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# taz.de -- Die Wahrheit: Liebes Gehirn …
> Offener Brief an einen persönlichen Denkapparat, mit dem sich seine
> Besitzerin viele Jahre lang gut verstanden hat, auch wenn er mitunter
> muckt.
Wir haben jetzt schon viele gemeinsame und friedvolle Jahre miteinander
verbracht und uns eigentlich immer gut verstanden. Wir waren mehr oder
weniger immer gute Kumpel. Klar, wir hatten auch schon unschöne Zeiten, als
mir zum Beispiel einmal nicht mehr einfiel, wo zum Teufel ich irgendwas
versteckt hatte: Briefmarkenalbum, Testament meines Urgroßvaters, die
Diamanten, Fahrradschlüssel, atomwaffenfähiges Plutonium, die erste
Handschrift von Schiller, den Stein der Weisen oder die Goldvorräte von
Fort Knox – keine Ahnung.
Aber im Grunde kann ich mich immer auf dich verlassen, das weiß ich. Du
bist wirklich toll. Erinnerst du dich noch daran, wie wir mal alle gefoppt
haben, indem wir so taten, als könne ich die ganze Odyssee von Homer
Simpson auswendig? In echt hast du mir bei jedem Vers einen Spickzettel vor
die Nase gehalten! Wir sind schon zwei gewiefte Ganoven, und ich will dich
ja auch gar nicht loswerden.
Sicher kannst du auch außerhalb von mir gar nicht existieren. Daher kommt
eine Trennung für uns beide eh nicht in Frage. Und ich schwöre dir: Darüber
habe ich auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde nachgedacht! Obwohl ich
mich hin und wieder mit dir etwas unwohl fühle. Das ist jetzt aber nicht
persönlich gemeint.
Dennoch: Du scheinst manchmal, wenn ich dich am dringendsten bräuchte,
mental etwas abwesend zu sein. Weißt du noch, wie mir in der Prüfung etwas
nicht mehr einfiel, obwohl ich es zuvor tausend Stunden gelernt hatte? Und
als ich bei der Fahrprüfung nicht mehr links und rechts unterscheiden
konnte? Und als ich beim verblödeten Optiker vergessen hatte, dass ich gar
keine Brille brauche? Das war echt mies von dir!
Und das ist noch das Harmloseste, was mir an deinen Verfehlungen gerade
durch den Kopf schießt. Andererseits kann ich eine Rolle rückwärts und
einen Salto mortale plus durch einen Feuerreifen hüpfen, aber das hat ja
nichts mit dir zu tun.
Also zurück zu dir, liebes hochverehrtes Gehirn: Du hast mir nie gesagt, ob
es für dich in Ordnung ist, wenn ich dich einfach duze. Du sagst mir
generell wirklich wenig überlebenswichtige Sachen. Ich kann zwar „Schorke
mit der Gorke“ auswendig, aber ich habe nicht den blassesten Schimmer, wie
viele Bundesgerichtshöfe es in Deutschland gibt. Zwei, drei oder unzählige?
Und wo wir beim Thema sind: Ich weiß ja zu schätzen, dass ich sogar mit dir
bis heute überlebt habe, das grenzt ja beinahe an ein Wunder, aber einen
Gefallen müsstest du mir bitte bei allem Respekt noch tun: Bitte, bitte,
bitte lass mich nie wieder vergessen, dass ich unter gar keinen Umständen
aus allen Orten der ganzen Welt Urlaubspostkarten verschicken darf. Denn
sonst schicken alle Empfänger morgens um sieben Dankes-SMS zurück und
lassen mich dadurch senkrecht im Bett stehen. Vielen Dank für deine
Aufmerksamkeit und bis morgen in alter Frische, du vertrottelter Trottel.
Liebe Grüße, deine Corinna
16 Jul 2025
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Gehirn
Gedankensteuerung
Erinnerung
Kolumne Die Wahrheit
Spielzeug
Jesus
Lärm
Osterhase
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