Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Bei Anruf Beschiss
> Enkeltrick war gestern. Mit allen Schikanen verbrecherischer Rachegelüste
> am Festnetztelefon kommt jetzt der Onkeltrick.
Meine Enkelin ruft auf dem verstaubten Festnetztelefon an. Sie klingt
völlig aufgelöst. „Opa“, heult sie in den Hörer. „Du musst mir helfen.…
bin in Italien und hatte einen Autounfall. Mama und Papa erreiche ich
nicht. Ich brauche auf der Stelle 20.000 Euro, sonst sperren die mich für
immer ein.“
„Ja, du gute Güte, Kind, das ist ja furchtbar“, sagte ich. „Die Italiener
wieder. Die kennen doch kein Maß. Natürlich helfe ich. Aber wie ist denn
das passiert?“
So weit ich dem Geschluchze entnehmen kann, hat sie in einer engen Gasse in
der Altstadt von Ravioli ein Marktfahrzeug mit Tomatenkisten gerammt. Alles
kaputt. Dazu ein toter Esel. Wie der geschrien hat. I-ah, Au-ah. Also erst
geschrien und dann tot. Die Leute auch alle zusammengelaufen und geschrien:
Mamma mia, mamma mia. Und überall Tomaten. Das wäre schon alleine schlimm
genug gewesen, doch dann kamen zwanzig Carabinieri in einem winzigen Fiat,
haben sie mitgenommen und in ein dunkles Verlies unterhalb der historischen
Stadtmauer geworfen. Bei Wasser und Carbonara.
Nun endlich habe ihr die Polizei Stift und Papier gegeben. Sie wäre jetzt
so weit. Schreiben ginge auch mit Handschellen. Ich könne ihr meine Daten
für das Onlinebanking diktieren. Den Rest wie Zielkonto, Betrag und
Bestimmungszweck mache sie, ich müsse nur noch alles von zu Hause aus
freischalten.
## Meine Lieblingsenkelin! Am Apparat!
Im ersten Moment klingt das alles sehr schlüssig. Und dann auch noch meine
Lieblingsenkelin! Immerhin hat sie das gesagt, dann wird es auch so sein.
Doch irgendwas ist trotzdem seltsam. Und dann sickert es mehr und mehr in
mein Bewusstsein ein: Ich habe gar keine Enkel. Eine plausible Erklärung
für diesen Mangelzustand könnte sein, dass ich auch keine Kinder habe.
Ob ich ihr das sagen soll? Man möchte die Leute ja auch nicht entmutigen.
Aber irgendwann käme es sowieso raus. Behutsam breite ich meinen Verdacht
vor ihr aus.
„Dann bist du gar nicht mein Opa?“ Ihre Enttäuschung ist fast greifbar.
„Sorry, ja, blöd“, sage ich. „Was machen wir denn jetzt?“ Wir schweigen
beide. Doch ich muss schnellstens aus der Sprachlosigkeit herausfinden. So
ein Anruf aus Italien ist bestimmt sehr teuer. Außerdem muss sie ja gleich
in ihre Zelle zurück.
„Es tut mir leid“, sage ich. Das tendenziöse Wort „Enkeltrick“, mit dem
Kripo und bunte Blätter derzeit inflationär hausieren gehen, verkneife ich
mir. Solange ich keine eindeutigen Beweise habe, käme das sonst einer
Vorverurteilung gleich. Und das wäre nun wirklich das Letzte, was die junge
Frau in ihrer schlimmen Situation gebrauchen kann.
„Versuchen Sie es doch noch mal“, sage ich. „Vielleicht war es ein
Zahlendreher und beim nächsten Mal geht dann Ihr richtiger Opa ran. Dafür
drücke ich Ihnen recht kräftig beide Daumen. Eventuell kann Sie ja auch das
Konsulat unterstützen?“
Am anderen Ende der Leitung herrscht weiter Stille. Oje, da hat wohl jemand
die Hoffnung verloren. „Darf ich Ihnen denn trotzdem etwas geben?“, frage
ich tröstend. „Damit Sie sich im Knastshop ein Stück Seife oder
Gummibärchen kaufen können?“ Ich pule zwei Euro aus meinem Portemonnaie.
Doch als ich frage, wie ich ihr die Münze schicken kann, hat sie offenbar
schon aufgelegt.
Na gut, wer nicht will, der hat schon. Ich kann mein Geld gern auch Leuten
geben, die es dringender brauchen. Zum Beispiel jener älteren Dame, die als
Nächstes anruft. „Mein lieber Enkel“, keucht sie. „Deine alte Großmutte…
Fernsprechapparat. Ich brauche deine Hilfe.“
## Was für eine Show aber auch
Mit ihrem Rollator habe sie im Supermarkt versehentlich eine Pyramide aus
Champagnerflaschen umgefahren. Nun hätten die Behörden nicht nur die
Gehhilfe als Tatwerkzeug konfisziert, sondern verlangten auch noch 40.000
Euro Schadenersatz. Der Marktleiter, in dessen Kabuff sie sich gerade
befinde, sei ein lauter und grobschlächtiger Mensch. Sie habe Angst. Sie
beginnt, bitterlich zu weinen. Sie wolle doch nicht ihre letzten Tage im
Gefängnis verbringen.
Haha, gute Show, aber nicht mit mir. Dem Omatrick gehe ich nicht noch mal
auf den Leim. Früher wurde mir allzu oft die Kohle von betrügerischen
Seniorinnen aus der Tasche gezogen. Mal angebliche Schulden bei einer
Bingo-Mafia, dann wiederum hatten sie alles Geld an irgendwelche falschen
Enkel verloren, und der richtige sollte es im Anschluss richten.
Aber meine Großmütter sind mittlerweile seit ein paar Jahren tot. Und gemäß
meinem favorisierten Konzept vom Leben nach dem Tod gibt es dort weder
Champagner noch Supermärkte, Polizei oder Telefon. Sondern gar nichts.
Nüscht, null, nada, niente. Also was erzählt die mir da, meine Oma kann sie
nicht sein. Triumphal trompete ich mein Herrschaftswissen in die Muschel.
Die fiese Alte wird hörbar blass.
Ich habe kaum den Hörer aufgelegt, da ruft bereits der nächste
Trickbetrüger an. Das ahne ich schon beim Klingeln. Festnetz kann nur
entweder Mutter – die echte, glaube ich zumindest – oder Scam bedeuten.
Gerade am Wochenende ist die Hölle los. Ständig wollen Inder meinen Laptop
optimieren, mir Bankfuzzis Wertpapiere aufschwatzen oder falsche Kusinen
meinen Wagen leihen. So ähnlich muss sich der Silvestertelefondienst in der
Notrufzentrale anfühlen.
Der Anrufer ist hörbar betrunken. Aha, auch das kenne ich schon: der
Onkeltrick. „Junge, du musst mir unter die Arme greifen“, lallt er. Er habe
doch nur vor einer Moschee Naziparolen gegrölt. Die von Anwohnern
herbeigerufene Polizei habe sich zwar wie üblich verständnisvoll gezeigt.
Dennoch sei für ihn das Maß in der „Schwulenrepublik Wokeland“ nun
endgültig voll. Also brauche er Startkapital, um an einem besseren Ort, wo
die Freiheit des Wortes und der Gedanken noch zähle, ein neues Leben
anzufangen: Türkei, Ungarn, Russland. Auch die USA könne er sich neuerdings
gut vorstellen. Mit nur 80.000 Euro sei ich dabei, er danke vielmals, ich
solle das Geld einfach in einer Aldi-Tüte vor die Haustür legen.
Dass ist doch die reinste Müllmädchenrechnung, denke ich. Woanders wird er
sich auch nicht zurechtfinden. Und dann braucht er Geld, um wieder
zurückzukommen – ein Fass ohne Boden. Da wäre das Geld sogar bei meiner
falschen Enkelin sinnvoller angelegt. Ich glaube, ich rufe sie noch mal an.
19 Jul 2025
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Betrug
Senioren
Telefon
Kriminalität
Organisierte Kriminalität
Enkeltrick
Bienen
Fußball
Helikoptereltern
Straßenlärm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Blümchensex mit Biene
Das verdammte Krabbelzeug und die kapitalistische Verwertungslogik. Die
Hassrede des Sommers.
Die Wahrheit: Sterben für Schalke
Dass es keine Typen mehr gibt, wird nicht nur im Fußball dauernd beklagt.
Wo ist bloß die gute alte Zeit, als Schienbeinbrecher noch normal waren?
Die Wahrheit: Endstation Kinderzimmer
Immer später zieht Europas Jugend von Zuhause aus. Viele kehren alt zu den
noch älteren Eltern zurück.
Die Wahrheit: Schrilles Spiel mit dem Feuer
Die Feuerwehr und ihr nervendes Theater: Als ob es weniger brennen würde,
wenn die breitbeinigen Krachschläger nur genug Lärm machen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.