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# taz.de -- Kunsthalle Baden-Baden: Alles ist durch ihren Körper beglaubigt
> Mehtap Baydus poetische Soloschau „Lass deinen Regen regnen!“ ist die
> vorerst letzte in der Kunsthalle Baden-Baden.
Bild: In ihrer Arbeit „Mitgift – Çeyiz – Dowry“ von 2024/2025 macht si…
„Regen kommt!“. Dass der klagende Ruf, mit dem eine schöne Frau im blaugr�…
schimmernden Pfauengewand vor wenigen Tagen bei drückender Hitze
gravitätisch durch den Stadtpark von Baden-Baden schritt, rettenden Regen
beschwor, war den Schaulustigen dieses seltsamen Ereignis sicher nicht
bewusst. Es war das fremde Symbol, das viele der stolzen, huldvoll
signierte Pfauenfedern austeilenden Gestalt bis in die Staatliche
Kunsthalle folgen ließ, die inmitten der urbanen Idylle liegt.
Man darf die geheimnisvolle Performance, mit der die deutsch-kurdische
Künstlerin Mehtap Baydu ihre Ausstellung eröffnete, nicht als Tribut an
irgendeinen orientalistischen Folklorismus missverstehen. In der
jesidischen Kultur symbolisiert der Pfau die Bitte um Hilfe, aber auch
Erneuerung und Transformation. Und wenn es ein Motiv gibt, das die Kunst
der 1972 im südostanatolischen Bingöl geborenen Baydu durchzieht, dann sind
es diese Aggregatzustände.
In der ausufernden Transitzone einer Gegenwartskunst zwischen der Türkei
und Deutschland ist Mehtap Baydu bemerkenswert. Auch bei ihr zählen Topoi
wie Migration und Identität, Herkunft und Heimat, Geschlecht und Körper zu
den künstlerischen Leitthemen. Wie kaum eine andere schafft es diese
Künstlerin aber auch, das Politische, dem in dem Land ihrer Geburt niemand
ausweichen kann, in eine bezwingende poetische Form zu überführen. Mit viel
intellektueller Empathie gelingt es Kurator Sandeep Sodhi, dieses Prinzip
in der sparsam, aber intensiv inszenierten Schau herauszuarbeiten. Sie
macht deutlich, was der Kunstszene in Baden-Baden demnächst fehlen könnte.
Nach dem Abgang des umstrittenen Direktorenduos [1][Çağla Ilk] und Misal
Adnan Yildiz hat die Landesregierung die Kunsthalle, trotz heftigen
Protests, für einige Jahre zur [2][Interimsspielstätte des Badischen
Landesmuseums] bestimmt.
Eines der ersten Beispiele dieser unnachahmlichen Fähigkeit zur poetischen
Formgebung ist die von Baydu erfundene Person des Osman. Auf einer
Fotografie verkörpert die Künstlerin selbst den fiktiven, Fotografien der
60er Jahre nachempfundenen, „Gastarbeiter“, den sie 2009 erfolgreich einige
Jahre in der Westerwald-Gemeinde Hachenburg anmeldete. In einem
winterlichen Schneefeld auf einem Stuhl sitzend, gekleidet in einen
steifen, dunklen Männeranzug nach Art der frühen Gastarbeiter,
repräsentiert die Figur einen sozialen Typus. Zugleich unterläuft sie aber
dieses Rollenbild als verwirrender, androgyner Zwitter, dessen Lippen ein
feines Lächeln wie das der Mona Lisa umspielt.
Ob Baydu aus dem rötlichen Flanellstoff Pazen, den ihre Mutter einst trug,
eine Büste als Selbstporträt fertigt, um sich in die Kontinuität der
Generationen zu stellen. Oder ob sie sich 2015 für ihre Arbeit „Kokon“ in
einer 18-tägigen Performance in eine Hohlform einstrickte, deren Fäden sie
aus 33 Hemden von Männern geschnitten hatte, denen sie in ihrem Leben
begegnete: Bei dieser Künstlerin ist alles ins Soziale Zielende immer durch
ihren eigenen Körper beglaubigt. Im ersten Stock der Kunsthalle stehen die
Besucher:innen vor zwei von der Decke hängenden Bügeln, über die zwei
Glasskulpturen gelegt sind. Der erste Guss bildet Baydus gesamten Körper
ab, der zweite als Ausschnitt ihre Brust.
Wer die transparenten, fließenden Stücke betrachtet, lässt sich auf das
Wechselspiel zwischen Distanz und Nähe ein. Einerseits wird die Künstlerin
zum statischen Objekt, andererseits legt sie Intimes offen. Manch einer mag
sich auch fragen, was der beliebte Spruch „aus der eigenen Haut zu
schlüpfen“ tatsächlich bedeuten könnte.
Als Baydu ihre „Regen kommt!“-Performance erstmals 2015 auf der
[3][Mardin-Biennale in Kurdistan] aufführte, war der Bezug zu der von Krieg
und Dürre verheerten Region offenkundig: den Boden vom Blut zu reinigen und
auf ein friedliches Morgen zu hoffen. In Baden-Baden hat sie diesen Mythos
auf eine abstrakte Ebene gehoben. In ihrer Installation „Kendi Yağmurunu
Yağdırmak – Lass deinen Regen regnen“ können Besucher:innen Wasser über
eine aus türkisfarben schimmernder Seide gefertigte Decke gießen, in die
ein Pfauenmotiv eingewebt ist.
Die Idee hätte [4][Joseph Beuys] gefallen. Dessen Arbeit hatte die
Bildhauerei-Absolventin der Hacettepe-Universität Ankara und später der
Kasseler Kunsthochschule, auf einer Istanbul-Biennale Ende der 90er Jahre
mal kennengelernt. Fasziniert wandte sie sich der Sozialen Plastik zu. An
dem Wäscheständer mit der Decke, unter dem Boxen das vergossene Wasser
wieder auffangen, wird mit dem Guss aus einer angehängten Schöpfkelle jeder
Mensch zum Initiator eines Kreislaufs kreativer Energie.
8 Jul 2025
## LINKS
[1] /Neue-Intendanz-am-Berliner-Gorki-Theater/!6046829
[2] /Querelen-um-Kunsthalle-Baden-Baden/!6036624
[3] /Kunstbiennale-Mardin-in-der-Tuerkei/!6014350
[4] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!6087676
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Bildende Kunst
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