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# taz.de -- Schafe auf dem Tempelhofer Feld: Grasen, trampeln, kacken
> Hunderte Schafe weiden in Berlin – und sind als Landschaftspfleger nicht
> wegzudenken. Ein Besuch bei Frank Wasem und seiner Herde auf dem
> Tempelhofer Feld.
Bild: Noch ungeschoren: Schafe aus Wasems Herde auf dem Tempelhofer Feld
Berlin taz | Man mag meinen, auf dem [1][ehemaligen Flughafengelände
Tempelhofer Feld] habe es nach der Umwandlung zum Park Start- und
Landebahnen für alle gegeben. Nicht aber für die Feldlerche. Der braune
Vogel, der gern im hohen Gras auf dem Boden nistet, braucht besondere
Pisten. „Dafür sind wir jetzt hier“, sagt Frank Wasem.
Mit „wir“ meint der 52-Jährige nicht nur sich und sein fünfköpfiges Team,
sondern vor allem die rund hundert Schafe, die einen abgesperrten, 20
Hektar großen Abschnitt im Südwesten des Feldes beweiden und dort für
ebenjene Bedingungen sorgen, die der in Berlin so seltene Vogel braucht:
Landeplätze und Futterquellen – der Schafkot lockt viele Insekten an.
Kacken, trampeln, grasen: Das sind die Skills der tierischen
Landschaftspflegerinnen. Sie mitten in der Stadt anzutreffen, ist eine
Besonderheit, vor allem wenn man bedenkt, dass das Tempelhofer Feld
jährlich von rund zwei Millionen Berliner:innen zum Grillen, Skaten,
Gärtnern und vielen anderen Freizeitaktivitäten besucht wird. „50 Prozent
wissen gar nicht, dass wir hier sind“, sagt Schäfermeister Wasem. „Die
anderen sehen es positiv.“
Dass sie seit 2019 hier seien, gehe sogar auf Besucher*innen zurück,
die sich bei Befragungen eine Schafherde auf dem Feld gewünscht hätten.
Vielleicht, weil sie wussten, dass die wollenden Tiere hier schon früher
einmal heimisch waren. Wasem sagt: „Nicht nur zu Zeiten des Kalten
Krieges, auch schon zu Kaisers Zeiten wurde hier beweidet.“
## Die Liebe ist gegenseitig
Einmal im Jahr führt der Schäfer eine Infoveranstaltung durch. „Die Leute
sind hinterher alle Feuer und Flamme“, erzählt er stolz. „Die merken, dass
das hier nicht einfach ein Job ist. Ich bin berufen, das ist mein
Lebensinhalt. Unser Ziel hier ist nichts anderes als das Wohl der Tiere.“
Während Frank Wasem spricht, drängt sich immer wieder ein dickes Schaf zu
ihm und gibt ihm mit einem leichten Kopfstoß zu verstehen, dass es
gestreichelt werden will. „Das ist Luna, eine Handaufzucht“, erklärt er.
Handaufzucht heißt, dass ein Tier mit der Flasche großgezogen wird, weil
die Mutter starb oder sich nicht gut kümmert. Die Flaschenlämmer haben alle
Namen, „die anderen nennen wir einfach alle ‚Süße‘“, so Wasem.
Die Liebe ist gegenseitig. Dass der Schäfer eine solch enge Bindung zu den
Tieren hat, ist kein Wunder, er hat sie aufwachsen sehen. Als Wasem vor
neun Jahren anfing, im Auftrag des landeseigenen Unternehmens Grün Berlin
eine Schäferei aufzubauen, startete er mit sechs Tieren – heute sind es
über 500. Neben der Tempelhofer Herde gibt es knapp 400 Tiere auf dem
Gelände des alten Flughafens Tegel, wo sie zur Entwicklung einer
Heidelandschaft beitragen sollen.
Kleine Herden gibt es außerdem in den Gärten der Welt, im Naturpark
Südgelände sowie im Britzer Garten. An jedem Standort gebe es festes
Personal, aber, so Wasem: „Ich habe die Oberaufsicht. Schafschur,
Mineralstoffversorgung, Impfung, Klauenschnitt, das koordinieren wir von
hier.“ Das bedeutet eine Menge Papierkram, zwei Mitarbeiterinnen sitzen
dafür im Büro, „wir wiegen, und die Ablammung wird auch dokumentiert“. 52
Lämmer wurden dieses Jahr allein auf dem Tempelhofer Feld geboren.
Die Züchtung konzentriert sich auf drei Rassen. Luna gehört zu den Coburger
Füchsen, eine sehr alte Hausschafrasse, die auf der Roten Liste der
bedrohten Tierarten steht. Nur noch wenige tausend Exemplare gibt es in
Deutschland. Die Berliner Schäferei sorgt dafür, dass der Bestand wieder
wächst, wie auch im Fall der ebenfalls vom Aussterben bedrohten Skudden.
Deren dickes, weißes Fell verkauft Frank Wasem an einen
Wollpellet-Hersteller, das Düngemittel ist begehrt. Und auch für das
fuchsbraune Vlies der Coburger Füchse hat er einen Abnehmer gefunden, der
macht daraus Wolldecken. Darüber hinaus gibt es noch ein paar von den
schwarz-weißen Dorperschafen, eine Rasse aus Südafrika, die ihr Fell selbst
verliert.
Das ist günstig, denn an diesem Tag im Frühsommer ist es schon sehr heiß.
Die anderen Tiere müssen in ihrer dicken Wolle ganz schön schwitzen. Zum
Glück schreitet Wasem mit seinem Team gleich zur Tat, die erste Schur steht
an. Der Schäfer trägt einen Hut und ein langes, weißes Hemd, um sich vor
der vom Himmel knallenden Sonne zu schützen. „Heute ist so ein Tag hier, da
würde jeder sofort mit uns tauschen“, sagt er. „Aber nachts, wenn man da
im Mist kniet, nasse Knie kriegt und mit einem halben Arm im Schaf wühlt,
dann sind wir immer allein.“ Er lacht.
Tatsächlich scheint es ihm nichts auszumachen, dass er sich bei jedem Wind
und Wetter um die Tiere kümmern muss. Im Herbst lässt Wasem die Schafe fünf
Wochen lang von Böcken decken, nach 150 Tagen ist Lammzeit, also im Februar
und März. Dann arbeiten er und seine Mitarbeiter:innen rund um die
Uhr, denn nicht selten braucht es bei der Geburt Hilfe. Frank Wasem sagt:
„Diese kalten Nächte im Winter, wenn man wirklich arbeiten muss, am und mit
dem Tier, das macht das Schäfersein aus.“
Wasem liebt dieses Dasein. Schon als Schulkind gab er als Berufswunsch
„Bauer“ an. Ziemlich verrückt für einen Jungen aus Westberlin. Die
landwirtschaftlichen Flächen waren durch die Mauer begrenzt, entsprechend
wenig Betriebe gab es. Nach der Schule machte er dann auch erst einmal eine
Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. „Im Winter hieß das: im Dunkeln zur Arbeit
und im Dunkeln wieder nach Haus“, erzählt er.
Nach zehn Jahren kam er an einen Punkt, an dem er sich fragte, ob es das
wirklich gewesen sei. „Ich dachte: Du musst es wenigstens ausprobieren.
Wenn ich morgen tot umfalle, okay, aber diese Vision hab ich umgesetzt.“
Also kündigte er seine Festanstellung. „Meine Mutter dachte, ich bin
bekloppt.“
Heute hat Frank Wasem seine Festanstellung wieder zurück, eine Seltenheit
für einen Schäfer. Anders als seine selbstständigen Kolleg:innen kann er
sich die Schichten in der Lammzeit im Team aufteilen. Auch genießt er ein
Recht auf Feierabend, Urlaub und Krankengeld. Wasem weiß das zu schätzen,
vor seiner Zeit bei Grün Berlin war auch er selbstständig, seine Frau half
mit aus: „Urlaub und so was haben wir 15 Jahre nicht gemacht.“
Wehmütig wird Wasem nur, wenn er ans Hüten denkt. Mit den Schafen frei über
das Tempelhofer Feld zu ziehen, sei jedoch nicht möglich, meint er: „Wir
haben hier einen enormen Nutzerdruck und zu viele frei laufende Hunde.“
Wenn die Schafe auf ein anderes Stück Weide sollen, dann muss er sie mit
Fahrzeugen transportieren.
Was dem Schäfer ebenfalls fehlt: ein Hund. „Der gehört zum
Selbstverständnis dazu“, findet Wasem. Deshalb bemüht er sich bei seinem
Arbeitgeber nun um die Genehmigung, einen Border Collie anzuschaffen. Die
englische Hunderasse eignet sich auch für die Arbeit auf der Koppel. Wird
der Antrag genehmigt, müssen drei Kostenvoranschläge eingereicht werden, so
wie immer, wenn die öffentliche Schäferei etwas braucht. „Bei großem
Auftragsvolumen müssen wir europaweit ausschreiben. Das wirtschaftlichste
Angebot wird es dann.“
## Wasem vermisst die Einsamkeit
Hin und wieder vermisst Wasem auch die Einsamkeit, die er in seiner Zeit
als selbstständiger Schäfer kennen und lieben gelernt hat. Heute hat er
immer Mitarbeiter:innen um sich. „Sachen lange zu diskutieren und
immer einen Konsens zu finden, ist nicht mein Lieblingssport“, sagt er. „Da
kann man einem erfahrenen Kollegen schon vertrauen.“
Wenn es jetzt ans Scheren geht, gibt der Schäfermeister jedoch eindeutig
den Ton an. Der Schertunnel steht schon bereit und es dauert auch nicht
lange, da ist auf Wasems Kommando die Scheranlage aufgebaut. Als Erstes
schnappt sich der Schäfer Nora, eine Skudde, die er mit einem geschickten
Handgriff auf den Popo setzt. „Das sind die Vierbeiner nicht gewohnt, da
halten sie gleich still.“
Drei bis fünf Minuten dauert eine Schur, der Schäfer schert in einem Zug.
Das Gewicht des Schafes, das an ihm lehnt, scheint ihm ebenso wenig etwas
auszumachen wie das Geblöke der Lämmer, die nach ihrer Mutter rufen. „An
den Speckpolstern unter dem Fell kann man sehen, wie gut es unseren Schafen
geht“, sagt er. „Und das, obwohl diese gerade Zwillinge säugt. Jede Mutter,
die ein Kind gesäugt hat, weiß, wie kräftezehrend das ist.“
Das Fett fressen sich die Schafe auf der Weide an, maximal 100 Gramm werden
täglich zugefüttert. Frank Wasem: „Das machen wir nur für die Freundschaft,
damit sie gut mit uns zusammenarbeiten.“
Das erste Schaf ist kahl rasiert, gleich kommt das nächste auf die
Friseurbank. So wird es den ganzen Tag weitergehen. Frank Wasem macht das
nichts aus. Selbst wenn er irgendwann in Rente sei, zum Scheren komme er
weiterhin gern. 15 Jahre sind es noch bis dahin. „Mein Ziel ist, dass die
Arbeit bald in geordneten Bahnen läuft und nicht alles immer so aufregend
ist“, sagt der Schäfer. Gefragt nach seinem größten Wunsch, muss er nicht
lang nachdenken: „Dass unsere Schäferei nicht mehr in einem begrenzten
Projektzeitraum läuft, sondern auf Dauer angelegt ist.“ Nur eine gesicherte
Zukunft gebe dieser Arbeit langfristig Sinn.
24 Jun 2025
## LINKS
[1] /Zukunft-des-Tempelhofer-Felds/!6092916
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
## TAGS
Schäfer
Schafe
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Gefährdete Tierarten
Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld
Schwarz-rote Koalition in Berlin
Landwirtschaft
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