# taz.de -- Verhandlungen in Nahost: Nicht mehr als eine Pause | |
> Die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas für einen Deal zur | |
> Waffenruhe und zur Freilassung der Geiseln stocken. Auch, weil zentrale | |
> Punkte immer noch ungelöst sind. | |
Bild: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Mitte) zu Besuch in den US… | |
Berlin taz | Zwischen Hoffnung und Angst“ – [1][so beschreibt eine Autorin | |
aus dem Gazastreifen ihre Gefühlslage] über den Waffenruhe-Geisel-Deal, der | |
derzeit verhandelt wird. Am vergangenen Samstag hatte US-Präsident Donald | |
Trump noch vollmundig verkündet: Es bestehe eine „gute Chance“, dass man | |
„noch in dieser Woche“ einen solchen Deal mit der Hamas erreichen werde. | |
Nun ist die Woche beinahe vorbei – und ein Abkommen weiterhin nur in | |
Aussicht. Verschiedene Meldungen ließen in den vergangenen Tagen die | |
Hoffnungen wachsen – nicht nur bei Zivilistinnen und Zivilisten im | |
Gazastreifen, sondern auch bei den Angehörigen der dort verbliebenen | |
Geiseln – und dann wieder die Angst. | |
Drei Problemstellen der Verhandlungen wurden im Laufe der Woche bekannt: So | |
bestand die Hamas auf eine Rückkehr des alten Verteilmechanismus für | |
humanitäre Güter über die Vereinten Nationen und etablierte | |
Hilfsorganisationen, nicht über die Gaza Humanitarian Foundation. | |
Diese Stiftung gilt als von Israel selbst initiiert. Sie wird von vielen | |
Seiten kritisiert, etwa weil die Zusammenstellung der Güterpakete | |
mangelernährten Menschen nicht gerecht wird, und weil immer wieder – | |
[2][mit hoher Wahrscheinlichkeit seitens der israelischen Armee – auf | |
Menschen auf dem Weg zu den Verteilzentren geschossen wird]. Das Problem | |
des Verteilmechanismus scheint sich aber am ehesten lösen zu lassen. So | |
vermeldete die katarische Zeitung Al-Araby Al-Jadeed eine Annäherung. | |
Beim zweiten Knackpunkt scheinen die Verhandlungen schon komplizierter: | |
Laut den Forderungen der Hamas soll Israel seine Bodentruppen auf die | |
Positionen zurückziehen, die es vor dem Ende der Waffenruhe im März hielt. | |
Vor allem den Morag-Korridor soll das Militär nach Berichten israelischer | |
Medien jedoch beibehalten wollen. Dieser verläuft zwischen der südlichsten | |
Stadt Rafah und der davon nördlich gelegenen Stadt Chan Junis. Die | |
Verhandlungen dazu, ob die israelische Armee sich aus dem Korridor und | |
weiteren strategisch relevanten Orten im Gazastreifen zurückziehen soll, | |
halten an. | |
## Sind alle Akteure bereit zu Verhandlungen? | |
Bleibt der letzte Punkt der Uneinigkeit: die Dauer der Waffenruhe. Derzeit | |
wird über einen Waffenstillstand von sechzig Tagen verhandelt. Insgesamt | |
sollen in den sechzig Tagen Waffenruhe zehn Geiseln freigelassen werden, | |
die Hälfte der 20 im Gazastreifen verbliebenen: acht am ersten Tag, zwei | |
am fünfzigsten Tag. Von den 27 toten Geiseln sollen fünf am siebten Tag der | |
Waffenruhe übergeben werden, fünf weitere nach dreißig Tagen und acht am | |
letzten Tag. | |
Laut New York Times soll Teil der Verhandlungen sein, dass die Hamas keine | |
Zeremonien zur Übergabe der Geiseln oder ihrer Leichen im Gazastreifen | |
abhält. Das hatte sie in der vergangenen Waffenruhe im Frühling dieses | |
Jahres getan. Die Bilder davon hatten weltweit für Entrüstung und | |
Anteilnahme gesorgt, etwa als die Särge der aus Israel entführten | |
Bibas-Familie überführt wurden. | |
Aber was passiert, wenn sich die sechzig Tage dem Ende zuneigen? | |
Im derzeit auf dem Tisch liegenden Deal ist nach Medienberichten vermerkt, | |
dass die Waffenruhe verlängert werden kann, so sich Israel und die Hamas | |
auf ernsthafte Folgeverhandlungen einlassen. Israels Premier Netanjahu | |
fordert, dass alle Geiseln freikommen und die militärischen und politischen | |
Strukturen der Hamas zerstört werden sollen. Und es solle „sichergestellt | |
werden, dass Gaza keine Bedrohung mehr für Israel darstellt“. Das bedeute, | |
so Netanjahu, „keine Hamas“. | |
## Der Krieg wird wohl weitergehen | |
Alles Entgegenkommen in den Verhandlungen kann also nicht darüber | |
hinwegtäuschen, dass ein Kernproblem weiterbesteht: Israel fordert von der | |
Hamas die Waffen und die Kontrolle abzugeben – und von ihren Anführern, den | |
Gazastreifen zu verlassen. Von der Hamas scheint es dazu kaum Bereitschaft | |
zu geben. So würde diese Waffenruhe – wenn sie denn kommt – nach | |
gegenwärtigem Stand nur für eine Verzögerung des Krieges sorgen, nicht aber | |
für dessen Ende. Das Szenario scheint sich nicht großartig zu unterscheiden | |
von dem aus dem Januar: Eine temporäre Waffenruhe im Austausch gegen eine | |
begrenzte Anzahl an Geiseln. | |
Wieder und wieder kehren Analysten zu denselben Schlussfolgerungen zurück: | |
Solange Israels Regierung sich nicht auf eine Strategie einigen kann, um | |
der Hamas auch außerhalb des Schlachtfelds zu begegnen, wird der Krieg | |
weitergehen. Denn eine langfristige Lösung, einen umsetzbaren Plan für | |
einen Gazastreifen post-Hamas scheint es noch immer nicht zu geben. Die | |
Kontrolle des Küstenstreifens durch die palästinensische Autonomiebehörde, | |
die über Teile des besetzten Westjordanlands herrscht, lehnt die | |
israelische Regierung unter Netanjahu ab. Und der Plan von US-Präsident | |
Trump, den Netanjahu aufgriff – dass die Palästinenser „freiwillig“ den | |
Gazastreifen verlassen sollen –, ist völkerrechtswidrig und sorgte bereits | |
für weltweite Gegenproteste. | |
Letztlich bleibt eine Erkenntnis: Selbst wenn eine Waffenruhe kommt, selbst | |
wenn sie Jahre statt Monate hält, ist der Konflikt nicht gelöst. Die | |
Freilassung aller israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen wird ihn nicht | |
lösen können. Ebenso naiv wäre es anzunehmen, dass die Hamas ein Ende der | |
Besatzung des Westjordanlands und ein Ende des Krieges in Gaza als | |
langfristige Friedenslösung akzeptieren würde. | |
## Lösung ist nicht in Sicht | |
Für einen langfristigen Frieden ist eine Zweistaatenlösung wohl noch immer | |
die beste Option. Um diesen Prozess auch nur zu beginnen, müssten zuerst | |
die Führungskader der Hamas den Gazastreifen verlassen, die Miliz die | |
Waffen abgeben. Die Geiseln müssten an Israel zurückgegeben werden; | |
[3][palästinensische Gefangene], gegen die es keine konkreten Vorwürfe | |
gibt, aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. | |
Israel müsste die Palästinensischen Autonomiebehörde wieder als Partner in | |
Sicherheitsfragen anerkennen und ihr die Kontrolle über die eigene | |
Bevölkerung – im Westjordanland wie auch im Gazastreifen – ermöglichen. D… | |
Autonomiebehörde müsste die israelischen Sicherheitsbedenken anerkennen und | |
ihnen aktiv entgegenwirken. Und nicht zuletzt müsste Israel die | |
Bereitschaft zeigen, die [4][Siedlungen im Westjordanland] und Ostjerusalem | |
in den Grenzen von 1967 aufzugeben. | |
All das wird nach derzeitiger Gemengelage nicht passieren. Und so ist jede | |
Waffenruhe – wenn sie denn kommt – maximal eine Pause, nicht aber eine | |
Lösung. | |
11 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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