, | |
der diese Frage aufwirft. | |
Damals zeigte Hansen gemeinsam mit Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar | |
Polke und acht weiteren im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart ihre | |
neuesten Arbeiten, eine Standortbestimmung der deutschen Pop-Art. | |
„Figurationen“ hieß diese Gemeinschaftsaktion. Hansen war die einzige Frau. | |
Ihre Arbeit „Hey Heart“ ziert das Cover des Katalogs, ein großformatiges, | |
farbenfrohes Bild in Tempera, das sie 1966 gemalt hatte. | |
Während aber [1][Baselitz, Richter oder Polke verehrt] und ihre Werke teuer | |
gehandelt werden, ist Hansen (1942-2009) [2][heute allenfalls | |
Spezialist:innen ein Begriff]. Ihre Wiederentdeckung begann 2021 durch | |
eine Wiener Galerie, die sie 2023 umfassend ausstellte. Cathrin Meyer, | |
[3][aus Wien stammende Direktorin des Braunschweiger Kunstverein], hat nun | |
Hansen eine Übersichtsschau gewidmet. Die versammelt im Obergeschoss der | |
Kunstvereinsvilla 13 farbintensive Malereien, die in den Jahren 1964 bis | |
1996 eben auch in räumlicher Nähe entstanden waren: Geboren 1942 im | |
polnischen Inowrocław, [4][das damals Hohensalza genannt wurde,] in Husum | |
aufgewachsen war Hansen 1961 zum Studium hier her an die noch städtische | |
Werkkunstschule gekommen. Die wurde wenig später in die vom Land getragene | |
Kunsthochschule umgewandelt. Hansen macht Braunschweig zu ihrem | |
Lebensmittelpunkt. Hier heiratete sie zweimal, wurde Mutter von zwei | |
Töchtern. | |
## Aggressive Kneifer | |
Während des Studiums gelang es ihr, internationale Kontakte aufzubauen. | |
Schon 1965, als 23-jährige Absolventin, bestritt sie ihre erste | |
Einzelausstellung in Köln. Ihre Werke stießen also früh auf Resonanz. Auch | |
an der Kunsthochschule war sie der „Star“ gewesen, so ihre Töchter in einer | |
Begleitbroschüre zur Ausstellung. Zwei Arbeiten von 1964, die chronologisch | |
den Auftakt der Ausstellung bilden, demonstrieren die damals bereits | |
vollendete stilistische Reife. Hansens „Osramkneifer“ zeigt eine | |
überdimensionale offene Kneifzange, die sich, von unten, bedrohlich einer | |
kleinen, blau ornamentierten Glühbirne am oberen Bildrand nähert. | |
Die aggressiven Kneifer sind leuchtend orange, der Hintergrund ist | |
senfgelb: ein Farborkan in Tempera, penibel gemalt mit exakten Konturen und | |
ohne sichtbaren Pinselstrich. Im Gegenstück „Ruhrfrühling“ bewegt sich die | |
offene Zange von oben auf eine Blüte zu. „Ich will Dinge malen, wie ich sie | |
kenne und nicht wie man sie kennt“ schrieb Hansen dazu, „ein Bild ist nicht | |
ein Ergebnis sondern ein Ereignis.“ Um 1970, als sich ihr Arsenal an | |
Zangen, Scheren oder Kranhaken verfestigt hatte, benannte sie die | |
„Kontrollierbarkeit der Aggressivität“ als Merkmal ihrer Produktivität: | |
Gegenstände werden Träger von Informationen, werden Zeichen, aus ihrer | |
herkömmlichen Nutzungsumgebung isoliert und auf eine Ebene projiziert, wo | |
sie in ungewohnter Weise fungieren. | |
Hansens Zangen werden zunehmend farblich ausdifferenziert. Die ursprünglich | |
monochrome Ausmalung weicht kontrastierenden Farbfolgen der Binnenkonturen. | |
Diese Farbzerlegungen gingen auf Recherchen mit einem Polarimeter zurück, | |
[5][zu dem die Künstlerin an der Technischen Universität Zugang hatte]. Das | |
Instrument bestimmt die Eigenschaften von Substanzen. Es macht mechanische | |
Spannungen in Festkörpern mittels polarisierenden Lichts sichtbar. | |
Hansens Zangen mutieren nun zu beseelten Wesen: Als „Liegende“, als | |
„Schreitende Zange“, als „Papageienzange“ oder „Generalzange“ entwi… | |
sie ab den 1970er-Jahren eine belebte, fast erotische Aura. Sie füllen den | |
ganzen Bildraum, die Spitzen dieser Kneifinstrumente werden extrem | |
dramatisiert, erscheinen wie rasiermesserscharfe Klingen. Bedrohlich | |
wirkend einerseits, fixieren sie andererseits feinfühlig und | |
zart-mehrfarbig bunte Kugeln. | |
Diese Konstellationen als Seelenbilder einer (bedrängten) Künstlerin zu | |
deuten, ist wohl nicht ganz abwegig. Sie stellen den Höhepunkt im Schaffen | |
Hansens dar, werden gemeinhin aufgrund ihres Kolorits und der plakativ | |
großformatigen Darstellung alltäglicher Dinge der damals aktuellen Pop-Art | |
zugerechnet. Aber Sine Hansen, die so souverän im Zeitstrom mitschwamm, | |
gelang nicht der große Durchbruch. Ihr Spätwerk der 1990er-Jahre [6][widmet | |
sich dann fast ausschließlich der Farbe]. Der wusste sie, von der | |
Objektdarstellung befreit, dreidimensionale optische Effekte zu entlocken. | |
Ihre flirrenden Labyrinthe „Durch den bedeutsamen Faden verbunden“ muten | |
psychedelisch an. Den Rahmen der Op-Art sprengen sie scheinbar mühelos. | |
30 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Baselitz-Richter-Polke-Kiefer/!5625880 | |
[2] /Ausstellung-Stand-Up-in-Hannover/!6100176 | |
[3] /Neue-Kunstvereins-Chefin-in-Braunschweig/!6051544 | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Inowroc%C5%82aw | |
[5] https://sinehansen.de/leben-und-werk/ | |
[6] https://kunstvereinbraunschweig.de/exhibitions/sine-hansen/ | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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