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# taz.de -- Behinderung von Betriebsräten: Außer Betrieb
> Unternehmen behindern oft die Arbeit von Betriebsräten. Dagegen
> vorzugehen, ist schwierig – wie das Beispiel Foot Locker zeigt.
Bild: Zumindest Kunden bekommen hier Rat im Betrieb: eine Filiale des US-Turnsc…
Murat Atas wollte nicht, dass sein ehemaliger Arbeitgeber einfach so
davonkommt. 25 Jahre hat er als Verkäufer bei Foot Locker gearbeitet,
stieg dort schnell auf, wurde Betriebsrat, später sogar
Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Lange lief alles gut, sagt er heute. Doch
vor einigen Jahren begann der Stress. Foot Locker habe systematisch
versucht, die Arbeit des Betriebsrats zu behindern.
Eine Filiale, in der Beschäftigte besonders gewerkschaftlich aktiv waren,
wurde sogar geschlossen, berichtet Atas. Schließlich habe das Unternehmen
versucht, ehemalige und aktuelle Betriebsratsmitglieder loszuwerden. Atas
setzte sich für seine Kollegen ein, bis auch er ins Visier geriet. Foot
Locker wollte ihm wegen angeblichen Arbeitszeitbetrugs kündigen.
Da der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung gegen ihren Vorsitzenden
nicht zustimmte, landete der Fall vor Gericht. Foot Locker musste tief in
die Tasche greifen, um einen Vergleich zu erzielen. Das war im Februar
2023. Jahre des Konflikts und der Zermürbung endeten damit, doch aus Atas’
Sicht kam das Unternehmen noch mit einem blauen Auge davon.
Foot Locker lässt konkrete Nachfragen offen. Man äußere sich nicht zu
Einzelfällen, so Foot Locker gegenüber der taz. Man arbeite an positiven
Beziehungen zu den Betriebsräten in Deutschland und erachte alle
Mitarbeiterbeteiligungen immer als äußerst wichtig und befolge alle
Richtlinien und Anforderungen, heißt es in einem kurzen schriftlichen
Statement.
Um seinen Kampf für Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen nicht ins
Leere laufen zu lassen, suchte er die Öffentlichkeit. Zudem stellte Atas
Strafantrag, denn die Behinderung von Betriebsratsarbeit ist nach
[1][Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes eine Straftat].
## Verfahren im einstelligen Bereich
„Es ging mir darum, dass Unternehmen merken, dass sie nicht einfach
ungestraft gegen Beschäftigte vorgehen können, die einfach nur ihre Rechte
wahrnehmen“, so Atas. Lange passierte wenig, doch 2025 landete der Fall
tatsächlich noch vor Gericht. Gegen zwei Beklagte, Martin W. und Laura G.,
ist am 25. Mai 2025 Anklage am Berliner Strafgericht erhoben worden.
Während es im Fall Foot Locker immerhin zu einer Verfahrenseröffnung
gekommen ist, schaffen es viele dieser Fälle von sogenanntem [2][Union
Busting] (Deutsch: Gewerkschaftszerstörung) in Deutschland nicht einmal bis
dahin. Die Zahl der Verfahren, in denen es zu einer Anklage komme, liege
bundesweit im einstelligen Bereich, behauptete die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände im September vergangenen Jahres gegenüber dem
Hessischen Rundfunk.
In Berlin wurde laut der dortigen Staatsanwaltschaft im Jahr 2024 kein
einziges Verfahren nach Paragraf 119 Betriebsverfassungsgesetz eröffnet.
Zwischen 2020 und 2023 seien es immerhin insgesamt 25 Verfahren gewesen.
Fünf Verfahren davon seien dabei gegen unbekannt eröffnet worden. Es hat
also keinen Beschuldigten gegeben, oder es konnte keiner ermittelt werden.
Alle 20 Verfahren mit Beschuldigten wurden eingestellt – drei wegen
Geringfügigkeit oder fehlendem öffentlichen Interesse, fünf wegen
mangelndem Tatverdacht, die übrigen aus anderen Gründen.
## Schutz für Gewerkschaften in den USA stärker
Wie viele Anzeigen nach Paragraf 119 überhaupt gestellt werden, ist unklar.
Es gibt keine zentrale Meldestelle für Union Busting, wie sie etwa in den
USA existiert. Dort müssen Gewerkschaftsgründungen beim National Labor
Relations Board angemeldet werden. Die Behörde sammelt und dokumentiert
Verstöße von Arbeitgebern.
Union Busting dürfte in Deutschland weitaus häufiger vorkommen, als die
Zahlen der Staatsanwaltschaft Berlin und des Arbeitgeberverbands vermuten
lassen, denn auch wenn offizielle Angaben fehlen, gibt es aussagekräftige
Zahlen. 2020 hat das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftliche Institut Geschäftsstellen verschiedener deutscher
Gewerkschaften befragt, wie häufig sie vor Ort Betriebsratsbe- und
-verhinderungsversuche erleben. 172 Geschäftsstellen hatten, so das WSI,
darauf geantwortet.
Im Bericht heißt es, dass „sehr direkte und konfrontative Maßnahmen wie die
Kündigung von Betriebsratskandidaten“ weit verbreitet seien. Betriebliche
Strukturveränderungen als Maßnahme gegen eine Betriebsratswahl kämen zwar
vergleichsweise selten vor, dennoch sei es bemerkenswert, „dass Arbeitgeber
selbst vor einer gezielten Reorganisation oder Aufspaltung des Betriebs
oder gar der Schließung bzw. der Verlagerung des Betriebs nicht
zurückschrecken.“
84 Arbeitgeber hätten laut der Studie, ihren Betriebsräten gekündigt.
Sollten diese Kündigungen tatsächlich auf die Betriebsratsarbeit abzielen,
so hätten sich die Arbeitgeber gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz
eigentlich strafbar gemacht. Bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine
Geldstrafe stehen darauf.
## Immer weniger Betriebsräte in Deutschland
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren schätzt, dass es in Deutschland
nur zu einer Verurteilung pro Jahr kommt. Dieren, Mitglied des
Bundestagsausschusses Arbeit und Soziales, sieht den Grund darin, dass
Betriebsratsbehinderung ein Antragsdelikt ist, zur Strafverfolgung also ein
Strafantrag nötig ist. „Deshalb wäre es so wichtig, Straftaten gegen das
demokratische Recht der Mitbestimmung zu einem sogenannten Offizialdelikt
zu machen“, so Dieren. Diese werden von der Staatsanwaltschaft von Amts
wegen verfolgt.
Die Ampelregierung hatte dies angekündigt, setzte es aber nicht um. Im
aktuellen schwarz-roten Koalitionsvertrag fehlt ein solcher Plan. Dieren,
der als Rechtsanwalt selbst schon Betriebsräte vertreten hat, fordert
darüber hinaus die Einführung wirksamer und abschreckender Sanktionen:
„Statt einer pauschalen Obergrenze könnten sich die Bußgelder
beispielsweise am Unternehmensumsatz orientieren und nicht gegen
Einzelpersonen in der Unternehmensleitung, sondern gegen das Unternehmen
selbst gerichtet sein.“
Auch die juristische Bündelung bei den Strafverfolgungsbehörden hält Dieren
für notwendig: „Die Länder müssten zum Zweck einer angemessenen Verfolgung
außerdem Schwerpunktstaatsanwaltschaften einrichten.“ In Brandenburg gibt
es seit März 2025 so eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Justizminister
Benjamin Grimm (SPD) kündigte damals an, er habe die „Zuständigkeiten für
Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz bei den Sonderabteilungen der
Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (…)
gebündelt.“ Auch in Berlin hatte es so einen Versuch 2022 schon mal
gegeben: Die rot-rot-grüne Regierung hatte aber wegen der Neuwahlen 2023
keine Zeit mehr gehabt, diesen umzusetzen.
Die Verfolgung von Union Busting ist auch deshalb wichtig, weil die Zahl
der Betriebsräte ständig sinkt: Die Hans-Böckler-Stiftung hat erhoben, dass
2010 noch 44 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben mit Betriebsrat
beschäftigt waren. 2022 waren es nur noch 39 Prozent in Westdeutschland und
34 Prozent in Ostdeutschland.
Auch im Fall von Murat Atas gegen Foot Locker kam es letztlich zu keinem
Schuldspruch, teilt das Strafgericht Berlin auf Nachfrage der taz mit. Das
Strafverfahren sei gegen Zahlung von jeweils 5.000 Euro an eine vom Gericht
benannte gemeinnützige Organisation vorläufig eingestellt worden. Der zur
Begründung herangezogene Paragraph 153a Abs. 2 der Strafprozessordnung
(StPO) besagt: Die Schuld ist zu gering, und es gibt kein öffentliches
Interesse.
Die Autoren dieses Textes erstellten über den Fall von Murat Atas auch
[3][ein Radiofeature unter dem Titel „Gemobbt, gekündigt, abgefunden – Wie
Unternehmen gegen Betriebsräte vorgehen“ (DLF/SWR, 2023)]
20 Jun 2025
## LINKS
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__119.html
[2] /Union-Busting/!t5815353
[3] https://www.hoerspielundfeature.de/gemobbt-gekuendigt-abgefunden-100.html
## AUTOREN
Nina Scholz
Sebastian Friedrich
## TAGS
Union Busting
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