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# taz.de -- ACAB-Streitgespräch mit Jette Nietzard: „Herr Bohnert ist kein B…
> Jette Nietzard, Grünen Jugend-Chefin, provozierte im ACAB-Pullover. Der
> Polizist Armin Bohnert hält das für daneben. Wie viel Kritik muss die
> Polizei aushalten?
Bild: ACAB stand nur ganz klein auf dem Pullover von Jette Nietzard, aber die A…
taz: Frau Nietzard, muss sich Herr Bohnert als Polizist gefallen lassen,
als Bastard bezeichnet zu werden?
Jette Nietzard: Nein, natürlich ist Herr Bohnert kein Bastard oder, wie es
andere übersetzen, ein Schwein. Und auch nicht jeder andere einzelne
Polizist. Das habe ich auch nie behauptet, es geht mir um eine
Systemkritik.
taz: Sie haben mit Ihrem Selfie in einem Pullover mit ACAB-Logo – „All cops
are bastards“ – für Empörung gesorgt, auch bei den Grünen. Stehen Sie
nicht mehr zu dem Slogan?
Nietzard: Ich hatte den Pulli von einer Person geborgt und wollte damit gar
nicht provozieren. Ich hatte ja auch ein Käppi auf, auf dem „Eat the rich“
stand. Ich dachte, darüber wird diskutiert. Aber dann ging es nur noch um
das ACAB. Das war ein großes Problem der Debatte: Es wurde nur über einen
Pulli diskutiert und nicht über berechtigte Kritik am System Polizei. Ich
hätte mir eine andere Debatte gewünscht.
taz: Ging es Ihnen nicht eher um Selbstinszenierung?
Nietzard: Also, ich hatte auch schon vorher sehr ausführlich meine Kritik
an der Polizei geäußert. Das hat aber keinen großen Wirbel ausgelöst. Dass
die Debatte über den Pulli so groß wurde, wurde auch von rechten Medien
angezettelt. Auch das sollten wir hinterfragen.
taz: Herr Bohnert, was halten Sie von dem Slogan ACAB?
Armin Bohnert: Ich glaube, dass diese vier Buchstaben nicht zur
Systemkritik taugen. Das ist ein Wutausbruch, der inzwischen ein bisschen
zu inflationär gebraucht wird. Ich persönlich fühle mich davon nicht
beleidigt – da stehe ich drüber. Aber unter vielen Kolleginnen und Kollegen
gab das einen Aufschrei. Ich wäre im Fall Polizei auch mit Provokationen
sehr vorsichtig: weil da gesellschaftlich sehr Wichtiges auf dem Spiel
steht.
taz: Aber muss sich die Polizei nicht auch harte Kritik gefallen lassen?
Bohnert: Natürlich. Und wir halten Kritik auch aus. Aber diese vier
Buchstaben werden der Vielfalt der Polizei nicht gerecht. Wir haben den
Streifendienst, geschlossene Einheiten, die Kriminalpolizei,
Spezialeinheiten, Antikonfliktteams: Die eine Polizei gibt es gar nicht.
Und ACAB drückt ja wirklich mangelnde Wertschätzung und Ernsthaftigkeit
aus. Um konstruktiv zu diskutieren, müssen wir andere Wege finden.
taz: [1][Polizeigewerkschafter von der Deutschen Polizeigewerkschaft]
nannten die Grüne Jugend einen „wohlstandsverwahrlosten Haufen von
Linksextremisten“.
Bohnert: Wir haben es ja auch kritisiert. Aber wie sich diese Lautsprecher
immer wieder äußern, auch um berechtigte Kritik abzuwehren, das kann ich
mir auch nicht erklären. Sie sind jedenfalls nicht die Mehrheit in der
Polizei. Ich kenne viele Führungskräfte, die der gleichen Auffassung sind
wie ich. Ich kann nur sagen: Wenn wir uns Kritik öffnen, wenn wir
Transparenz zeigen, können wir nur gewinnen.
taz: Frau Nietzard, Ihre Aktion dürfte die Abwehrhaltung der Polizei
jedenfalls nochmal gefestigt haben.
Nietzard: Das wäre ein fatales Ergebnis. Nur weil ich einen Pulli trage und
damit Gebrauch vom Recht der freien Meinungsäußerung mache, kann es nicht
sein, dass man die Reihen schließt, wenn es um Polizeigewalt oder
Kolleg*innen geht, die sich nicht richtig verhalten.
Bohnert: Als wir Polizei Grün gegründet haben, haben wir uns zum Ziel
gesetzt, die Gräben, die es historisch bei den Grünen und Linken zur
Polizei gibt, zu überwinden. Und diese Vorbehalte gibt es andersrum bei der
Polizei ja auch. Nur wenn wir Fronten abbauen, kommen wir zu einer besseren
und rechtsstaatlichen Arbeit der Polizei. Und das ist uns in den letzten
Jahren auch gelungen. Inzwischen gibt es viele grüne Politiker*innen, die
der Polizei sehr positiv gegenüberstehen. Leute, die Kritik an der Polizei
üben, aber nicht mehr zu allem Nein sagen, sondern erklären, was sie besser
machen wollen. Und da befördern solche Einzeläußerungen wie das ACAB jetzt
blöderweise genau wieder die Vorbehalte.
taz: Die Grünen haben in letzter Zeit die Annäherung gesucht: mit
Polizeikongressen oder Forderungen nach einer „starken Polizei“. Haben Sie
das kaputt gemacht, Frau Nietzard?
Nietzard: Was heißt denn „kaputt“ gemacht? Jede Polizei muss, unabhängig
davon, was eine Jugendorganisation auf ihrem Pulli trägt, natürlich mit den
Grünen kooperieren. Das ist ihre demokratische Aufgabe. Selbst wenn Robert
Habeck so einen Pulli tragen würde, müsste sie die Grünen schützen. Wenn
sie das nicht tun, dann haben wir ein ganz anderes Problem.
taz: Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann
forderte Ihren Parteiaustritt, [2][die Parteispitze kritisierte Sie
scharf].
Nietzard: Dass Winfried Kretschmann und ich unterschiedliche Ansichten
haben, war auch vorher bekannt. Diesen Spagat muss man als Partei
aushalten. Natürlich müssen wir mit der Polizei, wie mit anderen
Berufsgruppen, in den Austausch kommen. Wir müssen über die
Arbeitsbedingungen bei der Polizei sprechen, etwa über die Belastungen und
Überstunden, die gerade durch die Grenzkontrollen passieren. Genauso aber
müssen wir grundsätzliche Fragen stellen: Welche Rolle spielt die Polizei
in unserer Gesellschaft? Inwieweit sollte sie Waffen oder Taser tragen?
Eine Kooperation mit der Polizei wäre mir zu viel. Wir sind als Partei
nicht dafür da, der Polizei zu gefallen, sondern vor allem, um für die
Sicherheit der Bürger*innen zu sorgen.“
taz: Haben Sie eigentlich mal die Polizei gerufen?
Nietzard: Ich hatte letzten Sommer mal eine Anzeige gestellt, via
Onlinewache, wegen eines Hasskommentars im Internet. Später war ich auch in
der Wache, wo mir allerdings abgeraten wurde, einen Strafantrag zu stellen,
weil das aussichtslos sei. Obwohl ich den vollen Namen und den Wohnort der
Person hatte, die mich beleidigt hat. Ich hatte den Strafantrag dann
trotzdem gestellt.
taz: Und da hatten Sie keine Berührungsängste?
Nietzard: Ich bin eine weiße, deutsche Person. Also nicht die Person, über
die wir sprechen, wenn es um Berührungsängste zur Polizei geht. Ob ich mir
aktuell sicher sein kann, im Ernstfall geschützt zu werden, frage ich mich
aber schon.
Bohnert: Also ich habe großes Vertrauen, dass du dich auch aktuell
jederzeit mit deinen Anliegen an die Polizei wenden kannst und die
Kolleg*innen dir vorbehaltlos helfen.
taz: Laut einem Lagebild des Verfassungsschutzes gab es jüngst [3][739
rechtsextreme Prüffälle] bundesweit in den Sicherheitsbehörden. Eine große
Polizeistudie befragte 40.000 Polizist*innen, rund 400 attestierte sie
ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.
Bohnert: Früher war ja immer sofort die Rede vom Einzelfall, wenn etwas
Negatives aufgefallen ist. Aber das stimmt nicht, dafür sind es zu viele
Fälle. Und dann heißt es immer, dass die Polizei eben ein Spiegelbild der
Gesellschaft sei. Aber auch das stimmt nicht, weil durch Auswahlverfahren
nur bestimmte Personen zu uns kommen und wir auch eher konservative Leute
anziehen. Die Frage bleibt: Wie groß ist das Problem wirklich? Und wo kommt
das her? Ich habe den Anspruch, dass wir in der Polizei alles dafür tun,
unsere Arbeit und Fehlverhalten zu reflektieren. Es darf keine kritische
Masse geben, die zum Beispiel bei einem Machtwechsel unsere demokratische
Grundwerte aufgibt.
Nietzard: Auch 739 Fälle sind viel zu viele. Es reicht, wenn ich an eine
Person in einem Streifenwagen gerate, die rechtsextrem denkt, um ein
Problem zu bekommen. Und es ist auch zu viel, wenn in der Polizeistudie
herauskommt, dass jeder fünfte Polizist rassistisches Verhalten bei
Kolleginnen beobachtet hat. Oder wenn es ein Rekordhoch an tödlichen
Polizeischüssen gibt und in [4][Oldenburg Lorenz von hinten erschossen
wird]. Oder wenn beim Einsatz zum Hanau-Attentat 13 SEK-Beamte in einer
rechtsextremen Chatgruppe waren. Dann kann ich als Bürgerin nicht sicher
sein, dass ich wirklich geschützt werde, wenn ich die Polizei rufe, vor
allem, wenn ich nicht weiß bin. Wenn wir aber ein staatliches Gewaltmonopol
bei der Polizei haben, ich also keine andere Wahl habe, als diese im
Notfall zu rufen, dann muss ich mir sicher sein, von ihr fair behandelt zu
werden.
taz: Herr Bohnert, der Europarat und Verbände haben Deutschland gerügt,
weil es zu untätig bei [5][Racial Profiling] sei, also bei
Polizeikontrollen allein aufgrund der Hautfarbe. Warum hat die Praxis
Bestand?
Bohnert: Wenn es diese Rügen gibt, müssen wir das ernst nehmen. Wir sagen
unseren Leuten immer: Ihr müsst verhaltensorientiert kontrollieren; also
jemanden kontrollieren, der randaliert oder sich auffällig verhält. Das ist
auch viel effizienter. Ich will ja die Richtigen kontrollieren. Deshalb ist
auch ein bloßes Mehr an Polizei kein Sicherheitsgewinn. Wir müssen gezielt
dort sein, wo wir gebraucht werden. Und natürlich ist es ein Problem, wenn
Menschen der Polizei nicht vertrauen. Vertrauen ist die Basis für
Polizeiarbeit, und wir müssen es rechtfertigen.
taz: Wie kann die Polizei dieses Vertrauen gewinnen?
Bohnert: Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, wenn in Einsätzen
Bodycams getragen werden. Das entlastet Polizisten, die nach einem Einsatz
nicht alles aus dem Gedächtnis aufschreiben müssten. Und es hat auch eine
Kontroll- und Schutzfunktion.
Nietzard: Also mehr Bodycams bei der Polizei fordern auch wir als Grüne
Jugend. Wir sind auch dafür, dass diese dann, zum Beispiel wenn Schüsse
abgegeben werden, eingeschaltet werden müssen. Wenn das nicht passiert,
muss das vor Gericht ein Nachteil sein – was bisher nicht der Fall ist.
taz: Jenseits von Bodycams: Wie bekommen wir eine demokratische Polizei
hin?
Nietzard: Wir müssen die Kontrolle stärken. Bisher werden Verfehlungen ja
von benachbarten Dienststellen aufgeklärt. Ich würde da lieber mehr
Kompetenzen bei unabhängigen Polizeibeauftragten in den Bundesländern
sehen, um solche Fälle aufzuklären. Das würde mir jedenfalls Vertrauen
zurückgeben. Und ich glaube, vielen anderen auch.
Bohnert: Polizeibeauftragte sind übrigens nicht nur dazu da, dass sich
Bürger über die Polizei beschweren, sondern auch, dass sich Beamte über
ihre Arbeitsbedingungen beschweren können. Etwa, dass Supervision für
Beamte in extremen Einsätzen standardmäßig eingeführt wird. Stattdessen
fahren konservative Politiker gern mal eine Nachtschicht mit der Polizei
und lassen sich dafür feiern, wenn neue Technik angeschafft wird. Aber für
flächendeckende Supervision ist kein Geld da.
taz: Mehr Geld für die Polizei – wäre das eine Forderung der Grünen Jugend…
Nietzard: Wenn es um Supervision geht, dann finde ich, dafür muss Geld da
sein. Aber an anderer Stelle muss man sich auch mal fragen, ob nicht auch
andere für Polizeieinsätze zahlen müssten, etwa die Fußballvereine für
Hochrisikospiele. [6][Da gab es ja gerade ein interessantes Urteil.]
Oder die Polizeikontrollen an der deutschen Grenze, wo erste
Gerichtsurteile sagen, dass sie nicht legitim sind. Es würde helfen, wenn
sich die Polizei gegen solche Einsätze lauter wehren würde. Natürlich
braucht es im heutigen System Geld für die Polizei. Aber perspektivisch
sollten wir schon schauen, wo wir Polizei brauchen – und wo nicht.
taz: Also langfristig wollen Sie die Polizei abschaffen?
Nietzard: In ganz, ganz, ganz ferner Zukunft (lacht). Das sehe ich nicht in
einem Wahlprogramm. Aber natürlich wünsche ich mir eine Gesellschaft ohne
zum Beispiel häusliche Gewalt, in der schon früher Schutzmechanismen für
Frauen greifen. Also ja: eine Gesellschaft, in der Interventionen der
Polizei nicht mehr nötig sind.
Bohnert: Als Utopie hat das seine Berechtigung. Aber ich glaube nicht, dass
wir langfristig auf Polizei verzichten können. Wir sollten jedoch darüber
diskutieren, ob immer alles bei der Polizei abgeladen werden muss. Ab
freitags 17 Uhr etwa ist die Polizei allein mit allen möglichen
gesellschaftlichen Problemen, weil andere Behörden dann Wochenende machen.
Auch bei Verkehrsunfällen mit bloßem Sachschaden arbeitet die Polizei
eigentlich für die Versicherungen: Wir objektivieren den Sachverhalt, die
streichen die Versicherungssummen ein.
taz: Frau Nietzard, würden Sie den ACAB-Pulli noch mal tragen?
Nietzard: Das Bild ist so viel durchs Internet gegangen, ich brauche da
erst mal eine Pause.
taz: Aber entschuldigen wollen Sie sich dafür nicht?
Nietzard: Der Pulli an sich war nicht das Problem, weil ich zur
Systemkritik an der Polizei stehe. Aber die Debatte, die daraus geworden
ist, hat niemandem geholfen. Das habe ich nicht gewollt, und ich checke,
dass es am Ende komplett falsch gelaufen ist.
5 Jul 2025
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[4] /Todesschuesse-auf-Lorenz-A-in-Oldenburg/!6080733
[5] /Diskriminierung-durch-Beamtinnen/!6086111
[6] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/polizeikosten-hochrisiko…
## AUTOREN
Konrad Litschko
Benno Stieber
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Grüne Jugend
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