# taz.de -- Rechte Partei in Schweden: Man gibt sich angeekelt | |
> Die rechten Schwedendemokraten arbeiten ihre Vergangenheit auf. | |
> Heuchelei, sagen die einen. Immerhin, sagen andere. | |
Bild: Schon 2018 hatte Parteichef Jimmie Åkesson angekündigt, die Geschichte … | |
Härnösand taz | Jetzt haben sie es schwarz auf weiß: Die Geschichte der | |
Schwedendemokraten (SD) ist geprägt von antisemitischer, rassistischer und | |
nationalsozialistischer Ideologie. Die Partei nutzte diese Woche die Bühne | |
des Politik-Events Almedalsveckan, um ihr sogenanntes Weißbuch zu | |
präsentieren – und sich empört zu zeigen über die eigene Vergangenheit. | |
Zum Einstieg: Die Schwedendemokraten sind aus der rassistischen und | |
nationalrevolutionären Bewegung „[1][Bevara Sverige svenskt]“ (Haltet | |
Schweden schwedisch) hervorgegangen, wie der Ideenhistoriker und Autor des | |
Weißbuchs Tony Gustafsson bei der Vorstellung auf Gotland sagte. | |
Mehr als 800 Seiten hat seine Dokumentation. Bislang wurden nur hundert | |
Exemplare gedruckt, die unter anderem an schwedischen Medien gegeben | |
wurden. Schon 2018 hatte Parteichef Jimmie Åkesson angekündigt, die | |
Geschichte der Schwedendemokraten aufarbeiten zu lassen. Doch es zog sich | |
gewaltig, Gustafsson bekam den Auftrag erst 2021. | |
Das wurde schon zu einem Politikum, als bekannt wurde, dass auch er einst | |
Parteimitglied war. Nun bewerten Experten seine Arbeit zwar als wenig | |
analytisch, aber als eigenständig. | |
## Langer Entstehungsprozess des „Weißbuchs“ | |
Ein erster Teil über die Gründer war 2022 fertig – aber erst im mit | |
Spannung erwarteten zweiten Teil geht es um die Entwicklung von 1988 bis | |
2010, der Zeit, in der unter anderem [2][Jimmie Åkesson Mitglied wurde] und | |
die Partei in den Reichstag kam. Wovon wurden die geprägt, die die | |
Schwedendemokraten heute führen? | |
[3][Seit der Wahl 2022 regieren sie quasi mit], wenn auch ohne eigene | |
Ministerien. Aber als offizieller Kooperationspartner und | |
Mehrheitenbeschaffer waren und sind sie von entscheidender Bedeutung für | |
Ministerpräsident Ulf Kristersson und seine Koalition aus Moderaten, | |
Christdemokraten und Liberalen. | |
Dass sie ihre im Prinzip nicht unbekannten Geschichte nun so prominent | |
präsentierten, wurde in Schweden als Strategie des „Pflaster Abreißens“ | |
gedeutet – also kurz und schmerzhaft, aber dann ist es vorbei. Nach der | |
Devise: Geschichte aufgearbeitet, entschuldigt, abgehakt, weiter geht’s auf | |
dem ziemlich erfolgreichen Weg zur Normalisierung als eine von vielen | |
schwedischen Parteien. | |
## Antisemitismus und Holocaust-Leugnung | |
Anfang der 1990er war diese Partei von einem „ausgeprägten | |
Ethnonationalismus“ geprägt, so Gusstafsson. Viele Mitglieder dieser Zeit | |
seien zugleich in Nationalsozialistischen Gruppen wie „Vitt ariskt | |
motstånd“ („Weißer arischer Widerstand“) aktiv gewesen. | |
Antisemitische Rhethorik und Holocaust-Leugnung bei den Schwedendemokraten: | |
Schon vor der Präsentation hatte sich Parteichef Jimmie Åkesson zu genau | |
diesem Punkt geäußert. Er bitte die Juden in Schweden um Entschuldigung | |
dafür, dass sie seine Partei zu der Zeit als bedrohlich und beängstigend | |
aufgefasst haben könnten. | |
Åkesson sagte auch, Antisemitismus sei bei „einzelnen Schwedendemokraten“ | |
vorgekommen, in Texten, Reden und Schlagworten bei Demonstrationen, aber er | |
habe nicht die Parteipolitik geprägt. Er nannte das Weißbuch eine | |
niederschlagende Lektüre, und es täte ihm zutiefst leid, was in den frühen | |
Tagen der Partei passiert sei. Heute sei er es, der mit diesem Erbe umgehen | |
müsse, die Partei grenze sich nun deutlich von Antisemitismus ab. | |
[4][Magdalena Andersson, die Vorsitzende der schwedischen | |
Sozialdemokraten], nannte Åkessons Entschuldigung „grenzenlose Heuchlerei“. | |
Auch heute noch gebe es in der Partei Personen, die sich antisemitisch | |
äußerten. | |
## Offene Hetze gegen Muslime | |
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Schweden, Aron Verständig, | |
äußerte sich positiver – es sei gut, dass SD das Weißbuch habe schreiben | |
lassen und um Entschuldigung gebeten habe. „Das Wichtige ist nun, dass den | |
Worten Taten folgen und dass man weiterhin eine Null-Toleranz-Politik gegen | |
Antisemitismus und andere Formen von Rassismus hat“, sagte er. Die Partei | |
hätte aber etwas deutlicher sein können damit, dass es nicht nur einzelne | |
Mitglieder waren, sondern sie als Ganzes antisemitisch war. | |
In weiteren Reaktionen wurde kritisiert, dass die Schwedendemokraten sich | |
nicht bei anderen von ihnen bedrohten Minoritäten entschuldigt hätten – und | |
es wurde daran erinnert, dass die Partei nun offen gegen Muslime hetze. | |
Für Geflüchtete, Migranten und Migration und wurden laut Weißbuch seit 1993 | |
bewusst Begriffe wie „Eindringling“ und „Invasion“ eingesetzt. | |
Dass das Konzept von „Rassen“ für Menschen wissenschaftlich und | |
gesellschaftlich nicht opportun war, wussten laut Tony Gustafsson auch die | |
frühen Schwedendemokraten: Intern hätten sie über die „Gefahren“ der | |
„Vermischung von Rassen“ gesprochen. Die Mitglieder wurden aber 1993 | |
angewiesen, den Begriff in der Öffentlichkeit nicht zu nutzen. | |
## Parteiausschlüsse und Verbot von Nazi-Symbolen | |
Ab 1995, als Mikael Jansson den Parteivorsitz übernahm, begannen die | |
Schwedendemokraten einen Änderungsprozess – erstmal damit, Nazi-Symbole und | |
Uniformen auf Demonstrationen zu verbieten. Intern sei diskutiert worden, | |
wie man das „Nazipack“ loswerde. | |
Bis 2010 wurden 130 Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen. Jansson | |
erklärte im Jahr 2000 öffentlich seinen „Abscheu“ gegenüber dem | |
Nationalsozialismus. | |
Autor Gustafsson nennt die Parteiausschlüsse strategisch, sie sollten | |
Signale aussehen, was innerhalb der Partei als akzeptabel gelte. Das | |
bedeute aber nicht, dass alle Mitglieder mit nationalsozialistischem | |
Hintergrund in dieser Zeit ausgeschlossen worden seien. | |
## Stolz über eigene Vergangenheitsaufarbeitung | |
Es war nicht Jimmie Åkesson, der sich nach der Weißbuch-Vorstellung vor die | |
Presse stellte, sondern Mattias Karlsson, der sogenannte Chefideologe der | |
Partei. Er gab sich äußerst reumütig. „Wir sind uns alle einig, dass es so | |
schlimm ist, dass es keinen Grund gibt zu versuchen, etwas zu entschuldigen | |
oder abzuschwächen“, sagte er. | |
Er sei froh, dass die Partei gegründet wurde, aber die sei von „Personen | |
mit verwerflichen Ansichten“ gebildet worden. „Ich bin wütend und angeekelt | |
darüber, welchen Vorstellungen man zugelassen hat“, meinte Karlsson. | |
Wie Åkesson sieht auch er sich als unbeteiligt an der Vergangenheit – beide | |
sind seit Mitte der 1990er in der Partei. Karlsson sagte, er sei stolz, an | |
deren „Entradikalisierung“ mitgewirkt zu haben. | |
Was diese Politiker denn damals zum Parteieintritt bewog, ob ihre | |
Vergangenheitsbewältigungs-Demonstration ein geschickter Schachzug war, ob | |
und welche Folgen für die schwedische Politik zu erwarten sind: Unter | |
anderem darüber wird jetzt diskutiert. | |
29 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anne Diekhoff | |
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