# taz.de -- Deutschlandtour von Bruce Springsteen: Hymnen, Träume und Albträu… | |
> Bruce Springsteen startet am Mittwoch seine Deutschlandkonzerte. In der | |
> US-Heimat ist er bei den Konservativen verhasst. Höchste Zeit für eine | |
> Lebensbilanz. | |
Bild: Volle Breitseite. Schon beim Auftakt seiner Europa-Tournee äußert Sprin… | |
Tulsa, Oklahoma, dort habe ich Bruce Springsteen und die E-Street Band im | |
Februar 2023 im Konzert erlebt. Anders als Auftritte vom „Boss“ an der | |
West- und Ostküste waren die Konzerte im Kernland der USA damals bei weitem | |
nicht ausverkauft. | |
In Tulsa war es kein Problem, noch am Tag des Konzerts gute Plätze zu | |
ergattern. Draußen vor dem Gelände beschallten evangelikale | |
Abtreibungsgegner die Springsteen-Fans. Während diese den Einlass in die | |
Halle herbeisehnten, wurden sie per Megafon unaufhörlich mit den | |
fundamentalistischen Botschaften von der anderen Straßenseite belästigt. | |
Die Stimmung war gereizt, sogar feindselig. | |
Mit Kontroversen kennt sich der 1949 in New Jersey geborene US-Rockstar | |
aus. Vor Kurzem hat Bruce Springsteen seine Europatournee gestartet und | |
sich gleich beim Auftakt in Manchester ausgiebig zur zweiten Amtszeit von | |
Donald Trump geäußert. | |
## Abscheu vor Trump | |
[1][Seine Abscheu vor dem Präsidenten] hat er schon wenige Tage später auf | |
einer Live-EP für die ganze Welt festgehalten und wiederholt sie unbeirrbar | |
bis jetzt bei jedem Konzert. Trumps Drohung, Springsteen werde schon sehen, | |
was passiere, wenn er nach Hause zurückkommt, hängt jetzt wie eine | |
schlingernde Blendgranate in der Luft. Es scheint, als wäre Springsteen | |
nicht nur ein Bollwerk für Freiheit in Trumps Amerika. Sondern dadurch auch | |
richtig gefährlich. | |
Als er in den frühen 1970ern von New Jersey aus loslegte, war solch ein | |
Einfluss auf die Weltpolitik noch nicht absehbar. David Bowie war schon ein | |
Superstar, als er noch zu Glamrock-Zeiten „Growin’ up“ von Springsteens | |
erfolglosem Debütalbum coverte. Die Zeile „When they said: sit down! I | |
stood up“ aus jenem Song tat bestimmt ihre Wirkung auf Bowie. Und sie ist | |
ein schönes Beispiel dafür, dass Bruce Springsteen von Anfang an ein | |
Meister darin war, Lebensgefühle seiner Hörer*innen auf den Punkt zu | |
bringen. | |
Von dieser Fähigkeit leben die Shows mit der E-Street Band bis heute. „We | |
learned more from a three minute record than we ever learned in school“ | |
(„No Surrender“): Da wird es auch nach 40 Jahren bei den anstehenden | |
Konzerten in Berlin, Frankfurt und Gelsenkirchen kein Halten geben. | |
## Unwiderruflich Mainstream | |
Als 1975 im Club CBGB’s in New York mit den Ramones, Patti Smith, | |
Television, Suicide, Blondie und den Talking Heads die US-Punk- und | |
New-Wave-Szene explodierte, war Springsteen vom Rockmagazin Rolling Stone | |
schon zur „Zukunft des Rock ’n’ Roll“ ausgerufen worden und somit | |
unwiderruflich Mainstream. Trotzdem hatte er immer eine große Affinität zu | |
dieser subkulturellen Szene. | |
Er teilte sich mit Patti Smith nicht nur den Produzenten (Jimmy Iovine), | |
sondern komponierte zusammen mit der Rocksängerin auch den Song „Because | |
the Night“. Ein Klassiker. Viel später in seiner Karriere zollte | |
Springsteen auch den sperrigsten Vertretern der CBGB’s-Generation, dem Duo | |
Suicide, seinen Tribut: Auf der Devils-&-Dust-Tour, 2005, beendete er seine | |
Sets jeden Abend mit einer Coverversion ihres Signatursongs „Dream, Baby | |
Dream“. Ganz alleine stand er auf der Bühne, mit geloopter Pumporgel als | |
einziger Instrumentierung. Und damit war Springsteen sehr weit weg vom | |
Mainstream oder den Erwartungen seiner Fans. | |
Solche Solo-Eskapaden waren natürlich immer die Ausnahme. Ohne die E-Street | |
Band wäre Bruce Springsteen wohl heute kein Stadion-Füller, wie momentan | |
wieder in Europa. Es gab bei der Band über die Jahre auch Umbesetzungen, | |
aber eigentlich nur, wenn jemand gestorben ist. Darum ist es auch kein | |
Klischee, wenn man von der E-Street Band als Springsteens „Familie“ | |
spricht. | |
## Nicht überladen, mit Power | |
Eine Familie, die es schafft, nicht überladen, aber mit Power auf den Punkt | |
zu kommen. Großartig! Von diesem Konzert in Tulsa 2023 gibt es bei Youtube | |
einen Mitschnitt der ersten paar Songs, und wenn man da sieht, mit welcher | |
Begeisterung Drummer Max Weinberg ohne Mikrofon die Lyrics mitschmettert, | |
dann kriegt man ein Gefühl dafür. | |
Der Megaerfolg, Geld und Ruhm kamen für Springsteen 1984 mit dem Album | |
„Born in the USA“. Fluch und Segen. Da sind die Kracher drauf, die bis | |
heute den Zugabenteil seiner Konzerte ausmachen: „Dancing in the Dark“, | |
„Glory Days“, „Bobbie Jean“ oder eben der große, missverstandene Titel… | |
Von Ronald Reagan bis Donald Trump waren es vor allem US-Republikaner, die | |
zum Macho-Intro dieses Songs selbst forsch die Wahlkampfbühnen betreten | |
haben, bevor Springsteen ihnen dann die Verwendung seiner Musik untersagt | |
hat. Dass das Lied eben keine Hymne auf die USA der Republikaner ist, | |
sondern wenn schon eine Hymne, dann eine Hymne auf die Abgehängten des | |
Landes, hat diese Leute freilich nie zum Nachdenken gebracht. | |
## Politische Anliegen | |
Für politische Anliegen hat Springsteen sich immer wieder und ohne zu | |
zögern eingesetzt. Etwa in den 1970ern gegen Atomkraft, als er das | |
„NoNukes“-Konzert im New Yorker Madison Square Garden initiierte. [2][1985 | |
für die streikenden Bergarbeiter im Nordosten Englands]. Als er sich mit | |
den Frauen der „Support Groups“ backstage nach einem Konzert in Newcastle | |
traf und ihnen finanzielle Unterstützung zukommen ließ. Drei Jahre später | |
dann bei seinem Konzert auf der Radrennbahn in Weißensee im Ostteil | |
Berlins, [3][dem größten Konzertereignis in der Geschichte der DDR], dessen | |
Bedeutung ich als bayerischer Wessi erst viele Jahre später begonnen habe | |
zu verstehen. | |
Springsteens Unterstützung für Amnesty International und Greenpeace hat | |
auch nie aufgehört. Und dabei hat sein Engagement zum Glück nie seine | |
künstlerische Arbeit überschattet. Bis heute hat Bruce Springsteen 21 | |
Studioalben veröffentlicht. Natürlich sind darunter nicht nur Meisterwerke, | |
aber ich würde mal sagen: egal. | |
Denn neben den großen kommerziellen Erfolgen sind es gerade die eher leisen | |
Alben wie „Tunnel of Love“(1987), „The Ghost of Tom Joad“ (1995) und | |
„Wrecking Ball“ (2012) gewesen, die ihn in die höchste Liga der | |
Songwriter*innen geführt und dort verankert haben. Wie sonst vielleicht | |
nur Woody Guthrie, hat Springsteen den cracksüchtigen Strichern, den | |
Arbeitslosen, den Obdachlosen, den alleinerziehenden Müttern, den | |
Unscheinbaren und all den Underdogs, die trotzdem unablässig an den | |
American Dream glauben, viele glaubwürdige Denkmäler gesetzt. | |
Und das nicht immer nur zur Freude seiner Fans. Wer die Ups und Downs | |
seiner Karriere mitverfolgt hat, weiß, dass die Kunst von Bruce Springsteen | |
immer mehr war und mehr ist, als in einen drei Minuten Song rein passt. | |
10 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Die-135-Tage-von-Trump/!6089914 | |
[2] /Kuenstler-Jeremy-Deller/!5037858 | |
[3] /Das-eiserne-Maedchen/!318658/ | |
## AUTOREN | |
Erhard Grundl | |
## TAGS | |
Bruce Springsteen | |
Stadion | |
Rock | |
Social-Auswahl | |
Bruce Springsteen | |
Rockmusik | |
Michelle Obama | |
Euthanasie | |
Polen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bruce Springsteen gegen Donald Trump: Rock gegen Rechts mit Untertiteln | |
Der US-Rocker Bruce Springsteen wettert bei seinem Auftritt in Berlin gegen | |
den „kriminellen Clown“ Donald Trump. Er kritisiert den Polizeieinsatz in | |
LA. | |
US-Rock- und Popmusik: Beach-Boys-Legende Brian Wilson ist tot | |
„Fun Fun Fun“, „Good Vibrations“ und „Surfin' USA“: Brian Wilson, | |
Mitgründer und Genie der Beach Boys, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. | |
Inhaltloser US-Wahlkampf: Wer hat die größte Show? | |
In einer Woche wählen die USA einen neuen Präsidenten oder eine | |
Präsidentin. Um Inhalte beim Wahlkampf geht es schon lange nicht mehr. | |
NS-Euthanasie aufarbeiten: „Die Anerkennung blieb aus“ | |
Menschen mit Behinderungen, die die Nazis ermordeten oder sterilisierten, | |
sind bis heute nicht als NS-Opfer anerkannt. Der Bundestag will das ändern. | |
Ausstellung „1988“: Die Ruhe vor dem Sturm | |
1988 gilt als ein Jahr des Stillstands, das keine große Rolle in den | |
Geschichtsbüchern spielt. Verkehrt! Wie Fotos von Ann-Christine Jansson und | |
Texten von Uwe Rada zeigen. |