# taz.de -- Warnstreik in Hamburg: Arbeitskampf zwischen den Gebrauchtwaren | |
> Angestellte eines Hamburger Secondhand-Kaufhauses haben gestreikt. Sie | |
> fordern denselben Lohn wie beim Mutterkonzern, der kommunalen | |
> Stadtreinigung. | |
Bild: Großes Angebot: Das Sozialkaufhaus Stilbruch in Hamburg-Wandsbek | |
Hamburg taz | Uwe Brandt trägt Orange, wie sein Arbeitgeber. Der 64-jährige | |
gelernte Elektroniker steht im „Stilbruch“-T-Shirt vor der Einfahrt zur | |
Filiale des Gebrauchtwagenkaufhauses, einer knallorangen Halle im | |
Industriegebiet in Hamburg-Wandsbek. | |
Ein Auto blinkt und biegt ein auf den Parkplatz. Trillerpfeifen gehen los. | |
„Der wird gleich ausgebuht“, sagt Brandt, hält sich die Ohren zu und lacht. | |
Es ist Warnstreik bei Stilbruch. Die Gewerkschaft Ver.di verhandelt gerade | |
mit dem Unternehmen [1][einen neuen Tarif] für die insgesamt 70 | |
Angestellten an drei Standorten aus. | |
Das Kaufhaus in Wandsbek hat trotz Streiks geöffnet. Einige Kund:innen | |
hätten sie aber schon davon überzeugen können, wieder nach Hause zu fahren, | |
sagt Brandt. Mit ihm streiken an diesem Montag 10 Kolleg:innen, von | |
insgesamt 16. In der Filiale in Altona sind es noch mehr: 22 von 25. | |
Gelandet sei er in der Elektrowerkstatt bei Stilbruch vor 10 Jahren | |
„aufgrund des interessanten Konzepts, dass man Schätze wieder in Umlauf | |
bringt“, sagt Brandt. Er liebe seine Arbeit, sagt er. | |
Das Kaufhaus Stilbruch ist eine Hamburger Institution. Zu kaufen gibt es | |
seit 2001 alles Mögliche Gebrauchte: Möbel, Geschirr, Fahrräder, Laptops, | |
Bücher, Klamotten, Spielzeug. Die Ware kommt von Privatpersonen, die | |
aussortiert haben, von Unternehmen oder der Hamburger Stadtreinigung. In | |
der Filiale in Wandsbek kriegt man zum Beispiel ein Set tiefer Teller für | |
7,50 Euro, eine Holzgiraffe für 19,50 Euro oder ein Polizei-Fahrrad für | |
Kinder für 20 Euro. | |
## Deutlich unterbezahlt | |
Die Menschen, die bei Stilbruch arbeiten, kontrollieren Elektrogeräte, | |
sortieren Container voller Dinge, preisen Bücher aus, bereiten Möbel auf | |
oder sitzen an der Kasse. Zu Beginn waren es vor allem sogenannte | |
Ein-Euro-Jobber. [2][Mittlerweile sind alle Beschäftigten ganz normal | |
angestellt.] | |
„Es ist jetzt nicht ein Betrieb, wo die Leute runtergemacht werden“, sagt | |
Barbis Garnotis, Gewerkschaftssekretär von Ver.di und zuständig für | |
laufende Tarifverhandlungen. „Aber das Thema für die Leute ist die Kohle.“ | |
Obwohl das Unternehmen sich soziale Verantwortung auf die Fahnen schreibe, | |
verdienten die Angestellten schlecht, sagt Garnotis. Laut Ver.di sind es im | |
Schnitt 2.550 Euro brutto im Monat. | |
Das sind laut Verdi rund 600 Euro weniger als der Durchschnittsgehalt bei | |
der Hamburger Stadtreinigung, dem städtischen Unternehmen, dem Stilbruch zu | |
100 Prozent gehört. Auch verdienten die Leute bei Stilbruch bis zu 700 Euro | |
weniger als Menschen in anderen Gebrauchtwarenkaufhäusern, die nach festen | |
Entgeltstufen bezahlt werden. | |
In Zeiten rasant gestiegener Lebenshaltungskosten wüssten viele | |
Beschäftigte bei Stilbruch nicht mehr, wie sie mit dem Geld über die Runden | |
kommen sollen, sagt Garnotis. „Viele von uns können sich einen Einkauf | |
[3][in den eigenen Kaufhäusern kaum noch leisten]“ steht auf einem Flyer, | |
den die Streikenden an Kund:innen verteilen. 500 Euro mehr im Monat | |
fordern sie und einen Tarifvertrag von zwölf Monaten Laufzeit. | |
## Kunden mit schlechtem Gewissen | |
Der Warnstreik sei nötig, weil das Angebot von Stilbruch an seine | |
Angestellten nach zwei Verhandlungsrunden deutlich unter dem Tarif der | |
Stadtreinigung Hamburg liege. Die Gewerkschaft kritisiert, dass das | |
Unternehmen den Angestellten nicht entgegenkäme, obwohl es in den | |
vergangenen Jahren gewachsen sei und mehr Gewinn abwerfe. | |
Die Geschäftsführer von Stilbruch haben sich bis Redaktionsschluss nicht | |
dazu geäußert. Die Hamburger Stadtreinigung bestätigt der taz, dass | |
Stilbruch Gewinn erwirtschaftet, was es als GmbH auch müsse, möchte während | |
laufender Verhandlungen aber keine konkreten Zahlen nennen. | |
In der Wandsbeker Filiale sieht es am Streiktag fast aus wie immer. | |
Gerlinde Klein, 63, Kundin mit Glasschale in der Hand, hat den Streikposten | |
an der Einfahrt gesehen und ein schlechtes Gewissen. Sie sei aber extra aus | |
Hamburg-Niendorf hergefahren. „Bin voller Mitgefühl“, sagt sie. Ein Mann im | |
orangen Stilbruch-Shirt, der anonym bleiben möchte, sagt auf die Frage, | |
warum er nicht am Streik teilnimmt, er finde, sein Gehalt sei genug. Seine | |
Kollegin hat keine Zeit zu sprechen, weil sie an der Kasse gebraucht wird. | |
Der Filialleiter möchte sich nicht äußern. | |
Kay Jäger, Sprecher für Gewerkschaften und öffentliche Unternehmen der | |
Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, fordert, dass die Stadt | |
mehr Verantwortung als Arbeitgeberin übernimmt. „Das stadteigene | |
Unternehmen Stilbruch präsentiert sich gern als nachhaltig und sozial. | |
Diesem Image muss die Arbeitgeberseite nun auch gerecht werden.“ | |
Die dritte Verhandlungsrunde startet am Dienstag. | |
14 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Amira Klute | |
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