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# taz.de -- Der soziale Ort Kaffeehaus: Mehr Patina, weniger Pistachio bitte
> Kein WLAN, keine Hipster, keine Hocker: Unsere Kolumnistin entdeckt im
> Wiener Kaffeehaus das Glück des Müßiggangs – und den verloren geglaubten
> Flow.
Bild: Die richtige Melange macht's im Kaffehaus
Zu den Vorteilen meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als
Gelegenheits-Musikerin/Autorin/Kolumnistin/Regisseurin gehört zweifelsfrei,
dass mich diese im Schnitt zweimal im Jahr nach Wien geführt hat.
Das gab natürlich schon immer Anlass genug für die beliebten
Städtevergleiche. Aber mit zunehmendem Alter gibt es Dinge in der
Donaustadt, die ich in Berlin, wo ich wohne, so sehr vermisse, dass ich
stets mit einem wehmütigen Gefühl von der Donau an die schnöde Spree
zurückkehre.
Das Kaffeehaus zum Beispiel war mir seit den Neunzigern nur eine schöne
skurrile Wiener Besonderheit. Man erfreute sich an den mürrischen Kellnern,
dem elegant-verlebten Ambiente, an fremdartigen Speisen wie
Schnittlauchbrot, machte aber nicht viel Aufhebens um diese Institution.
Manches Mal rettete mich so ein Kaffeehaus, wenn ich geschwächt vom
vorherigen Auftrittsabend und den Nachfeiern um 11 Uhr in der Früh aus dem
Hotel musste und im Kaffeehaus auf weichen Polstern ein paar Stunden bis
zur Rückfahrt rekonvaleszieren konnte.
Doch seit ein paar Jahren entfaltet das Kaffeehaus eine ganz andere Magie.
Während ich zu Hause im Zuge der Schreibverhinderung sämtliche Stufen der
Prokrastination durchlebe, bevor der Schreibversuch in Lähmung und
Selbstverachtung endet, mir das Schreiben in einem Café neben den üblichen
Laptop-Posern aber irgendwie affig vorkäme, fühle ich mich im Wiener
Kaffeehaus regelrecht zum Schreiben animiert.
Es ist so ein Klischee! Aber dort kritzeln sich die Gedanken und Ideen wie
von selbst ins Notizheft. An was liegt es? An der Patina? Am Vibe? Ist es
etwas Feinstoffliches, was Kaffeehausliteraten der letzten Dekaden dort
hinterlassen haben?
## Keine Hipster, keine Touristen, keine „Kreativen“
Es muss mehr dahinter sein, schließlich treffen sich auch die jüngeren
Wiener Autorinnen immer noch im Kaffeehaus zum Schreiben. Ein Phänomen sind
die anderen Gäste. Alle scheinen unendlich viel Zeit zu haben. Sie sind da,
wenn ich komme und hocken immer noch da, wenn ich nach zwei Stunden wieder
gehe.
Die meisten Gäste sind unterhalb des Rentenalters, keine Hipster, keine
Touristen, keine „Kreativen“. Nein, ganz normale Leute sitzen da
stundenlang, lesen Zeitung, machen was mit ihren Telefonen, hocken da
allein, zu zweit, zu dritt im stundenlangen Austausch.
Warum haben hier eigentlich alle so viel Zeit? „Und warum gibt es so etwas
nicht in Berlin?“ denke ich jedes Mal. „Alles wäre besser und einfacher.“
Dabei gibt es in Berlin natürlich, wie in jeder größeren Stadt
Deutschlands, Hunderte Cafés, in denen jede dumme Kaffeemode aufgegriffen
wird.
In ungemütlichen kleinen Ladenlokalen kann man auf stylishen Hockerchen
Platz nehmen und eine Menge Geld für den letzten und vorletzten Kaffeetrend
dort lassen, von Cold Brewed über Pistachio Coffee bis zu Lemonade Coffee.
Aber es gibt kein einziges Café, dass einem Wiener Kaffeehaus nur irgendwie
nahe käme. Im Ranking der lebenswertesten Städte der Welt musste Wien 2025
den ersten Platz an Kopenhagen abgeben.
Deutsche Städte liegen weit abgeschlagen hinten. Vielleicht würde ein
Kaffeehaus helfen?
26 Jun 2025
## AUTOREN
Christiane Rösinger
## TAGS
Kolumne Aus dem Leben einer Boomerin
Kaffeehauskultur
Sozialer Zusammenhalt
Kolumne Aus dem Leben einer Boomerin
Österreich
Berlin-Wedding
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