| # taz.de -- Bürokratie mit Herz: Die erstaunliche Freundlichkeit des Finanzamt… | |
| > Es macht keinen Spaß, das Finanzamt um Stundung zu bitten. Aber genau | |
| > dort sitzen manchmal Leute, die Erbarmen haben, obwohl sie es nicht | |
| > müssten. | |
| Bild: Hinter dieser Scheibe finden sich freundliche Menschen – zumindest in H… | |
| Manchmal telefoniere ich mit dem Finanzamt Hamburg-Altona. Die Gründe sind | |
| immer die gleichen: zu spät eingereichte Steuererklärungen und kürzlich | |
| wollte ich fragen, ob ich meine Steuern auch in Raten zahlen könnte. Das | |
| Problem liegt sehr eindeutig bei mir, die Macht liegt sehr eindeutig beim | |
| Finanzamt. | |
| Natürlich gibt es dieses Gefälle auch anderswo: Wenn man bei der | |
| [1][städtischen Wohnungsbaugesellschaft anruft und fragt, warum man noch | |
| nie einen Besichtigungstermin bekommen] hat. Wenn man bei der | |
| Sprechstundenhilfe, die die Termine für die Kassenpatient:innen | |
| vergibt, fragt, ob es noch vor Herbst klappen könnte. Kein Mangel also an | |
| Gelegenheiten zu Erfahrungen von Abhängigkeit. Aber niemand, in Worten: | |
| Niemand, ist so freundlich wie das Finanzamt-Altona. Dabei spricht fast | |
| alles dagegen. | |
| Zumindest dem Klischee nach ist die Arbeit als Finanzbeamter keine, die | |
| gute Laune verspricht. Die Kundschaft? Potentiell auf der Zinne, weil sie | |
| es falsch findet, dass man das Surfbrett nur halb absetzen kann und [2][das | |
| Steuerzahlen ganz grundsätzlich fragwürdig]. Wirksamkeitserfahrung? | |
| Möglich, aber eher abstrakt. Gesellschaftlicher Status: siehe oben. Dennoch | |
| sind die Anrufe dort sonderbar tröstlich. Einmal war mein Konto gepfändet | |
| worden, ohne dass ich es begriffen hätte. Als ich beim Finanzamt anrief, | |
| erklärte mir der Mitarbeiter, was eigentlich passiert war. | |
| Ich war überrascht und beschämt zugleich. „Es kommt plötzlich“, murmelte | |
| ich. „Die Kollegen sind da aber auch sehr schnell“, sagte der | |
| Finanzamtsmitarbeiter. Er sagte etwas in der Art, dass man das auch | |
| langsamer handhaben könne. | |
| Vielleicht ist es ungerecht, aber ich habe nie vergessen, wie ein Kollege | |
| mich wegschickte, als ich seine Unterschrift für eine Kostenerstattung | |
| brauchte. Er hatte nichts zu tun, so schien es zumindest, aber er hatte die | |
| Macht, mich wegzuscheuchen wie eine Fliege. Das Altonaer Finanzamt weiß aus | |
| unerfindlichen Gründen mehr über die Traurigkeit der Beschämung. Sonderbar, | |
| [3][Grazie gerade dort zu finden], aber vielleicht ist es nur dumm, darüber | |
| überrascht zu sein. | |
| Die Anrufe beim Finanzamt bleiben für mich trotz seiner Freundlichkeit | |
| herausfordernd. Im Frühjahr musste ich anrufen, weil ich eineinhalb | |
| taz-Gehälter nachzahlen musste, nachdem ich die Steuererklärung für ein | |
| Jahr vergessen hatte, in dem ich einen gut bezahlten Nebenjob hatte. Das | |
| Finanzamt hatte meine Nebeneinkünfte daraufhin veranschlagt, aber, so sagte | |
| der Finanzbeamte, das könnte ich noch korrigieren. „Vielleicht können Sie | |
| ja haushaltsnahe Dienstleistungen angeben“, sagte er. Es klang nach einem | |
| Heer von Gärtnern, die ich in meinen Parks beschäftigte, dabei habe ich | |
| nicht mal weniger Glamouröses in meinem Haushalt abzusetzen. Aber es war | |
| tröstlich, dass der Finanzmensch tatsächlich versuchte, mir zu helfen. | |
| Auch der neue Finanzbescheid war zu hoch für mich, um ihn auf einmal zu | |
| zahlen. Aber weil das Amt statt meiner schriftlichen Erklärung eine | |
| digitale wollte, war meine Bitte um Ratenzahlung untergegangen. Also musste | |
| ich noch einmal anrufen. „Ich gebe Ihnen die Nummer der Einziehungsstelle“, | |
| sagte der Beamte, er sei da leider nicht zuständig. | |
| Die Einziehungsstelle war nicht grob, aber weit entfernt von freundlich. | |
| Die Idee einer Ratenzahlung fand der Beamte nicht naheliegend. „Wer hat Sie | |
| an mich verwiesen?“, fragte er. „Herr X“, sagte ich, den Namen kenne ich | |
| inzwischen gut. „Dann meinetwegen“, sagte der Einziehungsbeamte und wies | |
| mich darauf hin, dass ich trotzdem Gebühren zahlen müsse. Es gibt mürrische | |
| Gnade und freundliche Gnade, und die freundliche Gnade lebt nur im Altonaer | |
| Finanzamt. | |
| Einmal habe ich dort nachgefragt, wie es sein könne, dass die | |
| Mitarbeiter:innen so freundlich sind. Natürlich wussten sie keine | |
| Antwort darauf, weil sie nicht ahnen, dass es dort draußen Mächtige gibt | |
| ganz ohne Güte. | |
| 26 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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