| # taz.de -- Im rheinischen Revier: Was nach der Kohle kommen kann | |
| > Hambi, Lützi, Frimmersdorf: Die vom Braunkohletagebau verwüsteten | |
| > Landschaften sollen auch ein wenig Kulturort werden. Eine Rundreise | |
| > durchs Revier. | |
| Bild: Platz da auch für das Kraftwerk Natur | |
| Wer vom Bahnhof Frimmersdorf die drei Kilometer zum gleichnamigen | |
| Braunkohlekraftwerk radelt, umrundet dabei das Monstrum fast. Zilpzalpe | |
| zilpzalpen sich in den lauschigen Laubwäldern durch den Tag, ein | |
| angerostetes Schild im Gebüsch lobpreist das jahrzehntelange Wirken des | |
| Betreibers RWE. Himmelwärts ragen riesige Türme über die Maschinenhalle, | |
| die allein schon mehr als fünf Fußballfelder lang ist. | |
| Eigentlich war vorgesehen, ein paar Landtagsabgeordnete in die größte | |
| Kraftwerkshalle der Welt nordwestlich von Köln zu begleiten. Aber die RWE | |
| Power AG will die Presse plötzlich fernhalten. Im September seien doch | |
| Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, und da gelte es, Journalisten und | |
| Politiker zu trennen. Neutralität, Sie verstehen? Hausrecht. | |
| So müssen wir Journalisten uns nachher anhören, wie es in dem Ding so | |
| aussieht („alles gigantisch groß“). Seit 1955 war Frimmersdorf am Netz, bis | |
| zur Stilllegung 2021 wurden zeitweilig 30 Tonnen Kohle pro Minute | |
| verfeuert, um Millionen Terawattstunden Strom zu erzeugen und pro Jahr mit | |
| bis zu 20 Millionen Tonnen CO2 die Welt zu verpesten. Feinstaub, | |
| Quecksilber, Arsen kamen dazu. | |
| ## Eine Zukunft als Tausendsassa | |
| Ab 2028 soll das industriekulturelle Denkmal Frimmersdorf zum Tausendsassa | |
| werden. Vorgesehen ist, dass in die zentrale Maschinenhalle ein | |
| gigantisches Rechenzentrum, Forschungscluster und weite Bürokomplexe für | |
| Start-ups kommen. Kunst und Kultur? Am Rande. Ein Denkmalpfad soll | |
| entstehen, auch als Reminiszenz an die Leute, die hier gearbeitet haben. | |
| Vielleicht auch eine Theaterbühne, alles gesteuert von RWE und der | |
| öffentlichen „Zukunfts.Kraftwerk Frimmersdorf Strategie GmbH“. | |
| Als Ort für Vertreibungs-Erinnerung und Widerstandskultur ist Frimmersdorf | |
| nicht gedacht. Da ist man ein paar Kilometer weiter bei Inge Broska besser | |
| aufgehoben. Das Wohnhaus der 82-Jährigen in der Hochstraße 39 in | |
| Hochneukirch nahe dem Tagebau Garzweiler ist ein einziges Museum. Broska | |
| war die letzte Bewohnerin von Otzenrath, das 2007 weggegraben wurde. | |
| Alle Gegenstände, derer sie im Dorf habhaft werden konnte, hat die | |
| ehemalige Kunstlehrerin hier zusammengetragen: Tausende Fotografien, eigene | |
| Skulpturen, Fundstücke wie ein Uralt-Mieder an der Wand, Kinderbilder, | |
| Foto-Bücher, hunderte Zeitungsausschnitte, zahllose Aktenordner. Im Keller | |
| stehen säuberlich aufgereiht dutzende blecherner Kehrschaufeln und -besen. | |
| „In Otzenrath war es üblich, die Dinger beim Auszug als letztes vor die Tür | |
| zu stellen. Ich habe alles eingesammelt“, sagt Broska. | |
| Jede Ecke, jede Wand, Küche, Bad, wirklich alles, ist voll mit Preziosen | |
| der Vergangenheit. Messietum mit Sinn. Die Seele eines ganzen Ortes ist in | |
| diesem kleinen Haus konserviert. Auf einem großen Bild posiert die Frau | |
| lachend in einer riesigen Baggerschaufel. „Das war nur eine kleine | |
| gestellte Kunstaktion. Der Fahrer war sehr nett. Sonst war RWE ja immer | |
| unser Feind.“ Vor allem, sagt Inge Broska: „Ich habe Otzenrath | |
| selbstständig und aufrecht verlassen.“ Was aus dem betagten Haus mit den | |
| knarzenden engen Stiegen wird, wenn die alte Dame mal nicht mehr ist, weiß | |
| niemand. | |
| Derzeit ploppen überall verheißungsvolle Pläne zur Nachnutzung der | |
| verwüsteten Landschaften im Rheinischen Revier auf. Fast immer sind neue | |
| Industrie- und Gewerbeansiedlungen gemeint oder edelstahlschicke | |
| Tourismus-Infrastruktur. Strukturwandel streng ökonomisch gedacht. 14,8 | |
| Milliarden Euro stehen an öffentlichen Geldern bis 2035 bereit. Im | |
| schwarz-grünen NRW-Koalitionsvertrag von 2022 steht aber auch: „Wir | |
| begleiten die Transformation im rheinischen Revier kulturell.“ | |
| ## Die Kultur des Widerstands | |
| Ob da auch die Kultur des Widerstands, das kollektive Gedächtnis um die | |
| Naturverbrechen, die Heimatvertreibung dabei ist? Der grüne | |
| NRW-Kulturpolitiker Frank Jablonski staunt, „dass sich auch Linksdenkende, | |
| manche gepierct und tätowiert, für Heimat und Konservieren einsetzen“. Dazu | |
| dient seit 2024 die „hambitionierte Ausstellung“ mit dem Titel „Begegnung | |
| und Bewegung an der Kante“. | |
| Sie will „das facettenreiche kulturelle Erbe der Region erfahrbar“ machen �… | |
| mit zahllosen Artefakten der Waldbesetzungen als Protest gegen den | |
| Kohleabbau im [1][Hambacher Forst] und Lützerath – Hambi und Lützi, einer | |
| Timeline über Jahrzehnte, mit Foto- und Filmdokumenten, berührenden | |
| Audiotapes von Zeitzeugen, die den Schmerz und Verlust der verbliebenen | |
| Menschen ahnbar machen. | |
| Auch dabei: der taz-Panter, den [2][die Initiative Buirer für Buir] 20230 | |
| erhalten hat. Die Initiative hat die Pop-up-Ausstellung auch initiiert. Sie | |
| war bislang an drei Orten zu sehen, zuletzt in einer Hofscheune in | |
| Berverath neben den Garzweiler-Kratern. Demnächst geht es womöglich nach | |
| Köln. Und am Ende, so der Plan, dauerhaft in die [3][Kirche von Manheim]. | |
| Falls RWE das Gotteshaus des umgesiedelten Ortes, von dem sonst kaum noch | |
| etwas zu sehen ist, nicht doch noch wegbaggert. | |
| 4 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
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