| # taz.de -- Iran-Israel-Konflikt: Vergessene Zivilbevölkerung | |
| > Die Debatte zum Krieg zwischen Israel und dem Iran dreht sich komplett um | |
| > die Machthaber. Die Solidarität mit iranischen Dissidenten geht dabei | |
| > unter. | |
| Bild: Brandschäden in einer Wohnung in Teheran nach einem israelischen Raketen… | |
| In dem jüngsten Krieg zwischen Israel und dem Iran sind gut eintausend | |
| Menschen getötet worden. Dessen völlig ungeachtet dominieren in der | |
| deutschen Debatte Projektionen und Beifall für den Angriff. Die Betroffenen | |
| werden ignoriert. Zwar hatte US-Präsident Donald Trump einen | |
| Waffenstillstand verkündet, dennoch gibt es keinerlei Garantien dafür, dass | |
| der Konflikt nicht erneut eskaliert. | |
| Während im Iran Menschen ihr Leben riskieren, um gegen das Regime zu | |
| kämpfen, sprach Bundeskanzler Friedrich Merz von [1][„Drecksarbeit“], die | |
| Israel „für uns alle“ erledige. Wer aber den mutigen Widerstand im Iran | |
| verschweigt und lieber einen völkerrechtswidrigen Angriff lobt, verrät | |
| nicht nur die Betroffenen, sondern auch jede humanitäre Verantwortung, und | |
| er zeigt, wie wenig Haltung er selbst hat. | |
| In Teheran herrschte derweil Chaos: keine Bunker, keine Warnsirenen, kein | |
| Schutz. Menschen flohen, ohne zu wissen, wohin. Endlose Staus und Schlangen | |
| vor Tankstellen. Iran war eine Sackgasse. In deutschen Talkshows war dabei | |
| fast nur vom „Mullah-Regime“ die Rede, als gäbe es die iranische | |
| Bevölkerung nicht. Der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, [2][Philipp | |
| Peyman Engel], behauptete gar im ZDF, es gebe „keine zivilen Opfer im | |
| Iran“. | |
| Im deutschen Diskurs geht es nicht um die Menschen im Iran oder in Israel, | |
| noch nicht einmal um vermeintlich „westliche“ Werte. Sonst hätte man die | |
| [3][Frau-Leben-Freiheit-Bewegung] unterstützt. Stattdessen wird der Krieg | |
| zur Projektionsfläche deutscher Narrative: Springer-Vorstandsvorsitzender | |
| [4][Mathias Döpfner] machte aus dem Krieg zwischen Israel und der | |
| Islamischen Republik einen „Zivilisationskrieg“ und setzte somit das | |
| islamistische Terrorregime mit jenen gleich, die es bekämpfen. | |
| ## Unkritische Parteinahme | |
| Für manche scheint der Unterschied zwischen Regime und Bevölkerung so | |
| abwegig, man könnte meinen, sie schließen von ihrer eigenen Geschichte auf | |
| andere. Denn das deutsche Unverständnis ist Ausdruck moralischer | |
| Überheblichkeit und historischer Amnesie: Der Westen hat nichts gelernt. | |
| Nicht aus Afghanistan, nicht aus dem Irak, nicht aus der eigenen | |
| Geschichte. | |
| Jan van Aken, Chef der Linkspartei, kritisierte die Intervention, schwieg | |
| jedoch zu Irans Vernichtungsfantasien. Seine Parteikollegin Janine Wissler | |
| hat indes scheinbar kein Problem damit, an Demos teilzunehmen, auf denen | |
| Fahnen des iranischen Terror-Regimes geschwenkt werden. Andere verstecken | |
| sich hinter einer Staatsräson, die richtig ist, aber instrumentalisiert | |
| wird, um unkritische Parteinahme zu rechtfertigen. | |
| Erst kürzlich hörte man zaghafte Kritik von Merz zum Umgang der | |
| israelischen Armee mit den Menschen in Gaza. Doch als der israelische | |
| Verteidigungsminister voraussagte, „[5][Teheran wird brennen]“, dankte Merz | |
| abermals einer Regierung, die von Rechtsextremen mitgetragen wird und | |
| Kriegsverbrechen begeht. Kein Wort zu [6][Völkerrechtsbrüchen bei | |
| Verbündeten]. | |
| Diese Debatten sollen Deutschland in seinem positiven Selbstverständnis | |
| bestätigen, haben aber nichts mit der Realität im Iran und in Israel zu | |
| tun. Anstatt die Betroffenen in den Fokus zu rücken, wurde der Krieg | |
| zwischen Israel und der Islamischen Republik für viele zur Bühne | |
| identitätspolitischer Kämpfe. | |
| Besonders schmerzhaft zeigte sich dieses Hijacking im Hinblick auf die | |
| Frau-Leben-Freiheit-Bewegung: Merz fordert das „Ende der iranischen | |
| Regierung“, doch was hat er für iranische Dissident:innen getan, die | |
| genau dafür kämpfen? Schutzsuchende erhalten kaum Asyl, Visa werden im | |
| Schneckentempo erteilt, wenn überhaupt. Abschiebungen laufen, während im | |
| Iran gefoltert und hingerichtet wird, auch unter dem Vorwurf der Spionage | |
| für Israel. | |
| ## Angst vor der nächsten Eskalation | |
| Oppositionelle fordern vergeblich, die [7][iranischen Revolutionsgarden] | |
| auf die EU-Terrorliste zu setzen. Dieselben Menschen, die damals für ihren | |
| Widerstand gelobt wurden, werden vom Regime weiterhin drangsaliert und vom | |
| vermeintlichen Befreier bombardiert. Und Deutschland applaudiert von der | |
| Tribüne aus. Wie evakuiert man eine Stadt mit zehn Millionen Menschen? Wie | |
| verlässt man ohne Visum ein Land, wenn die Grenzen dicht sind? | |
| Die Diaspora kann nicht sicher einreisen, ihre Familien nicht ausreisen, | |
| finanzielle Unterstützung für die Menschen im Iran wird blockiert, während | |
| Deutschland der wichtigste Handelspartner Irans in Europa ist. Das wäre | |
| konkrete Solidarität, über die diskutiert werden sollte – doch stattdessen | |
| verliert man sich in symbolischer Rhetorik. | |
| Der iranische Rapper und Aktivist [8][Toomaj Salehi], der zwischenzeitlich | |
| wieder inhaftiert war, stellte richtig: „Die Menschen im Iran sind keine | |
| Kriegspartei, sondern Geiseln. Wer sie tötet, sollte wenigstens die | |
| Ehrlichkeit besitzen, es zuzugeben.“ Solche Stimmen finden hierzulande kaum | |
| Gehör. Die Zivilbevölkerung wird zur Randnotiz, während der Krieg Bühne | |
| moralischer Selbstinszenierung ist. Natürlich ist die Islamische Republik | |
| die größte Bedrohung für Israel und natürlich muss dieses Regime weg. | |
| Doch es dürfen nicht jene geopfert werden, die am mutigsten dagegen | |
| kämpfen. Wer glaubt, dieser Krieg sei vorbei, irrt: Die Angst vor der | |
| nächsten Eskalation bleibt, ebenso wie der Widerstand im Iran und die | |
| Repression des Regimes. Debatten hierzulande zeigen, wie schnell Krieg | |
| bejubelt und wie Verantwortung ausgeblendet wird. | |
| Es braucht einen Bruch mit Angriffskriegen und einer Sprache, die | |
| entmenschlicht, während Menschen sterben. Dafür müssen wir den Terror der | |
| Islamischen Republik und Israels Völkerrechtsbruch benennen. Realität ist | |
| kein Entweder-oder. Die Vision sollte sein: Weg von Projektionen, hin zu | |
| den Menschen – in Tel Aviv, Gaza, Teheran, überall. Oder, wie der persische | |
| Dichter Saadi sagte: „Dir, der dich Not und Pein der anderen nicht berührt, | |
| geziemt es nicht, dass dir der Name Mensch gebührt.“ | |
| 1 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Die-Sprache-von-Friedrich-Merz-Wenigstens-ehrlich/!6091664 | |
| [2] https://www.zdf.de/video/talk/markus-lanz-114/markus-lanz-vom-17-juni-2025-… | |
| [3] /Proteste-in-Iran/!5893454 | |
| [4] https://www.welt.de/politik/ausland/plus256253998/nahost-krieg-israel-kaemp… | |
| [5] /Israel-Iran-und-das-Mullahregime/!6094358 | |
| [6] /Gaza-Tagebuch-/!6102479 | |
| [7] /Iranische-Revolutionsgarden/!t5586860 | |
| [8] /Todesurteil-fuer-Rapper-in-Iran/!6006793 | |
| ## AUTOREN | |
| Avin Khodakarim | |
| ## TAGS | |
| Iran-Israel-Krieg | |
| Iranische Revolutionsgarden | |
| Widerstand | |
| Irans Atomprogramm | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Israel | |
| Islamismus | |
| Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran | |
| Anschlag | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Deutschland beginnt Hilfsflüge für Gaza | |
| Die Bundeswehr hat die Hilfslieferungen für den Gazastreifen begonnen. | |
| Außenminister Wadephul besucht unterdessen ein von Siedlern bedrohtes Dorf. | |
| Zukunft Irans: Das Ringen um die Ära nach Chamenei | |
| Nach den Schlägen des israelischen Militärs ist im Iran die Herrschaft Ali | |
| Chameneis so geschwächt wie noch nie. Wie es dort weitergehen könnte. | |
| Verhandlungen über Atomabkommen: Europäer drohen Iran mit harten Sanktionen | |
| Wenn es keine Fortschritte für einen neuen Deal gibt, wollen Deutschland | |
| und andere Staaten Teheran strafen. Der Außenminister wehrt sich. | |
| Terror der Revolutionsgarden des Iran: Ein Brandsatz zu viel | |
| Deutschland setzt sich für eine Aufnahme der Revolutionsgarden des Iran auf | |
| die EU-Terrorliste ein. So klar war das nicht immer. Es wäre eine | |
| Zeitenwende gegenüber Iran. |