# taz.de -- Wie Russland auf Osteuropa blickt: Erst die Ukraine, dann das Balti… | |
> In Moskau will die Russische Militärhistorische Gesellschaft über die | |
> „baltischen Schmarotzer“ informieren. Eine primitive Erzählung – und e… | |
> verkappte Drohung. | |
Bild: Was hat die Sowjetunion nicht alles für das Baltikum getan? Das führt d… | |
Moskau taz | Häfen, eine Ölpipeline, Flughafen – was nur habe die | |
Sowjetunion in Lettland nicht alles bauen lassen! So viele Investitionen | |
wie nie zuvor und nie danach! Das Land sei erblüht, die Bevölkerung | |
glücklich. Litauen: ein ähnliches Bild. Eine 300 Kilometer lange Straße | |
habe die Sowjetunion da entstehen lassen, eine der Vorzeigestraßen im | |
riesigen sowjetischen Reich. Die Litauer seien geachtete Menschen in | |
sowjetischer Kultur, Kunst, Wissenschaft und Sport gewesen. Estland? Nur | |
unter sowjetischer Herrschaft sei es überhaupt souverän gewesen. Ein | |
Spitzenreiter in allen Bereichen des Lebens sei Estland gewesen. | |
Ohnehin habe das Baltikum stets an vorderster Stelle in der Sowjetunion | |
gestanden. Ein idealer Ort. Und jetzt: stagnierende Wirtschaft, | |
schrumpfende Bevölkerung, die Behörden glichen der Gestapo. „Bald ist das | |
Baltikum eine menschenleere, von Unkraut überwuchernde Trümmerlandschaft“, | |
steht auf einer der Tafeln, die sich entlang des Gogol-Boulevards im | |
Moskauer Zentrum aneinanderreihen. | |
Hier will die Russische Militärhistorische Gesellschaft über „Quellen und | |
Sinn des baltischen Neonazismus“ informieren. So hat die vor 13 Jahren per | |
Erlass des russischen Präsidenten Wladimir Putin geschaffene Organisation, | |
um Russ*innen Stolz auf die militärische Vergangenheit ihres Landes | |
einzuflößen, die Ausstellung genannt, die nichts anderes tut, als [1][das | |
bekannte russische Narrativ] zu verbreiten: Russland sei von Feinden | |
umgeben, die schlimmsten dabei seien die, denen die Sowjetunion überhaupt | |
erst zum Leben verholfen habe. | |
Nun aber müssten sich diese an die Nato und die EU heranpirschen, denn ohne | |
die Unterstützung Russlands als rechtmäßiger Nachfolger der untergegangenen | |
Sowjetunion seien diese Länder lediglich „armselige Schmarotzer“, die vom | |
Geld und den Befehlen aus Brüssel abhingen. Lettlands Visitenkarte sei | |
Russophobie, Litauen sei eine Marionette Europas, Estland pflege gar eine | |
manische Russophobie. „Das Hobby des Baltikums ist die Vernichtung alles | |
Russischen“, lässt die Militärhistorische Gesellschaft die Vorbeieilenden | |
wissen. | |
## Eine verdrehte Darstellung der Geschichte | |
Nur selten bleibt an diesem trüben Juli-Vormittag jemand an den Tafeln | |
stehen. Ein älterer Herr empört sich über die heruntergefallene Beleuchtung | |
einer Tafel, ein Mann mit Rucksack bleibt länger vor der Passage über Kaja | |
Kallas stehen, im wirklichen Leben frühere estnische Premierministerin und | |
heute außenpolitische Beauftragte der EU-Kommission, am Gogol-Boulevard | |
eine „an vielfältigen psychischen Erkrankungen leidende baltische | |
Promenadenmischung der europäischen Russophobie“. Reden will hier niemand. | |
Auf jeder der 16 Tafeln der Prachtstraße, die sich von der Touristen-Meile | |
Arbat bis hin zur Christi-Erlöserkathedrale zieht und den sechs Tafeln vor | |
der lettischen Botschaft einige Straßen weiter weg geht es um Diffamierung | |
der Staaten des Baltikums – mittels verzerrter und verdrehter Darstellung | |
der Geschichte. Seit Jahren treibt die russische Regierung eine | |
Geschichtspolitik voran, die ein selektives Narrativ der russischen | |
Geschichte vermittelt und auch vor historischen Lügen nicht zurückschreckt. | |
Die Wohltaten der Sowjetunion werden glorifiziert und die sowjetische | |
Gewaltherrschaft sowie die Folgen dieser schlicht beiseite gelassen. | |
Die Ausstellung am Gogol-Boulevard ist ein in Russland gängiger Ausdruck | |
einer großen Enttäuschung, in primitiver Form und einer Sprache voller | |
Hass. Jede Tafel ist eine Art lautstarkes Verlangen nach Dankbarkeit. Aber | |
diese Dankbarkeit kommt nicht: von den Balten nicht, aber auch nicht von | |
Schweden,[2][Finnen], Deutschen. | |
## „Russophobie“ als Propaganda-Figur | |
In regelmäßigen Abständen tauchen solche Tafeln vor den Botschaften der EU- | |
und Nato-Staaten in Moskau auf. Im März 2023 platzierte das russische | |
Verteidigungsministerium etliche Stände „zur Erinnerung“ an die Nazizeit | |
vor der Deutschen Botschaft. Im November 2023 hatte die Militärhistorische | |
Gesellschaft die schwedische Botschaft mit einer „kurzen Geschichte der | |
schwedischen [3][Russophobie]“ im Blick. Im Mai 2024 hat sie die | |
[4][finnische] Botschaft über „Episoden finnischer Russophobie“ informiert. | |
Stets ist der Ton ähnlich: Ohne die Sowjetunion wären all diese Länder | |
nichts. Und nun, so heißt es, wollten sie „alles Russische vernichten“. Das | |
mache man nun doch wirklich nicht, wenn einem so vieles gegeben worden sei. | |
7 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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