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# taz.de -- Die Wahrheit: Männlein ohne Nerven
> Die abgeschlossene Splattergeschichte als krasse Muttersöhnchen-Eloge zum
> ganz arg durchgeknallten Jahreswechsel 2024/25.
Kurt erwachte mit einem kleinen spitzen Schrei: „Mutter!!!“. Dann schlief
er wieder ein. Doch nicht für lange. Nach höchstens acht Stunden schreckte
er abermals hoch, und die Haare standen ihm zu Berge. „Mutter!“ Und
plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Er zog sich seinen eleganten
orangefarbenen Ganzkörperanzug an, vergaß auch nicht die schwarzen
Herrenstiefel und die gelben Gummihandschuhe und startete seinen blendend
weißen Pick-up-Truck in Richtung der nächstgelegenen
Pinkman-Baumarkt-Filiale.
Dort angekommen, schnappte er sich einen Einkaufswagen in Sondergröße und
-lackierung und stellte sich bei der Verkäuferin vor: „Mein Name ist Kurt.“
Anschließend belud er seinen Wagen mit Feuerwerfern, Äxten, ein paar
Fässern Säure (kann man immer gebrauchen), einer Säge, vier Kästen Dynamit,
einem Pitbull und einer Lichterkette.
Den Pitbull setzte er beim Tanken wieder aus, weil er undicht war, und er
ließ aus Pietätsgründen auch die Lichterkette dort liegen, denn die
funktionierte eh nicht. Dann fiel es ihm wie aus heiterem Himmel ein, so
als hätte eine eiskalte Hand in sein Gehirn gegriffen: Verdammt! Er hatte
vergessen, im Baumarkt die grüne Ganzkörpergummischürze zu kaufen, die er
für sein geplantes Unternehmen zwingend benötigte. Außerdem brauchte er
auch noch sechs Bretter und zwei Brettchen. Also zurück zum Baumarkt.
## Dreißig extrem aggressive Vogelspinnen
Die grüne Ganzkörpergummischürze war schnell gefunden. Kurt nahm im
Vorbeigehen auch noch zwei Säcke Grillanzünder, ein Terrarium voller
hochgiftiger Skorpione und dreißig extrem aggressive Vogelspinnen mit. Eine
hübsche Viper bettelte fast darum, auch gekauft zu werden, doch Kurts
Einkaufswagen war schon fast voll und er brauchte noch Haribo-Konfekt und
Capri-Eis. Puh! Der Einkauf war erledigt, jetzt musste er nur noch Mutter
beseitigen.
Wieder zu Hause angekommen, setzte Kurt sich in seinen bequemen weinroten
Ohrensessel und dachte nach. Dabei schlief er ein. Das hätte er mal besser
nicht tun sollen, denn sofort erschien ihm Mutter im Traum: „Kuuurt!!!“, so
rief sie, „Kuuuurt, du weißt doch genau, was zu tun ist. Du willst es
einfach nur nicht verstehen, oder du bist zu faul. So warst du schon immer,
immer dem Unvermeidlichen aus dem Wege gehen, immer den Weg des geringsten
Widerstandes suchen. Ich habe mein ganzes Leben für dich weggeschmissen,
ich habe sogar einen Opel statt eines Toyotas gekauft, nur, weil du Toyotas
nicht magst. Ich habe den Picasso gegen einen Rembrandt ausgetauscht, weil
dir Picasso nicht gefiel, und ich habe die Tomaten aus dem Biomarkt
gekauft, weil dir die billigeren anderen nicht schmecken!“
Entsetzt wachte Kurt wieder auf. Was für ein Albtraum. Blöderweise war
dieser Alptraum real. Kurt stöhnte verzweifelt auf. Plötzlich kratzte etwas
freundlich und sanft an seinem Bein. Kurt beugte sich nieder. Die Skorpione
und die Vogelspinnen hatten ihre Terrarien verlassen und wollten Kurt in
dieser schweren Zeit zur Seite stehen. Mit sehr vielen Augen sahen sie ihn
freundlich an und warteten auf Anweisungen.
Da wusste Kurt, dass er von den Spinnen und Skorpionen keinen intelligenten
Plan zu erwarten hatte. Er selbst hatte allerdings auch keinen
intelligenten Plan. Also beschloss er, sich wieder schlafen zu legen. Doch
das funktionierte nicht, denn er hatte den plötzlichen Drang, den
Feuerwerfer, die Axt und vor allem auch die Säge jetzt endlich zu benutzen.
An Mutter traute Kurt sich noch nicht so richtig ran, daher beschloss er,
einfach mal blindlings alles zu zerstören, was ihm sonst so in den Weg kam
…
Der Erste war der Nachbar. Zack! Mit der Axt draufgehauen, bis die Arme
schmerzten! Dann ein E-Auto von Tesla! Yeahhhh! Flammenwerfer zuhauf, bis
es ihm zu warm wurde. Einen Vorschlaghammer, den er bisher in seiner
Einkaufstüte nicht bemerkt hatte, benutzte er, um die Bauarbeiter vor der
Tür gnadenlos abzuräumen. Das Blut spritzte und er jauchzte wie im
Planschbecken der örtlichen Badeanstalt. Und das war erst der Anfang. Er
kramte weiter in seiner Tüte. Der Vorschlaghammer hatte ihn überrascht,
vielleicht gab es noch mehr unvorhergesehene Leckereien in dem
Wunderbeutel.
Die vier Kisten Dynamit schossen ihm ins Auge, doch Kurt beschloss, sie für
das große Finale aufzubewahren. Und er hatte ja noch die paar Fässer Säure
und die sechs Bretter und zwei Brettchen. Eines der Fässer nahm er sich und
zerschlug damit unter wildem „Mutter!!!“-Geschrei die Tankstelle um die
Ecke. Dann nahm er sich die Müllabfuhr vor, dann den blöden Terrier von
Müllers, dann die Müllers selbst.
Erschöpft ließ er sich zu Hause abermals in seinen weinroten Ohrensessel
fallen, er war echt k. o. und seine Arme schmerzten fürchterlich. Er würde
morgen ganz sicher Muskelkater haben. Das Säurefass war mittlerweile auch
ein bisschen zerbeult und unansehnlich, aber er hatte ja noch ein paar
andere davon. Im Großen und Ganzen war er sehr zufrieden mit sich, doch
eine Kleinigkeit fehlte, er konnte nur nicht genau bestimmen, was das war,
das da so fordernd und nervtötend an seiner Hirnrinde herumzerrte.
Ach so, ja! Das Dynamit! Verdammt, das hätte er fast vergessen! Und
natürlich Mutter! Mutter hatte gerade bestimmt kalte Füße und Ärger mit
ihrer unerträglichen Vermieterin. Und plötzlich musste Kurt lachen, doch es
war kein fröhliches Lachen, es war eher wie ein entsetzliches Geräusch aus
dem tiefsten Schlund der Hölle. Jetzt wusste er endlich, was zu tun war. Er
nahm das Dynamit, stellte es vor Mutters Haus ab und zündete es an.
Hey, das war ein Feuerwerk! Verstört sah Kurt zu, wie Mutter und ihre
Vermieterin – die sich offensichtlich mittlerweile wieder vertragen hatten
– mit glücklich glänzenden Augen dem bunten Spektakel am Himmel zusahen.
Verdammt, er hatte schon wieder Dynamit mit Feuerwerkskörpern aus dem
Sonderangebot bei Aldi verwechselt. Seine Augen zogen sich zu engen
Schlitzen zusammen, hinter denen es bedrohlich flackerte und funkelte.
Nächstes Mal würde er sie erwischen. Ganz sicher …
11 Jan 2025
## AUTOREN
Corinna Stegemann
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