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# taz.de -- Israels kritische Infrastruktur: Von Atomkraftwerk bis Raketenabweh…
> Israel scheint – auch dank US-Unterstützung – die Oberhand im Krieg mit
> Iran behalten zu haben. Doch auch das kleine Land könnte empfindlich
> getroffen werden.
Bild: Nach dem Einschlag einer iranischen Rakete in das Soroka Krankenhaus in B…
Jerusalem / Beer Scheva taz | Ein scharfer Rauchgeruch hängt noch in den
Fluren der sechsten Etage des Gebäudes für Chirurgie, Urologie und
Augenkunde des Soroka-Krankenhauses im südisraelischen Beer Scheva. Das
nach Blumen riechende Reinigungsmittel, mit dem Mitarbeiter*innen die
unteren Etagen gerade sauber machen, kann ihn nicht gänzlich überdecken.
Von der Decke tropft Wasser, Kabel und Metallteile hängen in der Luft. Der
Boden ist voller Trümmer: Klötze und Zement der Außenwand, die beim
Einschlag der Rakete in Hunderte Fragmente zersprang. In den Räumen nebenan
stehen noch leere Patientenbetten mitten im Bauschutt.
Diese apokalyptische Kulisse ist die [1][Folge eines iranischen
Luftangriffs]. Ein Marschflugkörper hat am frühen Donnerstagmorgen
vergangener Woche ein Gebäude des Soroka-Spitals getroffen – eines der
wichtigsten medizinischen Zentren im Süden Israels, das für die Versorgung
einer Million Menschen zuständig ist.
Dass niemand bei dem Einschlag sein Leben verlor, gleicht einem Wunder. Und
zeugt von etwas Glück. Lediglich 60 Menschen mussten die Rettungskräfte
nach dem Angriff behandeln, einen Teil davon wegen Angstzuständen. Die
Patient*innen in der getroffenen Abteilung waren mit vielen anderen am
Tag zuvor evakuiert und in sichere, tiefere Etagen gebracht worden. Das hat
System: Seit über einer Woche haben Kliniken in Israel ihre
Sicherheitsvorschriften verschärft. Viele arbeiten derzeit im Untergrund,
nicht lebensnotwendige Operation sind vielerorts verschoben, stabile
Patient*innen nach Hause geschickt worden. Entbindende Mütter sollen so
schnell wie möglich nach der Geburt wieder nach Hause entlassen werden.
Der stellvertretender Geschäftsführer des Spitals Roy Kessous steht mitten
in der Empfangshalle, unter seinen Füßen Glassplitter und Wasserpfützen. Er
verkündet, dass das Krankenhaus zwar auf Notbetrieb eingestellt sei, aber
für Notfälle weiterhin funktioniere. „Die Zerstörung ist massiv. Aber wir
betreiben immer noch Operationssäle für Notfälle und die
Geburtshilfestation.“
## Bunker bauen braucht Zeit und Geld
Soroka hat 1.173 Betten, derzeit sind aber nur wenige hundert belegt.
Patient*innen sind in andere Krankenhäuser verlegt worden. Kessous
sagt, er hoffe, zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen treffen zu können. Er
weiß, dass das Krankenhaus noch mehr sichere Räume braucht, um seine
Funktionalität aufrechterhalten zu können. Doch bombensichere Zimmer zu
bauen, braucht Zeit. Und Geld, viel Geld. Vermutlich in Millionenhöhe, so
ein Krankenhaus-Angestellter.
Spitäler sind im Kriegsfall wesentliche Dienstleister für die Bevölkerung.
Von ihnen hängt das Überleben von Kranken und Verletzten ab. Doch sie
fallen in Israel nicht zwangsläufig unter die Definition von „kritischer
Infrastruktur“. Und sind nicht die einzigen, die gerade in diesem
[2][Konflikt mit der Islamischen Republik Iran] auf dem Spiel stehen. Die
iranische Regierung sagte kurz nachdem das Krankenhaus getroffen wurde, sie
habe eigentlich auf eine Militärbasis und ein Forschungszentrum in der Nähe
gezielt. Ob das so ist, ist strittig. Nach Angaben des israelischen
Militärs träfen die iranischen Raketen genau. Und zwar befindet sich etwa
zwei Kilometer vom Krankenhaus entfernt eine Basis der israelischen Armee
und etwa einen Kilometer entfernt ein technologischer Campus – doch die
Rakete schlug eben direkt in das Krankenhaus ein.
Das zeigt, wie vulnerabel kritische Infrastruktur selbst unter dem Schutz
eines Luftabwehrsystems sein kann. In Israel gibt es mehrere solche
wichtigen Anlagen. Würden sie angegriffen, könnte das für das gesamte Land
problematisch werden: Kraftwerke zur Stromerzeugung, etwa in den Städten
Aschdod und Hadera, Gasfelder im Mittelmeer, die für die Stromerzeugung
wichtig sind; Militärbasen, aus denen die Kampfjets abfliegen sowie die
Abschussrampen des Schutzsystems, allgemein bekannt als Iron Dome – und
Kirya, der Hauptsitz der Streitkräfte in Tel Aviv, wesentlich für die
militärische Koordination und Planung.
Oder auch das Kernforschungszentrum Negev nahe Dimona, gelegen in der
gleichnamigen Wüste im Süden Israels. Das Land hat zwar den Besitz einer
Atombombe nie öffentlich bestätigt, doch das schwedische
Friedensforschungsinstitut Sipri geht in seinem jährlichen Bericht davon
aus, dass Israel 90 nukleare Sprengköpfe haben könnte. Und es gibt noch
mehr neuralgische Punkte: Firmen, die etwa Drohnen entwickeln, wie die
staatliche Israel Aerospace Industries; Häfen wie Eilat und Aschkelon,
durch die Waren und Treibstoff fließen; der Flughafen Ben Gurion in Tel
Aviv sowie Banken und Telekommunikationsfirmen.
## Im Westjordanland staut es sich an Tankstellen
Eine Stromanlage in Haifa ist vor einer Woche laut Medienberichten von
einer Hyperschallrakete getroffen worden. Die israelische Stromgesellschaft
hat den Einschlag bestätigt. Und mitgeteilt, dass ihre Teams daran
arbeiteten, Risiken wie einen Stromschlag durch abgetrennte Kabel zu
minimieren und die Stromversorgung wieder herzustellen. Eine Ölraffinerie,
Bazan in Haifa, wurde ebenfalls getroffen und löste eine Kontroverse aus:
Die Anlage sollte eigentlich irgendwann geschlossen werden,
Umweltschützer*innen warnten schon lange vor den Gefahren, die –
sowohl gesundheitlich als auch kriegsbedingt – von einer Raffinerie an
einem so dicht bewohnten Ort ausgehen. Drei Mitarbeiter*innen starben
in den Flammen, die Anlage musste schließen.
Zwei der drei israelischen Gasplattformen, die für 70 Prozent der
israelischen Stromproduktion verantwortlich sind, haben ebenfalls den
Betrieb eingestellt. Energieminister Eli Cohen sagte jedoch am Dienstag,
dass es keinen Treibstoffmangel geben sollte. Anders sieht es im
palästinensischen Westjordanland aus: Ein Rückgang von Treibstofftankern
aus israelischem Gebiet sorgt laut palästinensischen Behörden für
geschlossene Tankstellen und lange Warteschlangen, besorgte
Einwohner*innen machen Panikkäufe.
Der Umweltschützer und Solarenergie-Entrepreneur Yosef Abramowitz warnt vor
den Risiken einer Attacke auf die Gasplattformen. Ein Angriff könnte das
Salzwasser kontaminieren, das in die Entsalzungsanlagen fließt und einen
Großteil des israelischen Trinkwassers liefert, sowie die Stromproduktion
kappen.
Doch Risiken bestehen nicht nur im Energiebereich. Vor einigen Tagen hat
eine Rakete das berühmte Weizmann-Forschungsinstitut in Rehovot getroffen
und einen Teil seiner Labore und Bestände vernichtet. Das Institut hat
einige Verbindungen zum israelischen Verteidigungsapparat – beschädigt
wurden jedoch Abteilungen für Krebsforschung, Biologie und Biochemie. Die
Risiken von Cyberattacken, die kritische Infrastruktur lähmen könnten, sind
ebenfalls nicht zu unterschätzen. Doch auf diesem Gebiet ist Israel durch
den langen Schattenkrieg mit dem Iran in den vergangenen Jahrzehnten gut
vorbereitet. „Cyber-Bedrohungen waren nie unter den höchsten Prioritäten
Israels. Wieso? Einfach weil die anderen Bedrohungen schlimmer waren“,
erklärt Cyberexperte Lior Tabansky.
## Die Militärzensur ist strenger geworden
Über militärische Kapazitäten und kritische Infrastruktur in Israel zu
sprechen, ist schwierig. Die Militärzensur verbietet es in vielen Fällen
Medien, Einschläge oder Schäden an Militärinfrastruktur zu filmen oder
deren Adresse preiszugeben. Bilder von Abfanginfrastrukturen, Abschüssen
und Einschlägen sind ebenfalls verboten. So soll „dem Feind“ nicht geholfen
werden. Dadurch kann jedoch der Eindruck entstehen, dass lediglich zivile
Ziele getroffen werden. Auch müssen offenbar Berichte, in denen der Ort
eines Einschlags auf ein Militärziel genannt wird, vom Militärzensor
abgesegnet werden. Insgesamt sind viele israelische Expert*innen kaum
bereit, sich zum Thema zu äußern.
Dabei gibt es viele offene Fragen zu den Verteidigungskapazitäten Israels:
In den vergangenen Wochen gab es Berichte über einen Mangel an
Abwehrraketen für Israels Luftverteidigungssysteme. Laut der US-Zeitung The
Wall Street Journal gehen die Flugkörper des Arrow-Systems – das
Langstrecken-Hyperschallraketen abfangen soll – zur Neige. Drei Millionen
US-Dollar kostet jeder Flugkörper.
Die Berichte sind nicht neu. Seit Monaten wird über die Endlichkeit von
Israels Vorräten gesprochen. Und darüber, wie lange die USA ihnen darüber
hinweg helfen können. Das Verteidigungsministerium äußerte sich indes nicht
dazu.
Auch wie viele Raketen der Iran noch übrig hat, ist fraglich. Die Menge an
abgefeuerten Raketen pro Salve hat seit Beginn der Kämpfe erheblich
abgenommen, von 140 auf weniger als 20 nach Zahlen des israelischen Alma
Forschungs- und Bildungszentrums. Laut Schätzungen könnte die islamische
Republik etwa 1.000 bis 1.500 Raketen noch übrighaben. Etwa die Hälfte der
Raketenabschussrampen dürfte ebenfalls zerstört sein.
## Vielen Menschen mangelt es an Schutzräumen
Das größte Problem in Israel sei gerade jedoch laut Expert*innen, genug
Schutzräume für die Bevölkerung einzurichten. Hier gibt es große
Unterschiede: Im Gegensatz zu neu gebauten Wohnungen müssen solche, die vor
1991 erbaut wurden, nicht mit einem innenliegenden Schutzraum ausgestattet
sein. Deren Einwohner*innen müssen sich auf die öffentlichen
Schutzräume verlassen, die nicht immer nah sind. Auch die beduinische
Gemeinschaft, die vor allem in Südisrael beheimatet ist, gilt als
schutzlos. Arabische Dörfer in Israel beklagen ebenfalls einen
Bunker-Mangel. A[3][uch im arabisch geprägten Ostjerusalem sind sie kaum
vorhanden, ebenso wenig im Westjordanland]. Das Problem ist jedoch
kurzfristig kaum zu lösen.
Bislang sind in Israel mindestens 24 Menschen durch iranische Luftangriffe
gestorben, fast 1.300 wurden verletzt. Etwa 25.000 Schäden an Gebäuden
wurden gemeldet, 8.000 Personen mussten ihre Häuser verlassen. Trotzdem
steht die Mehrheit der Israelis laut einer Umfrage der Hebrew University
und Agam Labs hinter ihrer Regierung: 83 Prozent der jüdischen Israelis
befürworten demnach den Angriff auf den Iran, bei arabischen Israelis ist
die Ansicht fast genau umgekehrt. Etwa die Hälfte der jüdischen Befragten
fühlt sich hoffnungsvoll oder stolz, während knapp 70 Prozent der
arabischen Israelis – etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung – [4][Angst
empfinden.]
Jetzt, wo sich der Konflikt mit dem Einstieg der USA auszuweiten droht, ist
Israel in den strengen Notstand gewechselt: Schulen sowie Restaurants und
Bars ohne Schutzräume müssen schließen, Versammlungen sind verboten. Nur
systemrelevante Arbeiter*innen dürfen an den Arbeitsplatz. Der
Flughafen ist nahezu verwaist.
Manch einer sorgt sich bereits um die wirtschaftlichen Auswirkungen, sollte
der Krieg andauern. Momentan liegt der Fokus jedoch auf physischem Schutz.
Sorokas Vize-Direktor Dror Dolfin sagte am vergangenen Donnerstag: Das
Krankenhaus brauche jetzt vor allem eines – dass keine weiteren Raketen
Beer Scheva treffen. Doch bereits am Tag danach löst ein weiterer Einschlag
Brände in der südlichen Stadt aus.
24 Jun 2025
## LINKS
[1] /Angriff-auf-den-Iran/!6091361
[2] /Israels-Praeventivschlag/!6092623
[3] /Schutzlos-im-Westjordanland/!6094157
[4] /Konflikt-zwischen-Iran-und-Israel/!6092905
## AUTOREN
Serena Bilanceri
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran
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