# taz.de -- Berlins Bildungshaushalt: „Politisches Pokerspiel“ | |
> Die Kürzungen bei Bildungsprojekten sind verheerend, meint Trainer Ed | |
> Greve. Denn einmal kaputte Strukturen lassen sich kaum wieder aufbauen. | |
Bild: Bildungsangebote an Schulen fallen durch die Kürzungen ersatzlos weg | |
taz: Herr Greve, Sie sind Sprecher des Migrationsrats Berlin, dieser | |
betreibt die Kompetenzsstelle intersektionale Pädagogik (i-PÄD). Was machen | |
Sie bei i-PÄD? | |
Ed Greve: I-Päd hat sich der Fortbildung von allen pädagogischen | |
Fachkräften gewidmet – sowohl einmalig als auch wiederkehrend. Darüber | |
hinaus haben wir Beschwerdestrukturen und Anlaufstellen innerhalb von | |
Schulen überarbeitet und regelmäßige Angebote mit dem Schulpersonal | |
wahrgenommen und Prozesse begleitet. Dabei ging es uns vor allem um | |
Wiederholung und Vertiefung: Ein Workshop allein reicht oft nicht. | |
taz: Inwiefern ist i-PÄD von den aktuellen Kürzungen im Bildungsbereich | |
betroffen? | |
Greve: Wir wurden nicht einfach gekürzt – [1][unsere Finanzierung wurde | |
komplett gestrichen]. Seit April erhalten wir keinerlei Gelder mehr von der | |
Bildungsverwaltung. Die Verwaltung hat entschieden, die Finanzierung der | |
Kompetenzstelle vollständig einzustellen. Das bedeutet für uns erst mal das | |
faktische Aus. | |
taz: Wissen Sie, wie es zu dieser Entscheidung kam? | |
Greve: Die Bildungsverwaltung suggeriert immer wieder, dass sie Projekte | |
kürzen will, die nicht wirksam sind. Gleichzeitig bekommen wir einfach den | |
Bescheid, ohne dass eine Wirksamkeit überprüft wurde. Dann sagt die | |
Senatorin: Sie muss kürzen, weil sie kein Geld hat. Nach meiner | |
Einschätzung handelt es sich dabei auch um ein politisches Pokerspiel. Die | |
Senatorin für Bildung möchte generell keine finanziellen Zuwendungen mehr | |
an Träger wie uns vergeben. | |
taz: Was meinen Sie mit „Träger wie uns“? | |
Greve: Damit meine ich Träger der queeren und/oder anderweitig | |
diskriminierungskritischen Bildung. Die Bildungsverwaltung hatte ja nicht | |
nur an uns herumgestrichen. Das ist Teil eines größeren politischen Spiels: | |
[2][Erst wird gestrichen, dann minimal zurückgerudert – das Prinzip lautet | |
offenbar: drei Schritte zurück, einer vor.] So verläuft der Abbau seit | |
2023. Schon im letzten Jahr wurden zahlreiche Bildungszentren querbeet | |
geschlossen. Wenn man einmal eine Struktur schließt, lässt sie sich nicht | |
so einfach wiederaufbauen. | |
taz: Welche Auswirkungen haben die Streichungen auf Ihre Arbeit? | |
Greve: [3][Durch den Wegfall der Gelder brechen Kompetenzen und Angebote | |
ersatzlos weg]. Diese lassen sich nicht einfach kompensieren. Es ist ein | |
fortschreitender Abbau sozialer Infrastruktur. Manche unserer Angebote | |
können nur noch durch alternative Mittel fortgeführt werden – etwa über die | |
Antidiskriminierungsverwaltung. Damit lässt sich aktuell noch etwa ein | |
Drittel unserer Angebote erhalten. Aber das reicht natürlich nicht aus. Und | |
das ist auch nicht das einzige Problem… | |
taz: Was ist noch das Problem? | |
Greve: Es ist uns ein großes Anliegen, dass Antidiskriminierung und | |
Inklusion als Querschnittsaufgaben in allen Verwaltungen verstanden werden. | |
Dass der Migrationsrat mit i-PÄD ein intersektional arbeitendes queeres | |
Bildungsprojekt unterhalten konnte, das explizit als Bildungsprojekt von | |
der Bildungsverwaltung finanziert wurde, war eine seltene Ausnahme. Gerade | |
migrantische Selbstorganisationen werden oft als „Integrationsprojekt“ | |
gelabelt. In dem Wechsel unseres Projekts weg von der Zuständigkeit der | |
Bildungsverwaltung zum Bereich Antidiskriminierung sehen wir auch einen | |
strukturellen Rückschritt in der Förderlogik des Landes Berlin. | |
taz: Können Sie ein Beispiel geben, wie sich diese Kürzungen konkret auf | |
Ihre Arbeit auswirken? | |
Greve: Nehmen wir an, eine Schule möchte queere Jugendliche kompetent | |
unterstützen. In einem Workshop würden wir mit den Lehrkräften auch über | |
die Berliner Infrastruktur sprechen, damit die Lehrkräfte wissen, an welche | |
Beratungsstellen oder Jugendzentren sie die Schüler*innen verweisen | |
können. Wenn es diese Stellen nicht mehr gibt, spüren wir das auch in | |
unserer Arbeit. | |
taz: Hat i-PÄD in der Vergangenheit schon unter Kürzungen gelitten? | |
Greve: Ja, das ist nicht die erste Kürzungswelle, die uns trifft. Schon | |
zuvor hat die Bildungsverwaltung mehrfach versucht, uns aus dem | |
Haushaltsplan zu streichen. Nur dank Protesten zahlreicher | |
Unterstützer*innen, die unser Angebot nutzen und weiter nutzen wollen, | |
konnten wir das abwenden. | |
taz: Was sind die Folgen, wenn Bildungsstellen wie i-PÄD wegfallen? | |
Greve: Ein Beispiel ist der Fall an der Carl-Bolle-Grundschule. Dort wurde | |
ein [4][Lehrer aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert] und | |
gemobbt. Die Bildungssenatorin hat in diesem Fall trotz Kenntnis nicht | |
reagiert. Die Situation eskalierte. | |
taz: Wie hätte i-PÄD in so einem Fall helfen können? | |
Greve: Die entscheidende Frage ist: Wie hat das Kollegium reagiert? Und: | |
Hatten sie die nötige Expertise? Oft spielen auch eigene Vorbehalte im | |
Kollegium eine Rolle. Wenn Menschen ohne ausreichende Fachkenntnis mit | |
solchen Konflikten allein gelassen werden, eskalieren sie leichter. Es | |
fehlt einfach an grundlegender Expertise im Umgang mit Diskriminierung. | |
Schulinterne Dynamiken werden dann nicht erkannt oder falsch eingeschätzt. | |
Eine einfache Fortbildung hätte das Problem sicherlich nicht gelöst – aber | |
eine fachlich begleitete, langfristige Unterstützung hätte sehr viel | |
abfedern können. | |
30 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Andresen | |
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