# taz.de -- Bei einer Silent-Reading-Party in Bremen: Mal eben nicht auf dem Ha… | |
> Stilles Lesen ist angesagt, mit dem guten analogen Buch. In der Bremer | |
> Buchhandlung Albatros spielt bei einer Almost-Silent-Reading-Party Musik | |
> dazu. | |
Bild: Eine klassische Lesesituation. Muss aber nicht mit dem Handy sein, geht a… | |
In dem Raum sind überall Stühle aufgestellt und Sofas. Auch ein Sitzsack | |
findet sich im Albatros. Heute Abend soll in der kleinen Bremer | |
Buchhandlung nicht der Verkauf von Büchern im Vordergrund stehen, sondern | |
das gemeinsame Lesen. „Silent-Reading-Partys“ sind seit Langem im Trend. | |
Nur bei Albatros soll bewusst Musik im Hintergrund laufen. Daher der Name: | |
Almost-Silent-Reading-Party. Ob das zusammenpasst? | |
Die ersten Gäste kommen eine halbe Stunde vor Beginn. Die meisten sind | |
weiblich und schätzungsweise um die 50 oder älter. Einige aber sind noch im | |
Studienalter. Sie stöbern durch die Regale und plaudern miteinander. | |
Marcus, neben mir der einzige Mann als Gast, sagt, dass er täglich lese. | |
Bei einer Silent-Reading-Party aber war er noch nie. Auch Dorothea besucht | |
so eine Veranstaltung erstmals. Bis 20 Uhr haben dann alle zwölf Gäste | |
ihren Leseplatz gefunden. Manche wie ich mitten im Raum, andere haben sich | |
kleine Ecken zwischen den Bücherregalen ausgesucht. | |
Nun heißt es: stilles Lesen. Na ja, nur fast. Denn es ist ja eine | |
Almost-Silent-Reading-Party. Als Bob Dylan gerade verkündet, dass die | |
Antwort im Winde verweht sei, schlage ich mein Buch auf. Auf Nachfrage | |
einer älteren Frau, ob man die Musik nicht ausmachen könnte, antwortet | |
Michael Hockel, Inhaber der Buchhandlung, höflich, dass die zum Konzept der | |
Veranstaltung gehöre. | |
Ich lese einige Seiten und stelle fest: Die Musik gefällt mir. Sie hat | |
etwas Beruhigendes und wenn ich will, kann ich am Ende eines Kapitels kurz | |
aufhorchen und ein paar Töne hören, ohne von der Handlung des Buches | |
abgelenkt zu werden. | |
Ich frage mich, ob ich es tatsächlich schaffe, eineinhalb Stunden nur zu | |
lesen und nicht kurz aufs Handy zu gucken oder das Bedürfnis bekomme, durch | |
den Laden zu gehen. | |
## Das Zeitgefühl verloren | |
Spätestens nach dem zweiten Kapitel merke ich jedoch, dass ich jegliches | |
Zeitgefühl verloren habe. Die Atmosphäre ist sehr entspannend und mir | |
gefällt der Gedanke, mich in einem Raum zu befinden mit einer Gruppe von | |
fremden Menschen, die nichts weiter wollen, als ein Buch zu lesen. Ich | |
fühle mich in guter Gesellschaft aufgehoben und bin dennoch auf meine | |
Gedanken und die Handlung des Buches fokussiert. | |
Ab und zu schiele ich aber trotzdem durch den Raum. Links von mir sitzt | |
Marcus locker in seinem Stuhl. Er scheint es nicht ganz ohne Handy zu | |
schaffen. Ab und zu holt er es heimlich aus seiner Bauchtasche, um es nach | |
einem kurzen Check gleich wieder verschwinden zu lassen. | |
Ich bin zugegebenermaßen ein langsamer Leser. Doch heute Abend schaffe ich | |
drei Kapitel, was mich schon auch stolz macht. Als ich gerade mit dem | |
vierten Kapitel anfangen will, tritt Michael Hockel in die Mitte seiner | |
Buchhandlung und ruft „Dong“. Die Lesephase ist beendet. Ich bin | |
überrascht, denn ich habe damit gerechnet, noch mindestens eine halbe | |
Stunde zum Lesen zu haben. Während die Blicke sich von den Büchern lösen | |
und hin zu den anderen Leser:innen gehen, habe ich das Gefühl, wie aus | |
einer langen Meditation zu erwachen. | |
Marcus ist sichtlich begeistert von der Leseerfahrung. Die Atmosphäre beim | |
Lesen habe ihm sehr gefallen, sagt er, und gerade die Musik fand er als | |
Hintergrundbeschallung für seine Lektüre – „Getrennte Räume“, einem | |
Queerklassiker von Pier Vittorio Tondelli – sehr angenehm. Christin meint, | |
dass dies ein „aufregend-analoger Abend“ für sie gewesen sei. Ähnlich sie… | |
das auch Dorothea. Sie hat sich mit ihrem Buch der Geschichte des Gesichts | |
gewidmet. Obwohl sie in einem Raum mit mehreren fremden Personen saß, habe | |
sie eine gewisse Intimität empfunden. Auch ein Gefühl der Gemeinsamkeit sei | |
für sie entstanden, gerade weil hinterher noch die Möglichkeit zum Plaudern | |
geboten wird. | |
Sie sagt, dass es ihr im Alltag schwerfalle, sich für anderthalb Stunden | |
auf eine Sache zu konzentrieren. Hier an diesem Abend aber konnte sie sich | |
besonders tief mit den Themen ihres Buches auseinandersetzen. | |
Deswegen hat sich Dorothea auch gleich zur nächsten | |
Almost-Silent-Reading-Party angemeldet. | |
25 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Krischan Meyer | |
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