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# taz.de -- Die Wahrheit: Hoppelgott mit Knusperohren
> In der geerbten Gespenstkirche gibt es nicht nur Ostereier und Oblaten.
> Eine traumhaft plüschige Geschichte zum Osterfest.
„Hä???“, schoss es mir durch den Kopf, denn ich hatte zu Beginn der
mysteriösen Karwoche von irgendwem erfahren, dass ich kurz vor Ostern die
Gespenstkirche geerbt hatte. Wieso das denn? Und wie zur Hölle betreibt man
eine Kirche? Was mich am meisten nervte, war, dass die Gespenstkirche –
laut einiger Meinungen – die zweithässlichste Kirche der Welt sei. Ich
beschloss, mir mein Erbe trotzdem mal anzusehen.
Es war genau, wie ich es erwartet hatte. Die Kirchenglocke des Turmes ging
drei Stunden nach, und ich dachte so bei mir: „Na, klasse! Damit fängt das
Geraffel ja schon an: Punkt eins auf der To-do-Liste: Kirchenglocke zum
Uhrmacher bringen! Wahrscheinlich zu Fuß!“
Im Innern war es kalt und voller Kirchenbänke. Ich musste mich ein wenig
überwinden, den Altar zu erklettern, denn eine gute Portion Respekt vor
Gott, dem Herrn, hatte ich mir bewahrt. Aber dann packte mich doch die
Neugier – und ein gewisser Besitzerstolz. Ich wollte unbedingt die
Geheimnisse meiner Kirche erkunden.
Was verbarg sich zum Beispiel hinter den kleinen Türen, aus denen unentwegt
eiförmige Priester herauskamen und wieder hineingingen? Da die
Gespenstkirche jetzt mein ungewolltes Eigentum war, ging ich in eine der
Kammern hinein, bücken musste ich mich dabei allerdings! Dort war es recht
staubig, und ich dachte: „Punkt zwei auf der Liste: Reinemachekräfte
holen!“
## Hasenmuster
In den Regalen lagen weiße Kutten und rote Unterkutten mit lustigen
Hasenmustern. Ich machte mir abermals bewusst, dass das jetzt alles mir
gehörte, zog kichernd eines der Gewänder an und fühlte mich sofort heilig.
Neu gewandet kroch ich aus dem Nebenraum wieder in den Hauptraum und sah
mich um. Haargenau zwei Beichtstühle säumten die hölzernen Sitz- und
Kniebänke, und ich konnte nicht umhin, mich in einen davon, nämlich den
linken, hineinzusetzen. Und zwar in das Stübchen, das eigentlich dem
Priester vorbehalten ist. Der zog wutschnaubend ab. Ich fühlte mich
rebellisch und mächtig. Und ich bekam Lust auf Eierlikör! Wo zum Teufel war
dieser heiße Scheiß versteckt? Und wie ging das eigentlich mit dem Eirauch?
Davon hätte ich auch gern etwas geschnuppert.
Es war offensichtlich gar nicht so einfach, eine Kirche zu betreiben.
Gläubige wollte ich nicht hereinlassen, lieber sollte das große Haus mir
allein gehören. Gläubiger, die nach Klingelbeutel fahnden würden, wollte
ich noch weniger als Gläubige, deshalb verrammelte ich vorsorglich alle
Pforten mit Schränken voller christlicher Häschen-Kinderbücher. Geschafft!
## Egg Liquor
Jetzt drängte sich wieder das Thema Eierlikör auf, und Hunger auf Ostereier
und Oblaten bekam ich auch. Hinter dem Altar, ein paar Stufen höher, war
ein goldenes Dingsbums. Zielstrebig schritt ich darauf zu, und – hurra! –
drinnen im goldenen Dingsbums standen eine Flasche Eierlikör und eine
Schachtel mit Esspapier. Sonstige Schleckereien lagen direkt daneben. Ich
stieg in den Beichtstuhl auf der rechten Seite, verscheuchte den dortigen
Priester und fand dort eine Fernbedienung.
Nachdem ich mich gestärkt hatte, probierte ich die Fernbedienung aus. Da
ereilte mich der Schock meines Lebens: Meine Kirche erstrahlte plötzlich in
gleißendem Licht, die riesige Orgel auf dem Orgelboden, die ich zuvor noch
gar nicht bemerkt hatte, spielte die Melodie „Macht hoch die Tür, die Tor
macht weit“. Das erschien mir irgendwie unpassend, und ich drückte wie
verrückt auf der Fernbedienung herum. Dann erscholl „Stille Nacht, heilige
Nacht“, aber das erschien mir ebenfalls völlig fehl am Platz. Ich musste
wirklich noch lernen, meine Kirche korrekt zu betreiben. Schließlich fand
ich auf der Fernbedienung endlich das Lied „Christ ist erstanden“. Nun
wurde ich müde, die Anstrengungen des Tages hatten mich zermürbt.
Ich kuschelte mich in mein plüschiges Gewand und schlief irgendwo in dem
Gotteshaus ein. Als ich wieder hochschreckte, nachdem ich kaum drei Stunden
geschlafen hatte, stürmte eine Horde von Gläubigen herein, die „Frohe
Ostern!“ schrien, Nougateier umher warfen und immerzu „Der Friede sei mir
dir“ krähten.
Offensichtlich hatte ich versäumt, den Nebenzugang zu meiner Kirche zu
verrammeln. Heilige Scheiße, was jetzt? Aber Gott sei Dank war das abermals
nur ein böser Traum. Gemächlich wälzte ich mich wieder in meinen Gewändern
herum und dachte so bei mir: „Wird schon werden.“
Plötzlich hörte ich ein Knirschen. Ein Mann mit übergroßen Ohren hatte
einfach meine Pforten-Verrammelung durchbrochen. Er hielt mir eine
Visitenkarte unter die verschlafene Nase und sagte in einem übertrieben
formellen Ton: „Guten Morgen, Frau Gespenstkirche. Ich bin Gott.“
## Gott hat kein Zuhause
Ich starrte ihn verwirrt an und bat ihn: „Würden Sie bitte so freundlich
sein, mir kurz zu erklären, was Sie hier in meinem Haus zu suchen haben?“
Er räusperte sich verlegen und erklärte, das heilige Gespenst sei ihm
entwischt, und er vermute, dass es hier irgendwo herumhoppele. Außerdem sei
gerade Ostern oder Pfingsten oder was auch immer, und er wolle in meinem
Haus einfach nur kurz verschnaufen.
Ich versprach Gott, ihn zu informieren, wenn das heilige Gespenst mir über
den Weg hoppeln oder huschen sollte, bot ihm einen Lagerplatz an und nach
weniger als drei Tagen zog mein geheimnisvoller Gast aufgeräumt wieder ab.
Ich durchsuchte meine Kirche ziemlich gründlich und fand ein großes und
wunderschönes Silberfischchen mit glänzenden Augen und zart vibrierenden
Fühlern, das mich liebevoll ansah.
Ich rief Gott an und fragte ihn, ob das Silberfischchen wohl der vermisste
Kamerad sei, also das heilige Gespenst. Eigentlich klänge die Beschreibung
nicht nach dem vermissten Gespenst, entgegnete Gott, aber dies schiene doch
recht niedlich zu sein, und er nähme es mit Freuden. Und so kommt diese
Ostergeschichte doch noch zu einem wundervollen Ende. Hin und wieder
treffen wir uns seitdem alle auf ein Tässchen Eierlikör im Hochamt und
scherzen. Amen!
19 Apr 2025
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Die Wahrheit
Osterhase
Ostern
Kirche
Lärm
Interview
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
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